Welche Pflichten stehen Unternehmen hinsichtlich ihrer Lieferketten jetzt und zukünftig bevor? Die Vorschriften werden ja national und international zunehmend verschärft.
Es wird immer mehr Vorschriften zur Transparenz in der Lieferkette geben. Die EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit, kurz CSDDD, ist gerade im Europäischen Rat verabschiedet werden. Diese Sorgfaltspflicht verlangt von Unternehmen, tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu identifizieren und Massnahmen zu ergreifen, um deren Auswirkungen zu mildern. Es handelt sich dabei eher um eine Managementverpflichtung als um eine Nachhaltigkeitsgarantie. Vielversprechender für transparente und saubere Lieferketten sind die lokale Beschaffung von Waren bei bekannten Lieferanten und die Verkürzung der Lieferketten. Aber das ist natürlich nicht für alle Produkte möglich.
Was sind die wichtigsten Schritte, um eine nachhaltige Lieferkette, angefangen mit der Beschaffung, zu erreichen?
Erstens sollten die Unternehmen ihre Zulieferer auch anhand von Nachhaltigkeitskriterien auswählen und bewerten und nicht nur nach Preis oder Qualität. Damit bekommen die Lieferanten einen Anreiz, sich ernsthaft mit dem Thema Nachhaltigkeit zu befassen und es als Unterscheidungsmerkmal zu nutzen.
Zweitens sollten Unternehmen mit Konkurrenten gemeinsame Nachhaltigkeitsstandards für ihre Lieferanten festlegen. Sogenannte Multistakeholder-Initiativen sind ideale Instrumente, um einen ganzen Sektor zu mehr Nachhaltigkeit zu bewegen, und wurden bereits bei Agrarrohstoffen wie Holz, Kakao oder Kaffee eingesetzt.
Drittens sollte ein Unternehmen seine Zulieferer entwickeln und ihnen helfen, sich in Richtung Nachhaltigkeit zu bewegen. Dies erfordert einige Investitionen und gegenseitiges Vertrauen, hat aber das Potenzial, langfristige Beziehungen zwischen Lieferanten und Unternehmen zu schaffen – eine Art Win-win-Situation für alle Beteiligten.
Werden Schweizer Firmen bereits nach den Prinzipien und Regeln einer nachhaltigen, verantwortungsvollen Unternehmensführung geleitet?
Es ist schwierig, allgemeine Aussagen zu treffen. Ich denke aber, dass traditionelle Schweizer Familienunternehmen bereits viele der Nachhaltigkeitsprinzipien leben. Diese Unternehmen wissen, dass sie eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft haben, indem sie zum Beispiel Mitarbeitende mit einem Handicap einstellen, mit lokalen Kleinunternehmen zusammenarbeiten oder den Einsatz von Chemikalien vermeiden, die die Umwelt schädigen würden. In den letzten Jahrzehnten sind aber viele Unternehmen in die Falle des kurzfristigen Gewinnstrebens getappt, um ihre Aktionäre zufriedenzustellen, und dabei sind viele dieser Nachhaltigkeitsprinzipien verloren gegangen.
Ein anderes Forschungsgebiet, mit dem Sie sich befassen, sind «Humanitarian Logistics». Was ist darunter zu verstehen?
Dieser Bereich befasst sich mit der Logistik und dem Lieferkettenmanagement bei der Unterstützung von humanitären Einsätzen. Ziel ist es, Leben zu retten und das Leid der betroffenen Bevölkerung zu lindern. Kurz gesagt, es umfasst alle logistischen Aktivitäten, die von humanitären Organisationen wie dem Internationalen Roten Kreuz, Ärzte ohne Grenzen oder dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) durchgeführt werden.
Was sind die grössten Herausforderungen?
Die humanitäre Logistik unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der kommerziellen Logistik, denn die Nachfrage ist unvorhersehbar, und die Reaktion muss in einem Notfall sofort erfolgen, um so viele Menschenleben wie möglich zu retten. Derzeit konzentriert sich die humanitäre Logistik mehr und mehr auf die Nachhaltigkeit, denn die Hilfsmassnahmen sollten die Umwelt nicht schädigen. Zum Beispiel ist die Lieferung von Wasserflaschen per Hubschrauber nicht gut für die Umwelt. Stattdessen sind tragbare Wasserfilteranlagen eine viel nachhaltigere Option.
Sie beschäftigen sich auch mit dem Thema «Modern Slavery». Wie viele Menschen weltweit sind davon betroffen?
Dies ist mein zweiter Schwerpunkt, den ich hauptsächlich in globalen landwirtschaftlichen Lieferketten erforsche. Der Preisdruck bei Nahrungsmitteln hat in vielen Ländern der Welt zu ausbeuterischen Arbeitsbedingungen geführt. Derzeit arbeiten 50 Millionen Menschen weltweit unter Bedingungen der modernen Sklaverei. Oft sind undokumentierte Migranten von diesem Problem am meisten betroffen.
Was sind die grössten Herausforderungen bei Ihrer Forschung im Bereich Humanitarian Logistics und Nachhaltigkeit?
Es ist oft schwierig, die Finanzierung für Forschungen im humanitären Bereich zu finden. Da die meisten dieser Probleme weit weg von der Schweiz auftreten, sind Unternehmen oder Institutionen weniger geneigt, diese Art von Forschungsprojekten zu finanzieren. Kürzlich habe ich mit einer Nichtregierungsorganisation an einem Vorschlag für ein Projekt gearbeitet, das Probleme mit Medika- mentenvorräten in 188 000 Gesundheitszentren in einem grossen Entwicklungsland beheben könnte. Die typischen Finanzierungsmechanismen für die Forschungsförderung in der Schweiz decken diese Art von Projekten jedoch nicht ab, weil sie hier nicht vorkommen. Es ist frustrierend, zu sehen, dass ein Projekt mit einer so grossen potenziellen Wirkung aufgrund fehlender Finanzierung nicht durchgeführt werden kann. Meine Hoffnung ist es, Stiftungen oder Finanzierungsinstrumente zu finden, die solch wirkungsvolle Forschung finanzieren könnten.