Eine Autostunde nördlich von Clermont-Ferrand schlängelt sich eine Strasse einen Hang hinauf, vorbei am Forêt des Colettes. Der alte Buchenwald gehört zum europäischen Schutzgebiet «Natura 2000». Kurz hinter dem Gipfel ist ein Terrain abgezäunt. «Bergwerk von Beauvoir», steht an der Einfahrt mit Wächter und Schlagbaum. Seit einhundert Jahren wird hier Kaolin abgebaut, ein Mineral, das in der Porzellan- und Papierindustrie genutzt wird. Seit zwanzig Jahren gehört die Mine dem französischen Bergbaukonzern Imerys. Und der will das Werk für neue Zwecke nutzen.
Schutzhelm, Schutzbrille, Signaljacke, Sicherheitsschuhe. Bergwerksdirektor Christopher Heymann läuft über Wege mit einem puderigen Belag, der an manchen Stellen rutschig ist. Das sind Kaolinreste. Vor einer grossen Grube bleibt er stehen. «Durch Regen und Sickerwasser verwittert die obere Felsschicht, so ensteht Kaolin», sagt Heymann. «Wir bauen es bis zu der Schicht ab, wo wir auf den harten Granit stossen. Hier soll das Projekt EMILI beginnen.»
Werksdirektor Christopher Heymann im Kaolin-Bergwerk in der Auvergne, wo Lithium abgebaut werden soll. Bild: B. Kaps
EMILI. Klingt wie ein weiblicher Vorname, ist aber das Kurzwort für «Abbau von Lithium durch Imerys». «Was Volumen, Struktur und Konzentration betrifft, ist unser Vorkommen weltweit einzigartig. Im Gestein steckt ein Prozent Lithium, das ist sehr viel.» Vielversprechend und einzigartig – so werben auch andere Lithiumabbau-Projekte in Europa für sich. Viele Franzosen waren überrascht, als sie im Oktober 2022 erfuhren, dass in der Auvergne über 100 Millionen Tonnen Lithium lagern und Imerys das Leichtmetall abbauen will. Ein neues Bergwerk – das hat es in Frankreich seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gegeben.
Ein Blick über das Gelände. Frisches Grün wächst auf den Felskanten der Grube. Der Granit, zu groben Stufen gehauen, ist kreideweiss, das Wasser unten in der Sohle milchig-türkis. Die schönen Farben einer verwüsteten Landschaft. «Was Sie da sehen, ist der Kaolinabbau», erklärt der Werksdirektor. «Das EMILI-Projekt steht noch auf dem Papier. Aber natürlich haben wir schon Gesteinsproben rausgeholt.»
20 Lithiumprojekte in Europa
Im Frühjahr 2023 hat die französische Regierung einen Plan für «grüne Industrie» vorgestellt. Mehr Windräder, mehr Solarpanels, mehr Elektromobilität. Dafür werden Erze gebraucht, vor allem Lithium. Europa ist aber fast komplett auf Importe angewiesen, aus Australien, Chile, China und anderen Staaten. Das könnte sich bald ändern. Derzeit gibt es etwa 20 Lithiumprojekte in europäischen Ländern. Ein viel versprechendes Projekt liegt in Frankreich, in der Auvergne.
Das Lithium soll unter Tage gefördert werden, der Umwelt zuliebe. Heymann zeigt in den Krater. Was jetzt der Boden ist, soll zur Decke werden. Die Geologen wollen eine «Krone» aus Granit stehen lassen, 50 Meter stark. Darunter will die Firma jedes Jahr zwei Millionen Tonnen Gestein sprengen, bis zu einer Tiefe von 500 Metern. «Die Produktion unter Tage schützt das Grundwasser, es werden keine Erschütterungen zu spüren sein, es wird keinen Staub geben. Wenn wir nicht alles tun, um möglichst sauber zu arbeiten, wird EMILI nie zustande kommen. So können die Menschen es besser annehmen und wir erhöhen unsere Chancen auf Erfolg.»
Zwei Millionen Tonnen gesprengter Fels jedes Jahr – eine unvorstellbare Menge. Die gesprengten Hohlräume sollen anschliessend wieder verfüllt werden, und zwar mit taubem Gestein. Alles was lithiumhaltig ist, wird weiter zermahlen. Dann werden Wasser und Luft dazu gegeben, um den Rohstoff vom restlichen Gesteinsstaub zu trennen. Das Verfahren heisst «Flotation». Aber wir erinnern uns: Nur ein Prozent der Gesamtmasse ist Lithium. Was von den restlichen 99 Prozent unterirdisch nicht entsorgt werden kann, soll oberirdisch gelagert werden, in der Kaolingrube. Felstrümmer, Geröll und Steinmehl sind aber oft stark mit Schwermetallen belastet, die vom Regen ausgewaschen und in die Natur gespült werden können.
Für das Lithiumprojekt soll Wasser aus dem Fluss Sioule in der Auvergne entnommen werden: Wassertanks im Kaolin-Bergwerk. Bild: Adobe Stock
Imerys zufolge wird die Lithium-Gewinnung 1,2 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr verbrauchen – pro Tag wäre das mehr als in ein Olympiabecken passt. Die Firma will dafür einen Fluss anzapfen, er heisst Sioule. Und eine Kläranlage, deren Wasser den Fluss Cher speist. Beide Flüsse werden schon jetzt stark landwirtschaftlich und industriell genutzt und führen in Trockenzeiten weniger Wasser als früher. Ingenieur Heymann sieht darin kein Problem. «Wir haben keinen hohen Verbrauch, wenn man das mit Kernkraftwerken oder auch der Textilindustrie vergleicht. Fast alle Konsumgüter, die wir in Europa kaufen, werden im Ausland produziert. Wer weiss schon, wie viel Wasser da verbraucht wird? Jetzt bringen wir unsere Industrie zurück ins Land und, ja, damit auch den Wasserbedarf.»
Lithium für 700 000 E-Auto-Batterien
Der Bergbaukonzern Imerys hat seinen Sitz in Paris, beschäftigt 12.000 Angestellte auf fünf Kontinenten und macht 3,6 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Er fördert und verarbeitet vor allem Baustoffe, Schleifmittel und Mineralien. Lithium ist Neuland für Imerys.
Schon ab 2029 will die Firma in der Auvergne jährlich 34.000 Tonnen Lithiumhydroxid produzieren. Damit könnten 700.000 Batterien für Elektroautos gefertigt werden, ein Drittel oder vielleicht sogar die Hälfte dessen, was Frankreich benötigt. Das Vorkommen wäre erst nach etwa 50 Jahren erschöpft.
Für den Untertagebau, die Flotationsanlagen, eine Bahnverladestation und die Raffinerie zur Produktion des Endprodukts Lithiumhydroxid will Imerys etwa eine Milliarde Euro investieren.
Obwohl im Kaolin-Bergwerk von Beauvoir noch nichts zu sehen ist: Das Projekt EMILI ist startklar. Die Firma wartet auf die staatliche Genehmigung für den Bau einer Pilotanlage. Sie soll Ende 2026 in Betrieb gehen. «Also eine kleine, halbindustrielle Fabrik, wo wir mit dem Abbau und ersten Fabrikabläufen beginnen können. Wir wollen erstmal kleine Mengen Lithiumhydroxid für die Batterieproduktion herstellen, und dann bieten wir sie möglichen Kunden als Proben an.» Das ist der letzte Schritt: Der gewonnene Rohstoff muss zu Lithiumhydroxid weiterverarbeitet werden. Das soll in Montluçon passieren, 40 Kilometer vom Bergwerk entfernt.
Die Testanlage soll also schon 2026 an den Start gehen, der kommerzielle Betrieb soll 2029 beginnen. «So knappe Fristen, das ist herausfordernd», sagt Christopher Heymann. «Das ganze Team hier, wir sind begeistert. EMILI ist wichtig für die Region, für Frankreich, und für Europa.» Brüssel hat kürzlich eine Liste mit 47 strategischen Projekten zur Stärkung der Rohstoffkapazitäten der EU erstellt. EMILI gehört dazu. Dass das Projekt noch scheitern könnte, glaubt Christopher Heymann nicht.
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