Wo liegen die grössten Stolpersteine auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit? Die Komplexität von ESG führen die Experten unisono als herausfordernd an. «Einzelmassnahmen wie etwa die Umstellung auf eine energiesparende LED-Beleuchtung müssen wir in eine konsistente, übergeordnete Strategie einbetten. Sonst droht der Effekt zu verpuffen», meint etwa Semadeni. Dabei ist Nachhaltigkeit keine One-off-Aufgabe, die man erledigen und abhaken kann. Sie erfordert eine neue unternehmerische Denkhaltung. «Wenn alles gut läuft, ist es bequem, sich mit dem Status quo zu begnügen. Doch Nachhaltigkeit bedeutet, diesen kontinuierlich zu hinterfragen, die Nachhaltigkeitsperformance stetig zu verbessern und dazu die Komfortzone immer wieder zu verlassen», sagt Semadeni.
Mehr Risikokapital gesucht
Urs Briner fordert darüber hinaus ein gesellschaftliches Umdenken. Es brauche ein Verständnis, dass es beispielsweise bei der Reduktion von Fleischessen nicht um einen Lifestyle-Trend gehe, sondern darum, zurück zur natürlichen Balance zu finden. «Innovative Schweizer Unternehmen sind auf Anschubfinanzierungen angewiesen. Derzeit ist zu wenig Risikokapital vorhanden», bemängelt Briner. «Wenn es der Gesellschaft ernst ist mit der nachhaltigen Transformation, braucht es Institutionen, welche diese unterstützen.»
Dafür, wie man sicherstellen kann, dass nachhaltige Prinzipien in die ganze Wertschöpfungskette fliessen, gibt es kein Pauschalrezept – aber gewisse Best Practices. Matthews hat so zum Beispiel kurzerhand von chinesischen zu europäischen Produzenten von Textilien und Möbeln gewechselt. «Und bitte sprecht in Verwaltungsräten und Geschäftsleitungsmeetings zuerst über Kunden, vor allen anderen Themen, denn von ihnen kommt das Geld», fügt er hinzu. Die Semadeni Plastics Group hat hingegen einen Code of Conduct verfasst. «Wir erwarten auch von unseren Lieferanten, dass sie diesen befolgen und überwachen dies auch bei den wichtigsten Partnern », erklärt Semadeni.
Yeastup schliesst Verträge sehr langfristig ab, wenn sie strategisch bedeutsam sind. So hat das Startup mit einem grossen Logistiker einen Zehn-Jahresliefer- Vertrag für Bierhefe unterzeichnet. «Ausgewogene Verträge führen zu einer Win-win-Situation. Die Partner können gemeinsam nachhaltige Lösungen entwickeln. Und wenn wir erfolgreich sind, partizipieren die Lieferanten direkt an unserem Erfolg», erläutert Briner. Regelmässig unterzieht Yeastup seine Produkte einer Lebenszyklus-Analyse. Diese spiegelt den ökologischen Fussabdruck wider und zeigt weiteres Optimierungspotenzial auf. «Aber der grösste Erfolg ist für uns, wenn wir Konsumenten mit unseren Produkten glücklich machen», schmunzelt Briner.
Taten wichtiger als schöne Worte
Einig sind sich die Experten darin, dass es Nachhaltigkeit nicht zum Nulltarif gibt. «Der Ebit eines nachhaltigen Unternehmens liegt unter Umständen tiefer, weil viele Umweltkosten immer noch externalisiert sind. Das sollten auch Banken verstehen», gibt Semadeni zu bedenken. Zum Beispiel stellen Kompensationen für nicht vermeidbare Treibhausgasemissionen klare Mehrausgaben dar, die zu Buche schlagen. Briner lobt den Technologiefonds, der Bürgschaften an innovative Schweizer Unternehmen vergibt. Gleichzeitig kritisiert er, dass 100 000 Franken Umsatz eine hohe Schwelle für Startups bilden. Matthews appelliert an Dritte, einem Unternehmen «länger und mit Toleranz» die Stange zu halten, auch wenn dieses eine längere Durststrecke aushalten muss.
«Gutes tun und darüber sprechen» ist eine Devise, nach der sowohl die Semadeni Plastics Group als auch Yeastup leben. «Unser Nachhaltigkeitsmanagement stellt einen Schwerpunkt in unserer Kommunikation dar», räumen Semadeni wie Briner ein. Mindestens so wichtig sei es aber, dass die Produktvorteile überzeugen. Wichtiger als Worte bleiben für Matthews ohnehin die Taten. Für kontraproduktiv hält er es, wenn sich Unternehmen lediglich einen grünen Anstrich geben. «Ich will nicht bunte ESG-Labels sehen, sondern, dass Firmen entweder mit grossen Altlasten aufräumen oder bestimmte kleine Handlungen unzählige Male konsequent richtig machen», sagt der Investor. Klar ist für alle Diskussionsteilnehmenden, dass Nachhaltigkeit zwar einen Effort verlangt – sich aber längerfristig für alle auszahlt: für das Unternehmen, alle Stakeholder, die Gesellschaft und die Umwelt.