Philipp Rufer, Präsident Circular Economy Switzerland und Inhaber Punkt Rufer AG, hat nachhaltige Unternehmensführung zu seinem Beruf gemacht. Bild: zvg
«Wir dürfen die Verantwortung nicht allein den Konsumenten aufbürden»
Als Jury-Mitglied des «Sustainable Shapers» Awards zeigt Philipp Rufer, wie unternehmerische Weitsicht und Nachhaltigkeit zusammenwirken. Im Interview erklärt er, wo Firmen ansetzen können – strategisch wie im Alltag.
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«Wir dürfen die Verantwortung nicht allein den Konsumenten aufbürden»
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• • Anja Ruoss
Gab es einen Moment, in dem Sie Ihre Haltung zur Nachhaltigkeit grundsätzlich überdenken mussten?
Rufer: Meine betriebswirtschaftliche Ausbildung war in Sachen Nachhaltigkeit wenig zukunftsweisend. Der Wendepunkt kam 2012 bei BMW: Ich durfte die Projektleitung für die Einführung der Elektrofahrzeuge übernehmen. Der BMW i3 war nicht nur elektrisch unterwegs, sondern auch ökologisch durchdacht – mit alternativen Materialien und einer nachhaltigen Produktion entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Da wurde mir klar: Es gibt Alternativen zum klassischen Wirtschaftsparadigma – und sie funktionieren.
Was bedeutet nachhaltige Führung für Sie persönlich?
Rufer: Für mich bedeutet nachhaltige Führung, langfristig zu denken, konsequent zu transformieren und alle Beteiligten – intern wie extern – auf diesem Weg mitzunehmen. Nachhaltige Unternehmensführung habe ich zu meinem Beruf gemacht. Seit 2017 begleite ich Unternehmen dabei, zirkuläre und emissionsarme Produkt- und Geschäftsmodelle zu entwickeln und diese in der Unternehmenskultur wie auch Organisation zu verankern.
«Ein zirkuläres Wirtschaftssystem würde die Abhängigkeit von Rohstoffimporten verringern und neue Arbeitsplätze in der Schweiz schaffen.»
Philipp Rufer
Präsident Circular Economy Switzerland und Inhaber Punkt Rufer AG
Wie gelingt es Ihnen, Nachhaltigkeit mit Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen?
Rufer: Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit sind kein Widerspruch – im Gegenteil. Die notwendige Dekarbonisierung folgt dem Prinzip der Vermeidungskosten: Klimaschutzmassnahmen werden nach ihrer Kosteneffizienz priorisiert. Viele erste Schritte sparen über die gesamte Betriebsdauer sogar Geld. Komplexere Massnahmen erfordern hingegen langfristige Investitionen oder eine grundlegende Weiterentwicklung des Geschäftsmodells. Nachhaltige Produkte sind auf Langlebigkeit, einfache Wartung und Reparierbarkeit ausgelegt – und sie lassen sich am Ende ihres Lebenszyklus gut zerlegen, recyceln oder wiederverwenden. Damit solche Produkte wirtschaftlich tragfähig sind, braucht es oft ein Umdenken: weg vom Verkauf, hin zu zirkulären Geschäftsmodellen wie «Product as a Service» – also Miet- oder Nutzungsmodellen. Qualität zahlt sich dadurch für Unternehmen aus, weil sie so die längere Nutzungsdauer und den höheren Restwert der Materialien ihrer Produkte erfolgreich in wirtschaftlichen Gewinn umwandeln können.
Wo sehen Sie aktuell den grössten Hebel für nachhaltiges Wirtschaften in Ihrer Branche?
Rufer: Der grösste Hebel für nachhaltiges Wirtschaften liegt aktuell in der Überwindung linearer Wirtschaftsmechanismen, die energie- und materialintensive Industrien bevorzugen. Es braucht Rahmenbedingungen, die zirkuläre Strategien wie Reparatur, Wiederverwendung oder Aufbereitung fördern – und nicht benachteiligen. Ehrliche Preise für Rohstoffe und Abfälle – wozu auch CO2 zählt – sowie transparente Verbraucherinformationen zu Produkteigenschaften und Reparierbarkeit würden verhindern, dass Unternehmen auf Kosten der Umwelt Gewinne erzielen. Gleichzeitig würde ein zirkuläres Wirtschaftssystem die Abhängigkeit von Rohstoffimporten verringern und neue Arbeitsplätze in der Schweiz schaffen.
«Um die Klimaziele zu erreichen, reicht die Energiewende nicht – wir brauchen auch eine Ressourcenwende.»
Philipp Rufer
Präsident Circular Economy Switzerland und Inhaber Punkt Rufer AG
Gibt es eine Entscheidung, die Sie als Führungskraft getroffen haben, auf die Sie in puncto Nachhaltigkeit besonders stolz sind?
Rufer: Als Berater für Kreislaufwirtschaft unterstütze ich Führungskräfte dabei, Entscheidungen unter Nachhaltigkeitsaspekten zu bewerten. Besonders stolz bin ich, wenn ich die Umsetzung solcher Entscheide begleiten darf – wie etwa bei Tiefbau Stadt Bern: Dort haben wir nach zweijähriger Projektzeit mit Unternehmern und Forschungspartnern Anfang des Jahres die Baustandards angepasst. Seither verursacht jeder neue Quadratmeter Strassenbelag 60 % weniger Emissionen – bei gleichbleibender oder sogar besserer Qualität.
Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Hürden für nachhaltige Transformation in der Schweiz?
Rufer: Natürlich sind individuelle Beiträge wichtig – jeder Kassenbon ist ein Votum für oder gegen nachhaltiges Wirtschaften. Aber wir dürfen die Verantwortung nicht allein den Konsumentinnen und Konsumenten aufbürden. Es braucht nachhaltige Angebote zu fairen Preisen. Billigprodukte halten oft nicht lange und sind über die Zeit gerechnet teurer als hochwertige, langlebige Alternativen. Die Betrachtung der Gesamtbetriebskosten – also der wahren Kosten über die gesamte Nutzungsdauer – ist bislang zu wenig etabliert und Kaufentscheide werden häufig nur aufgrund des Kaufpreises getroffen. Gründe dafür sind eine fehlende Transparenz von Produkteigenschaften und Reparierbarkeit sowie Kostenwahrheit bei Rohstoffen, Abfällen und CO₂-Emissionen.
«Uns fehlt oft das Gespür für die tatsächlichen Umweltwirkungen unserer Handlungen.»
Philipp Rufer
Präsident Circular Economy Switzerland und Inhaber Punkt Rufer AG
Welche Innovation, Technologie oder Initiative überzeugt Sie aktuell besonders?
Rufer: Besonders faszinierend finde ich derzeit die rasanten Entwicklungen in der Batterietechnologie – von neuen Konzepten ohne kritische Mineralien über Reichweiten von über 1000 Kilometern bis hin zu ultraschnellen Ladezeiten. Doch um die Klimaziele zu erreichen, reicht die Energiewende nicht – wir brauchen auch eine Ressourcenwende. Global betrachtet stammen 45 % der Umweltbelastung aus der Bereitstellung von Rohstoffen, Gütern und Lebensmitteln. Die Kreislaufwirtschaft ist der Schlüssel, um dieses riesige ökologische und wirtschaftliche Potenzial zu erschliessen. Besonders inspirierend finde ich zirkuläre Unternehmen, die aus gebrauchten Akkus leistungsstarke Stromspeicher für Gebäude bauen oder mit Schweizer Technologie über 97 % der Materialien aus Lithium-Ionen-Batterien zurückgewinnen. Eine Kreislaufwirtschaft erzielt intelligente Wertschöpfung mit geringeren Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung.
Wer oder was inspiriert Sie persönlich in Ihrem Engagement für eine nachhaltige Zukunft?
Rufer: Ein grosses Vorbild ist für mich Walther Stahel – der Schweizer Pionier der Kreislaufwirtschaft. Schon in den 1970er Jahren entwickelte er das Konzept der «Wirtschaft in Kreisläufen», das auf Wiederverwendung, Reparatur und Verlängerung der Produktlebensdauer setzt. Er forderte auch, dass Unternehmen Produkte nicht verkaufen, sondern als Dienstleistung anbieten. Seine Ideen sind heute aktueller denn je – deshalb habe ich ihn auch für die Auszeichnung «Sustainable Shapers» nominiert.
Welchen Nachhaltigkeitsmythos würden Sie gern ein für alle Mal aus der Welt schaffen?
Rufer: Ich würde gerne Nachhaltigkeits-Denkfehler aus der Welt schaffen, mit denen wir klimaschädliche Handlung vor uns rechtfertigen, weil wir anderswo reduzieren. Beispielsweise der Verzicht auf Plastiksäckli oder Röhrli. Uns fehlt oft das Gespür für die tatsächlichen Umweltwirkungen. Was wir brauchen, sind belastbare Daten – etwa durch Ökobilanzen, die die gesamte Wertschöpfungskette eines Produkts abbilden. Sie schaffen die nötige Objektivität für fundierte Entscheidungen – sowohl für Unternehmen als auch für Konsument:innen.
Welcher einfache, aber wirksame Nachhaltigkeitstipp hat sich in Ihrem Führungsalltag bewährt?
Rufer: Die R-Strategien «Refuse», «Refurbish» und «Reuse». Also: Brauche ich das wirklich? Kann ich es aufrüsten? Gibt es eine gebrauchte Alternative? Nachhaltigkeit beginnt mit den richtigen Fragen.
Sustainable Shapers 2025
Sustainable Switzerland, die Nachhaltigkeitsplattform der NZZ, zeichnet erstmals die «Sustainable Shapers» der Schweiz aus: Herausragende Persönlichkeiten, welche die nachhaltige Entwicklung gestalten und vorantreiben. Ausgezeichnet werden Pioniere und Vordenker, die mit ihrem Engagement und innovativen Konzepten starke Zeichen für eine nachhaltige Zukunft setzen – ökologisch , unternehmerisch und sozial.
Eine unabhängige Jury kürt die «Sustainable Shapers» in den drei Kategorien «Leadership & Transformation», «Knowledge & Opinion» sowie «Vision & Innovation». Die Auszeichnung erfolgt am Sustainable Switzerland Forum am 2. September 2025 in Bern.
Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.