«Transparent zu Netto-Null»
Swisscom treibt die Dekarbonisierung der Lieferketten aktiv voran. Worauf es dabei besonders ankommt, erläutern Swisscom-Manager Oliver Oberli und Holger Hoffmann-Riem vom Verein «Go for Impact».
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Ein Grossteil der Emissionen entsteht nicht bei den Swisscom-Direktlieferanten, sondern zum Beispiel in der vorgelagerten Produktion von Microchips. Foto: Adobe Stock
Swisscom treibt die Dekarbonisierung der Lieferketten aktiv voran. Worauf es dabei besonders ankommt, erläutern Swisscom-Manager Oliver Oberli und Holger Hoffmann-Riem vom Verein «Go for Impact».
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6 Min. • • Elmar zur Bonsen, Sustainable Switzerland Editorial Team
Swisscom hat ambitionierte Ziele im Klima- und Umweltschutz. Im Mittelpunkt steht die Absenkung der Treibhausgasemissionen bis 2035 auf Netto-Null. Wo liegt die grösste Hürde auf dem Weg zu diesem Ziel?
Oliver Oberli: Mehr als 90 Prozent des Fussabdrucks von Swisscom stammen aus dem sogenannten Scope-3-Bereich. Diese Emissionen entstehen entlang unserer Wertschöpfungsketten und sind von uns nur indirekt beeinflussbar. Zusätzlich komplex macht das Ganze, dass der Grossteil der Emissionen oft nicht bei unseren Direktlieferenten selbst entsteht, sondern entlang der gesamten Lieferkette, zum Beispiel in der Produktion von Microchips, welche in späteren Produktionsschritten verbaut werden. Viele unserer Direkt- lieferanten tun sich entsprechend schwer mit verbindlichen Absenkungs-Commitments, da sich die Lieferketten meist über sieben bis acht Stationen erstrecken.
Swisscom ist eine der grössten Einkäuferinnen der Schweiz: Wie viele Lieferanten haben Sie? Und erkennen Sie Muster in der Verteilung des CO₂?
Oberli: Swisscom hat aktuell mit 3 000 Lieferanten aktive Einkaufsbeziehungen. Wir arbeiten kontinuierlich an der Transparenz, damit wir uns auf die richtigen Hebel fokussieren. Heute können wir sagen: Zwei Drittel der Emissionen aus unseren Lieferketten stammen aus der Zusammenarbeit mit rund 20 Lieferanten. Weitere 25 Prozent der Emissionen kommen von circa 100 Lieferanten, primär aus dem Netzbereich und von Handelswaren sowie der Logistik.
Wie gehen Sie konkret vor, um die Emissionen in den Lieferketten zu senken? Welche Anforderungen müssen Ihre Partner erfüllen und wie kommunizieren Sie mit ihnen?
Oberli: Wenn wir als Swisscom, als Wirtschaft oder als Gesellschaft Netto-Null erreichen wollen, müssen alle ihren Beitrag leisten. Es haben aber längst nicht alle Akteure die gleiche Verantwortung und Möglichkeiten. Mit unseren Top-100-Lieferanten machen wir auf Basis der jährlichen CDP-Reportings sogenannte Klimamaturitäts-Assessments. CDP steht für «Carbon Disclosure Project» und ist ein Offenlegungssystem, mit dem die Klimaauswirkungen von Unternehmen beurteilt werden können. Basierend auf den erhaltenen Scorecards zeigen wir den Partnern unsere Erwartungen auf und wie sie sich auf das nächste Level hin entwickeln können. Am meisten Impact haben die Unternehmen, wenn sie sich klare und umfassende Ziele gemäss SBTi (Science Based Targets initiative) setzen, was auch Scope-3-Emissionen umfasst, ausserdem einen hohen Prozentsatz an erneuerbaren Energien und nachhaltige Rohstoffe nutzen, über schlagkräftige Kreislaufwirtschaftsprogramme verfügen und ihr Top-Management nachweislich finanziell incentiviert ist, um die gesetzten Umweltziele zu erreichen. Diese Kriterien fliessen auch bei Ausschreibungen in die Nutzwertanalyse mit ein. Für Lieferpartner mit grossem CO₂-Fussabdruck führen wir massgeschneiderte Dekarbonisierungsprogramme durch, erörtern mit ihnen den Ursprung der Emissionen und erarbeiten gemeinsam dedizierte Massnahmenpläne.
«Wir zeigen den Partnern unsere Erwartungen auf und wie sie sich auf das nächste Level hin entwickeln können.»
Oliver Oberli
Head of Sustainable Procurement bei Swisscom
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Oberli: Die 2023 auf den Markt gebrachte TV-Box 5 zeigt exemplarisch auf, was sich in enger Zusammenarbeit erreichen lässt. Die Box besteht zu 65 Prozent aus rezykliertem Kunststoff und ist unsere bisher kleinste und energiesparendste TV-Box. Das Gerät verbraucht 35 Prozent weniger Strom als das Vorgängermodell. Mit Aktivierung des Deep-Standby-Modus durch die Kunden kann der Jahresverbrauch nochmals halbiert werden.
Ihre Lieferanten müssen sich auch schriftlich verpflichten?
Oberli: Ja, wir erwarten von allen Lieferanten, dass sie unseren «ESG Lieferanten Code of Conduct» unterzeichnen. Dieser beinhaltet neben Umweltaspekten auch soziale und Governance-Aspekte.
Wie stellen Sie fest, dass sich Ihre Lieferanten tatsächlich an Ihre Vorgaben halten, und was tun Sie, wenn das nicht der Fall ist?
Oberli: Im Telco-Verbund JAC (Joint Alliance for CSR) führen wir jährlich knapp 200 Lieferanten-Audits durch mit dem Ziel, mehr als 150 000 Arbeitsplätze punkto Einhaltung der Arbeits- und Menschenrechte sowie der Umweltaspekte zu prüfen. Es gibt Themen mit einer Nulltoleranz, zum Beispiel Kinder- und Zwangsarbeit oder Verwendung von verbotenen Chemikalien. Was CO₂-Emissionen betrifft, sind wir uns bewusst, dass es um eine Transformation geht. Wir haben dazu spezifische Supplier-Development-Programme entwickelt. Dabei stossen wir tiefer in die Lieferketten vor und arbeiten mit wichtigen Sublieferanten zusammen. Gemeinsam mit dem Direktlieferanten und externen Spezialisten unterstützen und begleiten wir die Unternehmen. Die Ausgewählten erkennen bereits während des Programms, dass sie aufgrund der nachweislichen ESG-Verbesserungen für Kunden interessanter werden.
«Der erste Schritt ist immer eine solide Treibhausgasbilanz, die Auskunft gibt, wo überhaupt Emissionen anfallen.»
Holger Hoffmann-Riem
Nachhaltigkeitsexperte und Projektleiter bei «Go for Impact»
Viele Unternehmen beklagen den hohen Aufwand, der durch neue ESG-Gesetze national und international, insbesondere in der EU, bezüglich der Lieferketten entstanden sei. Wie sehen Sie hier Aufwand und Ertrag?
Holger Hoffmann-Riem: Es ist in der Tat so, dass die neuen Gesetze und Verordnungen für Unternehmen mit einem gigantischen Reporting-Aufwand verbunden sind – insbesondere auf EU-Ebene. Das führt zur paradoxen Situation, dass einige Unternehmen keine Ressourcen mehr haben, um Reduktionsmassnahmen in Angriff zu nehmen – die Mitarbeitenden im Nachhaltigkeitsmanagement sind mit dem Reporting schon voll ausgelastet. Ich hoffe, dass sich in Brüssel – wie auch in Bern – die Erkenntnis durchsetzt, dass «mehr Reporting» nicht gleichbedeutend mit «mehr Wirkung» ist. Und dass der Fokus auf Daten gelegt wird, die unmittelbar in die Planung von Massnahmen einfliessen können.
Was bringen die neuen Reporting-Pflichten, einmal abgesehen vom grossen Aufwand?
Oberli: Sie führen zu mehr Transparenz und zwingen Unternehmen, sich mit Herausforderungen bis tief in ihren Lieferketten auseinanderzusetzen. Wenn daraus konkrete Massnahmen entstehen, die sowohl Umwelt- wie auch Sozialbelange verbessern, und Unternehmen ihre Verantwortung dadurch verstärkt wahrnehmen, können diese Gesetze effektiv zu einer Verbesserung führen.
Inwiefern richten Sie Ihr Geschäftsmodell darauf aus, eine Kreislaufwirtschaft in Gang zu bringen beziehungsweise zu fördern?
Oberli: Die von uns und unseren Zulieferern eingesetzten Ressourcen sind endlich und teilweise knapp. Dabei gilt: Je länger eine Ressource eingesetzt wird, desto ökologischer ist sie. Bei den Mobiltelefonen haben wir als Händlerin insbesondere über die Verlängerung der Nutzungsdauer direkte Einflussmöglichkeit auf die Kreislaufwirtschaft. So hat Swisscom in den Jahren 2022 und 2023 jeweils etwa 200 000 Handys per Secondlife-Programme zurückgenommen und einer Weiternutzung oder alternativ dem korrekten Rohstoffrecycling zugeführt. Weitere Informationen dazu bieten wir im Internet unter www.swisscom.ch/kreislauf. Auch bei unseren Eigenprodukten wie Internet- und TV-Boxen haben wir den Anspruch, die Produkte gemeinsam mit unseren Lieferanten bezüglich Material- und Energieverbrauch sowie Langlebigkeit zu verbessern und so die Umweltbelastung zu reduzieren, siehe das erwähnte Beispiel TV-Box 5.
Welchen Tipp geben Sie Unternehmen, die in Sachen nachhaltige Lieferkette noch am Anfang stehen?
Hoffmann-Riem: Im Moment steht das Thema Dekarbonisierung klar im Mittelpunkt, und hier gilt: Der erste Schritt ist immer eine solide Treibhausgasbilanz, die aufzeigt, wo überhaupt Emissionen anfallen, wo die grössten Hebel liegen und welche Massnahmen prioritär angegangen werden sollten. Da viele Unternehmen hier Neuland betreten, empfiehlt sich der Einbezug eines kompetenten Beratungsunternehmens ebenso wie der Austausch mit anderen Unternehmen, die in derselben Situation sind.
Wo steht die ICT-Branche aktuell in puncto Nachhaltigkeit der Lieferkette, auch im Vergleich zu anderen Branchen?
Hoffmann-Riem: Ich kann das auf globaler Ebene nicht beurteilen, aber in der Schweiz gehört die ICT-Branche sicher zu den Branchen, die das Thema frühzeitig angegangen sind – mit Swisscom im Lead. Swisscom hat früh erkannt, dass die ICT-Branche über einen grossen Hebel verfügt, wenn sie ihre Kunden dabei unterstützt, deren Emissionen zu reduzieren. Oberli: Die Emissionen, die Kunden mit der Unterstützung der Swisscom einsparen könnten, sind heute um rund Faktor 3 grösser als die Emissionen von Swisscom über die gesamte Wertschöpfungskette. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dass dieser Faktor durch das Angebot weiterer Dienstleistungen für die Dekarbonisierung und die Zusammenarbeit mit Startups noch deutlich ansteigen wird in den nächsten Jahren.
Deklaration: Dieser Inhalt wurde vom Sustainable Switzerland Editorial Team im Auftrag von Swisscom erstellt.
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