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«Kreislaufwirtschaft überfordert viele Unternehmen»

Am kommenden Freitag widmet sich die «Made in Zürich Initiative» im Landesmuseum dem Thema nachhaltige Verpackungen. Melanie Haupt, Geschäftsführerin von realcycle und Dozentin an der ETH Zürich, wird als eine der Rednerinnen den Teilnehmenden Einblicke geben. Im Interview erläutert sie vorab die aktuellen Herausforderungen und Chancen für Unternehmen auf dem Weg zu nachhaltigeren Verpackungslösungen.

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Frau Haupt, wie steht es um die Nachhaltigkeit bei Verpackungen in der Schweiz? Haupt: Es ist schwierig, eine allgemeine Einschätzung zu geben, da keine konkreten Zahlen vorliegen. Die Lage ist durchzogen: Einige Unternehmen orientieren sich an EU-Richtlinien, da in der Schweiz ein regulatorischer Rahmen fehlt. Doch das Themengebiet ist komplex. Viele Faktoren wie Materialwahl, Verpackungsdesign und Schutzfunktion beeinflussen die Nachhaltigkeit von Verpackungen. Papierbasierte Verpackungen sind beispielsweise nicht immer umweltfreundlicher als Kunststoffverpackungen, obwohl sie so wahrgenommen werden. Unternehmen verlieren sich oft in diesem Spannungsfeld zwischen Kundenwahrnehmung und wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Dr. Melanie Haupt ist Geschäftsführerin von realcycle und Dozentin, unter anderem an der ETH Zürich. Ihr Team fördert die nachhaltige Kreislaufwirtschaft in der Industrie durch umfassende Beratung und Koordination. Mit wissenschaftlich fundiertem Wissen und reichlich Erfahrung begleiten sie Projekte entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von der Produktion bis zum Recycling. Unter dem Leitsatz «Offenes Denken für geschlossene Kreisläufe» arbeiten sie flexibel und kooperativ, um innovative und kompetente Lösungen zu entwickeln.

Worauf müssen Unternehmen achten? Die Schutzfunktion ist eine der wichtigsten Aspekte einer Verpackung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die ökologischen Auswirkungen der Verpackung meist weniger als 10 % des verpackten Produktes ausmachen. Eine nicht recycelbare, aber optimierte Kunststoffverpackung kann daher ökologisch vorteilhaft sein, wenn sie Produktverluste verhindert. Andererseits gibt es auch Produkte, die aus ökologischer Sicht idealerweise gar nicht verpackt werden sollten. Das wird oft übersehen.

Wie sollen Unternehmen vorgehen, die eine Umstellung auf nachhaltigere Verpackungen planen? In einem ersten Schritt sollte sich ein Unternehmen Gedanken zu seinem Produkt machen. «Wie soll mein Produkt konsumiert werden?», wäre so häufig die bessere Frage als «Wie optimiere ich meine Verpackung?». Denn so wird auch die Frage aufgeworfen, ob eine Verpackung überhaupt notwendig ist.

Und wenn eine Verpackung notwendig ist? Dann müssen Überlegungen zu sämtlichen, voneinander abhängigen Faktoren und Funktionen folgen: Schutz, Lagerung, Transport, Kommunikation, Verbrauch, etc. Zusammenhänge und Trade-Offs zwischen den Faktoren sind dabei extrem wichtig.

Müssen in diesen Prozess auch Konsumentinnen und Konsumenten miteinbezogen werden? Grundsätzlich nein. Die Verantwortung für ökologische Verpackungen liegt bei den Herstellern, nicht bei den Konsumierenden.

Verbrauchende spielen gar keine Rolle? Ich sage «grundsätzlich» nicht wichtig, denn klar wird da jede Marketingabteilung widersprechen. Das ökologisch verpackte Produkt sollte ja noch immer gekauft werden.

Wie kann das gelingen? Eine offene und transparente Kommunikation ist eine Möglichkeit, Konsumierende in die Umstellung einer Verpackung miteinzubeziehen. Diese Sensibilisierung kann auf zahlreichen Kommunikationskanälen laufen und dabei helfen, langfristige Verhaltensänderungen zu fördern.

Es ist also wichtig, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, um nachhaltige Verpackungen zu fördern? Ja, die Sensibilisierung ist von sehr grosser Bedeutung. Je transparenter und umfassender die Konsumierenden informiert werden, desto eher werden die richtigen Entscheidungen getroffen. Zentral dabei ist natürlich, dass die Informationen auf wissenschaftlichen Fakten basieren.

Sie unterstützen Unternehmen bei realcycle selbst bei der Umstellung auf nachhaltige Verpackungsformen. Was ist für Sie ein gutes Beispiel für die Implementierung einer nachhaltigen Lösung aus der Praxis? Wir haben in Zusammenarbeit mit einzelnen Firmen zahlreiche Verpackungen optimieren dürfen – allerdings meist nicht systemisch, wie wir dies gerne würden. Daher arbeiten wir bei realcycle auch am Aufbau von Netzwerken und Systemen – so leiten wir zum Beispiel ein grosses Innosuisse Projekt zum Aufbau eines Kreislaufes für Polypropylen-Verpackungen.

Kreisläufe bzw. die Zusammenarbeit entlang einer Wettschöpfungskette tragen stark zur Nachhaltigkeit eines Produktes bei; stellen Firmen aber vor neue Herausforderungen. Wie haben Sie das bisher erlebt? Die Komplexität der Kreislaufwirtschaft überfordert viele Unternehmen – verständlicherweise. Es müssen viele Akteure abgeholt und eingebunden sowie Verhaltensmuster hinterfragt und angepasst werden. Zudem ist Nachhaltigkeit und deren Messung nicht etwas, was so schnell erfasst werden kann. Der Marktdruck, nachhaltige Lösungen zu präsentieren, führt immer wieder zu Scheinlösungen und Greenwashing.

Wie kann das verhindert werden? Mit dem Aufbau der Initiative CE123.ch versuchen wir bei realcycle, den KMUs bei den ersten Schritten hin zu einer Kreislaufwirtschaft beizustehen, um genau diese Komplexitäten etwas einfacher überwindbar zu machen. Zudem gibt es im Bereich der Verpackungen heute gute und sehr nützliche Tools. Das «Packaging Cockpit» zum Beispiel ermöglicht eine schnelle Berechnung der Rezyklierfähigkeit und der ökologischen Auswirkungen einer Verpackung. Solche Tools werden aber in der Schweiz noch nicht nachgefragt.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Dies ist teils auf die fehlenden politischen Ziele und Rahmenbedingungen zurückzuführen. Teils steckt aber auch einfach eine Angst vor der Komplexität dahinter, welche wir nur durch eine enge Zusammenarbeit aller Akteure abbauen können.

Um diese Zusammenarbeit zu stärken und neue Akteure zu animieren, nehmen Sie an diesem Freitag als Rednerin am Anlass der «Made in Zürich Initiative» im Landesmuseum teil. Was können die Teilnehmenden von Ihnen erwarten? Ich hoffe, den Teilnehmenden den systemischen Blick vermitteln zu können. Ich werde versuchen, am Workshop den Blick für das Wesentliche zu fördern und den Teilnehmenden Mut zu machen, sich dem ganzen Bild zu stellen.

Die «Made in Zürich Initiative»

Die «Made in Zürich Initiative» ist ein Verein der Unternehmen, Einzelpersonen und Institutionen eine Plattform bietet, die entweder in Zürich produzieren oder die städtische Produktion unterstützen. Mit mehr als 160 Mitgliedern etabliert die Initiative das Label «Made in Zürich» als offizielle Herkunftsbezeichnung für Produkte aus der Stadt.

Laut Melanie Haupt fördert «Made in Zürich» einen breiten Informationsaustausch, bietet Best-Practice-Beispiele und inspiriert zu gemeinsamen Handlungsansätzen für eine unabhängige Wertschöpfungskette.

Die Initiative organisiert verschiedene Veranstaltungen, darunter das kommende Event zum Thema «Kreislaufwirtschaft konkret: Verpackung optimieren» im Landesmuseum am nächsten Freitag. Weitere Informationen über die Initiative finden Sie unter madeinzuerich.ch.

Am kommenden Wochenende wird das Landesmuseum in Zürich zum Klimaschauplatz. Ab Freitag finden im Rahmen der Eröffnung der neuen Ausstellung «Das zeite Leben der Dinge» mehrere Veranstaltungen zum Thema Nachhaltigkeit auf dem Gelände des Museums statt. Mehr Informationen dazu finden Sie hier.

Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

9 - Industrie, Innovation und Infrastruktur
12 - Verantwortungvoller Konsum und Produktion

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