Dabei beklagen Aktivisten im Gespräch, dass die Fälle hauptsächlich von Nichtregierungsorganisationen vorgebracht werden. «Das ist ein Problem», sagt Gilles Dufrasne von Carbon Market Watch, einer NGO, die sich vor allem mit der Glaubwürdigkeit von Emissionsmärkten und CO2-Zertifikaten beschäftigt. «Es ist kein effizienter Weg zur Durchsetzung von Vorschriften, wenn man von Nichtregierungsorganisationen erwartet, dass sie Klagen einreichen», so Dufrasne.
Greenwashing ist ein relativ neues Phänomen. Das Gesetz müsse entsprechend an die neuen Realitäten angepasst werden, das fordern Aktivisten immer wieder. Behörden müssten dabei unterstützt werden, notwendiges Wissen und Kapazitäten aufzubauen, sagt Duterte. Die Anwaltskanzlei Linklaters warnte schon 2020 davor, dass die zuständigen nationalen Behörden irreführende Angaben nur fallweise verbieten könnten. Gleichzeitig seien falsche Angaben nicht immer vorsätzlich, es gebe einen grossen Interpretationsspielraum und keine verbindlichen Regeln. Das setze Unternehmen auch unvorhersehbaren Haftungs- und Reputationsrisiken aus.
NGO arbeiten derweil daran, Zahlen und Nachweise zu liefern. Sie wollen zeigen, dass Unternehmen bei ihren grünen Versprechen eher wenig vorzuweisen haben, wenn man sich denn die Mühe macht, sich diese genau vorzunehmen. So hat eine Studie, die am Montag vorgestellt wurde, 24 grosse Unternehmen auf ihre Strategien zur Umsetzung der eigenen Klimaziele, allem voran Netto-Null-Emissionen, untersucht. Das Ergebnis? Keiner der Klimapläne sei völlig überzeugend, so die Untersuchung. Das dänische Schifffahrtsunternehmen Maersk wurde als einziges Unternehmen als «angemessen» bezeichnet, Apple, ArcelorMittal, Google, H&M Group, Holcim, Microsoft, Stellantis und Thyssen-Krupp konnten derweil ein «mässig» in ihrer Bewertung einholen.
Wettbewerbsvorteil durch Wissen?
Einige Behörden greifen schon heute verstärkt durch, um bestehende Regeln durchzusetzen. Nach dem europäischen Verbraucherschutzrecht müssten umweltbezogene Angaben durch Beweise belegt werden, sagt Johnny White von Client Earth. So untersucht die britische Marktaufsichtsbehörde Werbeaussagen der Modebranche, und seit vergangenem Monat auch Behauptungen zu Grundnahrungs- und Haushaltsmitteln. Die niederländische Behörde ging schon gegen Modemarken wie H&M vor, auch Ryanair wurde angehalten, seine Praktiken zu ändern. Eine französische Behörde ermittelt derweil gegen Total Energies.
Auch die Industrie selbst, etwa durch Selbstregulierungsorganisationen der Werbebranche, befasst sich mit einer wachsenden Zahl an Beschwerden – und fordert Verhaltensänderungen. So hat die britische Werbeaufsicht ASA erst vor wenigen Tagen angesichts des «geringen Verständnisses und des fehlenden Konsenses über die Bedeutung von ‹klimaneutralen› und ‹Netto-Null›-Behauptungen» neue, unverbindliche Leitlinien veröffentlicht.
Unternehmen sollten, unter anderem, unqualifizierte Behauptungen wie «klimaneutral», «Netto-Null» oder Ähnliches vermeiden. Bezüge auf künftige Ziele und das Erreichen von Netto-Null sollten derweil auf einer überprüfbaren Strategie beruhen. Viele Unternehmen kaufen sich das Erreichen ihrer Ziele über Kompensationszertifikate ein, was sich erst vor wenigen Wochen mittels einer neuen Untersuchung wieder als riskant entpuppte. Auch darüber sollten Vermarkter Informationen bereitstellen, so die britische Aufsicht.
Verbraucher müssten Vertrauen in die Informationen haben können, um eine nachhaltige Wahl treffen zu können, sagt auch Saskia Bierling von der niederländischen Verbraucherschutzbehörde, der Authority for Consumers and Markets. Das beruhige nicht nur das eigene Gewissen, sondern sei auch deshalb sinnvoll, weil vage und irreführende Angaben das Vertrauen in die Bemühungen von Unternehmen untergrüben. «Das schadet auch den Unternehmen, die sich ernsthaft um eine nachhaltigere Produktion bemühen», sagt Bierling.
Mit der wachsenden Aufmerksamkeit sind einige Unternehmen tatsächlich besorgt, dass sie mit klimafreundlichen Werbungen eher ihrem Ruf schaden, als ihn zu verbessern. «Die «Klimaneutral»-Labels stehen seit Monaten in der Kritik. Bislang war meine Haltung: Solange die Klimaschutzprojekte dahinter nicht infrage stehen, kann man mit der Kritik an den Labels auch umgehen. Aber nun frage ich mich: Welcher Kunde nimmt das noch als Mehrwert wahr?», sagte etwa Raoul Rossmann gegenüber der Wochenzeitung «Die Zeit» , nachdem neue Untersuchungen gezeigt hatten, dass eine grosse Menge an Zertifikaten durch Tropenwaldschutzprojekte keine wirklichen Emissionsminderungen erbracht hatten. Womöglich ginge jetzt «ein Ansporn für nachhaltiges Handeln verloren», sagte Rossmann verärgert.