Geologisch betrachtet sind wir immer noch im Holozän
Die Idee, eine neue Epoche namens Anthropozän auszurufen, reifte in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Immer mehr Wissenschafter und Nichtwissenschafter fanden wegen des ausufernden Einflusses der Menschen auf den Planeten, der angebrochene Zeitabschnitt brauche einen eigenen Namen.
Geologisch betrachtet befinden wir uns seit 2,6 Millionen Jahren im Quartär, welches in die Epochen Pleistozän und Holozän unterteilt ist. Wenn Wissenschafter eine neue Epoche auf der geologischen Zeitskala deklarierten, hätte das in der Öffentlichkeit eine grosse Symbolkraft – es wäre eine Art Adrenalinschub für die Umweltbewegung. Für die Befürworter des Anthropozäns war das immer eine wichtige Motivation.
Eine Arbeitsgruppe um den Geologen Jan Zalasiewicz von der Universität Leicester sammelte jahrelang Informationen, die eine offizielle Deklaration der neuen Epoche unterstützen sollten. Die Mitglieder bestimmten sogar schon einen Zeitpunkt, an dem das Anthropozän anfangen sollte, nämlich das Jahr 1952 – wegen des Beginns von Atomwaffentests. Auch einen Ort, an dem sich der Beginn der Epoche erkennen liesse, haben sie bereits gefunden: Der kleine Crawford Lake in Kanada birgt passende Sedimente, in denen Spuren der Atomwaffentests zu finden sind.
All das hat die erfahrenen Geologen des Fachgremiums nicht überzeugt. Sie haderten vor allem mit dem Startdatum. Der menschliche Einfluss auf die Erdoberfläche begann an manchen Orten schon vor Jahrtausenden – etwa dort, wo die Landwirtschaft ihren Anfang nahm. Andernorts griff der Mensch erst im 20. Jahrhundert spürbar ein. Es gibt also keinen synchronen Beginn.
Auch hätte die Einführung einer Epoche, die keine hundert Jahre lang wäre, für die Forschungsarbeit der Geologen keinen praktischen Nutzen. Die geologische Zeitskala ist eigentlich dazu geschaffen worden, dass man sich zeitlich in der 4,5 Milliarden Jahre langen Erdgeschichte orientieren kann. Schon das Holozän ist vergleichsweise extrem kurz. Die Definition einer ganz neuen jungen Epoche würde viele Aufgaben – die Anfertigung von Karten und Dokumentationen etwa – nur verkomplizieren.
Das Anthropozän ist eher eine Kulturepoche
Die Befürworter der neuen Epoche reagierten frustriert auf den Entscheid, dabei war ihre Arbeit nicht umsonst. Niemand wird die Bezeichnung Anthropozän aufgeben, nur weil sie nicht in der geologischen Zeitskala steht. Der Begriff besitzt viel Strahlkraft und hat durchaus seinen Sinn: Er beschreibt ein weithin zu beobachtendes Phänomen der Zivilisation, das unsere Gegenwart und ihre Sorgen so stark prägt wie kaum ein anderes. Aber man wird den Begriff wohl eher in einem kulturwissenschaftlichen Sinne verwenden – etwa so, wie man von der Renaissance oder dem Zeitalter des Barocks spricht.
Die Geologen haben jedes Recht der Welt, das Anthropozän nicht in ihre Nomenklatur einzuführen. Wissenschaft ist nicht dazu da, weltanschauliche Ansprüche von Zeitströmungen zu befriedigen. Sich von solchen Ansprüchen zu lösen, war eine der zentralen Errungenschaften des Aufklärungszeitalters. Es wäre höchst beunruhigend, fiele man hinter diesen Stand zurück.
Das Fazit? Wir bleiben geologisch betrachtet in der Epoche des Holozäns, das vor rund 12 000 Jahren begann. Und befinden uns gleichzeitig im Kulturzeitalter des Anthropozäns. Das ist kein Widerspruch – sondern beschreibt den Zustand der Welt ziemlich gut.