Die Entwicklung ist geradezu dramatisch: Allein die Schweizer Gletscher haben in den vergangenen drei Jahren mehr als zwölf Prozent ihrer Eismasse verloren. Wenn sich die Temperaturen erwartungsgemäss weiter erhöhen sollten, werden Prognosen zufolge bis zum Ende des Jahrhunderts fast alle Gletscher hierzulande auf ein Minimum abgeschmolzen sein. Das stetige Schwinden ist längst unübersehbar, so wie am Rhonegletscher im Kanton Wallis. Unter der von Emissionsablagerungen schmutzig-grau gefärbten Gletscherzunge rauscht das Schmelzwasser talabwärts. Der See, der sich vor 18 Jahren am unteren Ende des Gletschers gebildet hat, wird von Jahr zu Jahr grösser.
Die weltweit festzustellende Eisschmelze zeitigt gravierende Folgen. Um die Menschheit wachzurütteln, haben die Vereinten Nationen den 21. März neu zum Welttag der Gletscher erklärt.
Gigantische Wasserspeicher
Die Bedeutung der Gletscher für Mensch und Umwelt kann nicht hoch genug eingeschätzt werden: Die Eisriesen speichern derzeit 70 Prozent des Süsswassers auf der Erde und bilden nach den Ozeanen die grössten Wasserspeicher auf unserem Planeten. Sie regulieren den Wasserhaushalt zahlreicher Flusssysteme und versorgen Millionen von Menschen mit Trinkwasser. Ausserdem haben sie entscheidenden Einfluss auf das Weltklima.
Nach Angaben der Experten sind inzwischen weltweit rund 275.000 Gletscher gefährdet, in den Polarregionen ebenso wie im Himalaya, in den Rocky Mountains oder in Argentinien. Wie eine Studie der Schweizer Universität Fribourg zeigt, war der Schwund der Gletscher zwischen 2012 und 2023 etwa 36 Prozent grösser als in den zehn Jahren davor. Hauptursache sei der menschengemachte Ausstoss von Treibhausgasen, die das Klima erwärmen.
273 Milliarden Tonnen Eisverlust
Die Auswirkungen der globalen Gletscherschmelze sind gleich in mehrfacher Hinsicht alarmierend: Schmelzende Gletscher tragen zum globalen Anstieg des Meeresspiegels bei. Verschärft sich die Entwicklung weiter, werden eines nicht mehr fernen Tages Inseln und Küstenregionen überspült, Wohngebiete unbewohnbar und Ackerflächen zerstört. Wie es in einer Studie unter Leitung der Universität Zürich heisst, haben die Gletscher weltweit seit 2000 jedes Jahr rund 273 Milliarden Tonnen Eis verloren. Das habe 18 Millimeter zum Meeresspiegelanstieg beigetragen. Die US-Klimabehörde Noaa geht davon aus, dass der Meeresspiegel Ende des Jahrhunderts rund 30 Zentimeter höher liegen wird als im Jahr 2000, und das selbst dann, wenn die Treibhausgasemissionen in den kommenden Jahrzehnten auf relativ niedrigem Niveau bleiben sollten.
Zudem haben Gletscher eine einzigartige Funktion im Ökosystem: Sie geben ihr gespeichertes Wasser allmählich ab, wodurch Flüsse, Seen und Grundwasser kontinuierlich gespeist werden. Doch durch den Klimawandel geraten diese Prozesse aus dem Gleichgewicht. Geowissenschaftler der Universität Fribourg sagen ab dem Jahr 2050 eine rapide Verringerung der Schmelzwassermenge voraus. Derzeit ströme zwar von den Gletschern aufgrund des Klimawandels mehr Wasser als üblich in die Flüsse – so setzt sich zum Beispiel die Wassermenge der Rhône im Schnitt zu einem Viertel aus Schmelzwasser zusammen. Doch sei dieses Bild trügerisch, betonen die Wissenschaftler. Sie erwarten, dass die Alpengletscher in 90 Jahren nur noch ein Zehntel des heutigen Eisvolumens besitzen werden. In der Folge werden auch die Flüsse weniger Wasser führen – mit Auswirkungen auf den Schiffsverkehr, die Flusskraftwerke, die Trinkwasserversorgung und die Landwirtschaft.
In Gefahr gerät auch die biologische Vielfalt. Die Gletscherschmelze schafft Studien zufolge zunächst zwar neuen Lebensraum für Pflanzen aller Art. Doch das ist nur vorübergehend der Fall. Am Ende, wenn die Gletscher vollständig abgeschmolzen sind, werden mehr als ein Fünftel der Pflanzenarten verschwinden.
Geringere Niederschläge
Klimaforscher prognostizieren, dass in vielen wasserarmen Weltregionen zukünftig noch weniger Niederschlag fallen wird, bei einer gleichzeitig höheren Wasserverdunstung aus Flüssen, Seen und der Vegetation. Aber auch extreme Wetterereignisse wie Starkregen dürften in vielen Ländern noch häufiger auftreten. Das erschwert besonders die Agrarwirtschaft und damit die Versorgung mit Lebensmitteln.
Klimaschutzmassnahmen, nachhaltige Wassernutzung und internationale Kooperationen seien entscheidend, um die Wasserversorgung zukünftiger Generationen zu sichern, betont die UNO. Aber auch jede und jeder Einzelne kann einen Beitrag leisten – durch bewussten Wasserverbrauch, Unterstützung nachhaltiger Projekte und die Reduktion des persönlichen CO₂-Fussabdrucks.