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ESG ist ein laufendes Projekt – aber kein Selbstzweck

Klaus Schwab ist Gründer und Geschäftsvorsitzender des World Economic Forum (WEF). Bild: PD

Wirtschaft

ESG ist ein laufendes Projekt – aber kein Selbstzweck

Ein Gastbeitrag von Klaus Schwab, Gründer und Geschäftsvorsitzender des Weltwirtschaftsforums – das World Economic Forum (WEF) findet jeweils im Januar in Davos statt.

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Vor nunmehr fast drei Jahren stellten sich führende Wirtschaftsvertreter der Verantwortung gegenüber ihren Stakeholdern und leiteten eine Ära ein, in der sich Unternehmen nicht nur gegenüber ihren Aktionären, sondern auch gegenüber einer breiteren Gruppe von Stakeholdern verantwortlich fühlen. Bei einigen Unternehmen, insbesondere solchen in Familienbesitz, fand kein wirklicher Paradigmenwechsel statt, weil diese Unternehmen schon immer die enge Verbindung zwischen ihren Aktionären und anderen Interessengruppen der Gemeinschaft anerkannt hatten. Auf der anderen Seite begannen sich viele Unternehmen, die zuvor kurzfristige Gewinne für die Aktionäre in den Vordergrund gestellt hatten, auf ein pflichtbewusstes und langfristig nachhaltiges Wachstum zu konzentrieren.

Kurz am dritten Jahrestag (19. August 2022) der von fast 200 CEOs unterzeichneten Erklärung des Business Roundtable (siehe Box) über den Zweck eines Unternehmens, die das langjährige Engagement des Weltwirtschaftsforums für Stakeholder-Kapitalismus und Environmental-, Social- und Governance-Praktiken (ESG) unterstützt, muss unbedingt untersucht werden, wie dieser unternehmerische Wandel in kulturelle und ideologische Auseinandersetzungen hineingetragen wurde – und welche Kritik und Fortschritte bisher zu vermelden sind.

Eine Reihe von Kritikpunkten

Eine Kritik lautet, dass die Stakeholder-Verantwortung unzureichend ist, weil sie zu sehr auf qualitativen Faktoren beruht. Es stimmt, dass die Leistung von Stakeholdern nicht so leicht messbar ist wie die finanzielle Leistung von Unternehmen, die in der Regel gut etablierte Rechnungslegungsrahmen verwenden. Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass es Jahrzehnte gedauert hat, vergleichbare Rechnungslegungsstandards zu entwickeln, und dass wir heute immer noch mehrere Standards haben (GAAP, IFRS, FASB usw.) und noch kein einheitliches globales Rechnungslegungssystem existiert. Viele Unternehmen und Organisationen beginnen, sich an ESG-Rahmenwerke wie GRI, TCFD und SASB zu halten, und das Weltwirtschaftsforum hat in Zusammenarbeit mit PwC, EY, KPMG und Deloitte eine eigene Reihe von Kennzahlen entwickelt, um die Angleichung innerhalb der bestehenden ESG-Rahmenwerke zu fördern.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass ESG den Unternehmen nur dazu dient, gute Publicity zu bekommen, und dass die CEOs nur leere Versprechungen machen. Mit der zunehmenden Sensibilisierung für die Stakeholder-Verantwortung sehen sich die Unternehmen einem wachsenden Druck seitens der Öffentlichkeit und der Investoren ausgesetzt, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Angesichts der manchmal hochtrabenden und zweideutigen Versprechungen der Unternehmen zweifeln viele Menschen an der Ernsthaftigkeit der unternehmerischen Zusagen und behaupten, dass die Unternehmen beispielsweise aus Gründen der Öffentlichkeitsarbeit bei ihrem Umweltengagement "Greenwashing" betreiben.

Obwohl die ESG-Grundsätze 2020 einen grossen Durchbruch erzielten, nachdem sich über 100 führende multinationale Unternehmen auf das erste universelle Konzept für vergleichbare ESG-Kennzahlen geeinigt hatten, bleibt noch viel zu tun. Dies gilt insbesondere für die Berichterstattung und Rahmenwerke, vor allem, wenn Standardsetter wie die FTC, die SEC und die EU-Kommission stark involviert sind.

Die Einbindung von Regulierungsbehörden und Leitungsgremien hat zu zusätzlichem Widerstand aus traditionellen Kreisen geführt, die ESG als eine progressive Bewegung darstellen, die darauf abzielt, das freie Unternehmertum zu untergraben. So wurden die ESG-Grundsätze beispielsweise von populistischen Gruppen, die nicht an den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel glauben, heftig angegriffen. Das Akronym ESG selbst weist erhebliche Überschneidungen auf – das «E» könnte mit dem «S» in ESG zusammenfallen, weil die Sorge um die Umwelt (Environmental) als soziale (Social) Verantwortung und Teil unserer Verpflichtung gegenüber künftigen Generationen angesehen werden könnte. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Mehrdeutigkeit des Begriffs ESG, weil sich unterschiedliche Definitionen, Berichterstattungspraktiken und Rahmen entwickelt haben.

In die richtige Richtung, doch …

Die ESG-Bewegung war und ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, aber wir sollten den Zweck nicht mit den Mitteln verwechseln. Entscheidend ist es, den Zweck des Unternehmens zu definieren und die notwendigen Leistungskennzahlen zu schaffen. Wir müssen auch klarstellen, dass es keinen inhärenten Konflikt zwischen wirtschaftlichen Zielen und den ESG-Zielen gibt, wie viele uns glauben machen wollen. Dazu muss mit der Vorstellung, was gut für den Planeten ist, sei schlecht für die Aktionäre und umgekehrt, aufgeräumt werden. Es geht also nicht darum, den Kapitalismus anzugreifen, sondern ihn für alle Beteiligten nachhaltig zu gestalten und gleichzeitig den Unternehmern die Möglichkeit zu geben, sich auf ihr Hauptziel zu konzentrieren, nämlich nachhaltiges Wachstum für ihre Unternehmen zu schaffen.

Unternehmen erreichen nachhaltiges Wachstum auf unterschiedliche Weise, aber viele Unternehmer, die sich an den Interessengruppen orientieren, konzentrieren sich auf:

  1. Rentabilität – sie hören allen Interessengruppen zu, insbesondere den Kunden;
  2. Wachstumspotenzial – sie konzentrieren sich auf Innovation, strategische Investitionen und die Gewinnung der besten Talente;
  3. Resilienz – sie bewerten weiterhin alle Aspekte und bereiten sich auf Marktinstabilität und Risiken vor.

Bei Unternehmen, die ESG meiden, könnten diese drei Wachstumsströme beeinträchtigt werden, weil den Stakeholdern die Umwelt, die soziale Gerechtigkeit und eine gute Unternehmensführung wichtig sind.

ESG ist also kein Selbstzweck. So wie wir die Gesundheit und Vitalität eines Menschen nicht nur anhand seines Blutdrucks messen sollten, sollten wir auch das nachhaltige Wachstumspotenzial eines Unternehmens nicht nur anhand der Gewinne der Aktionäre und der Finanzbuchhaltung beurteilen. Dieser Wandel ist heute umso wichtiger, als die Rolle der Wirtschaft bei der Förderung der Zusammenarbeit und der Bewältigung globaler Herausforderungen nach wie vor entscheidend ist. Man denke nur daran, wie die internationale Zusammenarbeit es ermöglichte, in Rekordzeit Covid-19-Impfstoffe zu entwickeln und zu vertreiben.

Letztendlich werden die heute wahrgenommenen Unzulänglichkeiten des Stakeholder-Kapitalismus‘ in den Hintergrund treten, weil er wirtschaftlich sinnvoll ist und die Berücksichtigung aller Stakeholder für die Aktionäre eines Unternehmens der profitabelste Weg nach vorne ist.

Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

8 - Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum

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