Permafrost macht bis zu 5 Prozent der Landesfläche der Schweiz aus. Nun taut er auf und erhöht die Gefahren in den Bergen
Der Klimawandel erwärmt den eisigen Boden im Schweizer Hochgebirge. Wo das Eis schmilzt können Felshänge instabiler werden. Neue Daten zeigen, welche Veränderungen drohen.
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Permafrost macht bis zu 5 Prozent der Landesfläche der Schweiz aus. Nun taut er auf und erhöht die Gefahren in den Bergen
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• • Anna Weber, Kalina Oroschakoff, «Neue Zürcher Zeitung»
Weit oben in den Schweizer Bergen prägt Kälte die felsige Landschaft. Dort befindet sich der Permafrost – Boden aus Fels oder Schutt, der andauernd gefroren ist.
Doch im Zuge steigender Temperaturen taut der eisige Boden im Hochgebirge zunehmend auf. Das zeigen Daten des Netzwerks Permos, das einen neuen Bericht zum Zustand des Permafrosts in der Schweiz veröffentlicht hat.
Diese Entwicklungen könnten das Hochgebirge gefährlicher machen, halten die Forscher im Bericht warnend fest. Der auftauende Permafrost könne die Stabilität von Hängen verringern und die Wahrscheinlichkeit von Steinschlägen erhöhen. Auch beim Bergsturz in Blatten vor wenigen Wochen könnte das ein Faktor gewesen sein.
Was genau es bedeutet, wenn Permafrost auftaut, und welche Veränderungen das mit sich bringt, lässt sich eindrücklich anhand der Daten von Permos visualisieren.
Die Vermessung des Permafrosts in der Schweiz
Heute macht Permafrost bis zu fünf Prozent der Landesfläche der Schweiz aus. Wo genau er vorkommt, hat das Bundesamt für Umwelt in einer detaillierten Karte festgehalten. Es sind die steilen und hoch gelegenen Felswände und Schutthalden oberhalb von 2500 Metern. Dort, wo es besonders kalt ist, kann Permafrost bis in Hunderte Meter Tiefe reichen.
Im Netzwerk Permos arbeiten sieben Forschungsinstitute zusammen. An 27 Standorten in der Schweiz beobachten sie den Zustand und die Entwicklung des Permafrosts.
Die Forscher messen nicht nur die Temperatur an der Oberfläche und in der Tiefe des Bodens, sondern auch Veränderungen im Eisgehalt des Permafrosts und die Geschwindigkeit, mit der Blockgletscher gen Tal kriechen. Vielerorts hätten die Messungen im Jahr 2024 neue Rekordwerte verzeichnet, heisst es im Bericht.
Jeannette Nötzli ist die Leiterin des Permos-Netzwerks, sie arbeitet am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF). «Wir sehen jetzt sehr deutlich: Überall wird der Permafrost wärmer, es hat weniger Eis und mehr Wasser im Boden, und die Blockgletscher kriechen schneller talwärts», sagt Nötzli.
Der Permafrost nimmt in den Alpen unterschiedliche Formen an. Aber die zunehmende Erwärmung betrifft seine Entwicklung überall. Drei Messstationen in der Schweiz illustrieren das besonders gut: das Jungfraujoch, das Schilthorn und der Hungerlitälli-Blockgletscher im Wallis.
Jungfraujoch: Auch tief im Untergrund steigt die Temperatur
Jedes Jahr neue Hitzerekorde: Für die Luft kennen wir diese Nachrichten. Was für die Luft gilt, gilt auch für den Untergrund. Selbst im eisigen Fels am Jungfraujoch wird es immer wärmer.
Auf 3700 Metern Höhe haben die Permos-Forscher dort eine Messstation in den Fels gebohrt. Das Jungfraujoch ist ein Beispiel für kalten Permafrost, in dem nur wenig Eis steckt. Zehn Meter unter der Erde liegt die Temperatur im Jahresmittel bei etwa –5 Grad Celsius.
Dort jedenfalls lagen die Temperaturen noch zu Beginn der Messungen 2011. Im Jahr 2024 lag die Temperatur im Durchschnitt schon bei mehr als –4 Grad Celsius. «Wir sehen im Untergrund einen ähnlich grossen Temperaturanstieg wie in der Luft», sagt Nötzli. «Der Boden erwärmt sich im kalten Permafrost ungefähr um 1 Grad pro Jahrzehnt.»
Der Trend hin zu höheren Temperaturen ist an allen Stationen der gleiche. Mehr als die Hälfte der Messstationen hat 2024 zudem Rekordtemperaturen registriert. Für die Forscher ist das ein deutliches Klimasignal. Denn die Wärme dringt nur mit Verzögerung tief in den Boden hinein. Die Schwankungen des Wetters, das mal wärmer, mal kälter ausfällt, sind tief unten kaum noch wahrzunehmen. Wird es hier wärmer, zeigt das: Die Temperaturen steigen dauerhaft.
Trotz der Erwärmung ist der Permafrost am Jungfraujoch noch immer sehr kalt. Von einem Auftauen kann in solchen Höhen also noch nicht die Rede sein.
Schilthorn: Der Permafrost taut auf
Die Permos-Messstation am Schilthorn liegt auf 2900 Metern Höhe und befindet sich damit an der unteren Grenze des Permafrostgebiets. Hier taut der Permafrost immer mehr auf.
Grundsätzlich ist es ganz normal, dass die oberste Schicht im Sommer auftaut. Im Herbst oder Winter friert diese dann wieder ein. Die Dicke der Auftauschicht ist dabei ein gutes Mass dafür, wie tief die Wärme im Sommer in den Boden eingedrungen ist. Die Messungen am Schilthorn zeigen: In den vergangenen zwanzig Jahren taute eine immer dickere Schicht des Permafrosts im Sommer auf.
Im Jahr 2000 waren es nur die obersten 4 Meter des Bodens, im Sommer 2022 waren es dann schon 13 Meter. In den vergangenen zwei Jahren ist womöglich sogar noch mehr aufgetaut – doch die Messungen können das nicht länger erfassen. Denn das Bohrloch am Schilthorn ist nur 13 Meter tief.
Dass es wärmer wird, ist das eine. Weitere Messungen haben zudem gezeigt, dass am Schilthorn immer mehr Eis schmilzt. Dieses hatte Poren und Klüfte im Fels vorher versiegelt. Nun dringt flüssiges Wasser in die Ritzen im Stein. Das bringt noch mehr Wärme in die Tiefe und beschleunigt das Auftauen zusätzlich. Ausserdem kann Wasser, das in Klüfte eindringt, einen hohen Druck ausüben. «Das kann Erosion im Fels beschleunigen und verstärken», sagt Nötzli.
Und noch etwas ist besonders am Schilthorn: Seit zwei Jahren gefriert hier die Auftauschicht auch im Winter nicht mehr. Der Permafrost ist also nur noch auf die tiefsten Erdschichten begrenzt. Bald wird er hier ganz verschwinden.
Hungerlitälli: Blockgletscher kriechen schneller zu Tal
Blockgletscher sind eine Mischung aus Eis und Gestein. Mit normalen Gletschern haben sie wenig gemein. Stattdessen sind sie ein Auswuchs des Permafrosts, bei dem sich sehr viel Eis mit Schutt mischt.
Diese Blockgletscher kriechen Jahr für Jahr bergab. Wie schnell sie sich bewegen, sagt viel über den Zustand des Permafrosts aus. Und auch hier zeigt sich: Die Erwärmung nimmt zu, die Blockgletscher kriechen immer schneller. Denn ihre Geschwindigkeit hängt von der Temperatur ab. Ein Blockgletscher mit mehr flüssigem Wasser kann sich schneller bewegen. «Die Blockgletscher krochen noch um die Jahrtausendwende in einer Grössenordnung von einigen Dezimetern pro Jahr», sagt Nötzli. «Heute beobachten wir Meter pro Jahr.»
Besonders deutlich war das im vergangenen Jahr am Hungerlitälli-Blockgletscher im Wallis zu sehen. In den vergangenen fünfzehn Jahren hat sich dessen Bewegung deutlich beschleunigt.
«Ein Blockgletscher ist wie ein Förderband», sagt Nötzli. Bewegt er sich schneller, bringt er mehr Schutt und Steinmaterial an seine Front in Richtung Tal. Wenn sich darunter eine steile Rinne befindet, kann sich diese mit viel Gestein füllen – das bei starkem Regen als Murgang ins Tal donnern kann.
Tauender Permafrost: ein Faktor für Naturgefahren
Führt das Schwinden des Permafrosts in Zukunft dazu, dass sich grosse Naturkatastrophen wie der Bergsturz von Blatten häufen? Das ist laut Nötzli schwer zu sagen. Denn dafür müssen viele verschiedene Faktoren zusammenkommen, und es kommt stark auf die Geologie und die Topografie des Geländes an.
Dennoch: Die Änderungen im Permafrost können die Stabilität der Berghänge weiter reduzieren. «Die Wahrscheinlichkeit für Felsstürze aus dem Permafrostgebiet erhöht sich», sagt Nötzli. «Da ist ein zusätzlicher Stress im ganzen Berg.»
Das gilt auch für die Forscher. Der tauende Permafrost erschwert ihre Arbeit. Zum Teil steigen auch die Risiken, vor Ort zu messen. Das schmelzende Eis wird zu Wasser, das in die elektronischen Geräte eindringen kann. Der locker gewordene Fels sorgt für mehr Steinschläge, die die Messgeräte unter sich begraben. Und die grössere Bewegung im Blockgletscher lässt die Bohrlöcher dort zusammenbrechen.
Die Wissenschafter werden trotzdem weitermachen. Ihre aufwendigen Messungen machen die schleichenden Entwicklungen im Permafrost erst sichtbar. Und ermöglichen es der Schweiz, sich auf die Veränderungen und mögliche Risiken vorzubereiten.
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Dieser Artikel behandelt folgende SDGs
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