Die kältesten Sommer gab es nach Vulkanausbrüchen
Damit die Rekonstruktionsmethode für Temperaturen richtig funktioniert, muss sie kalibriert werden. Dazu verglichen die Wissenschafter die gemessenen Temperaturen zwischen 1901 und 2010 mit Baumringen aus demselben Zeitraum. Weil die meisten Messstationen zwischen 30 und 90 Grad nördlicher Breite liegen, hat das Team um Esper nur diesen Bereich der Nordhalbkugel untersucht und die Tropen weggelassen.
Die kältesten Sommer der vergangenen 2000 Jahre seien jeweils nach starken Vulkanausbrüchen aufgetreten, sagte Jan Esper an einer Medienkonferenz. Die tiefste Temperatur wurde demnach im Jahr 536 erreicht. Ein Vulkan hatte zuvor so viele Partikel in die Stratosphäre geschleudert, dass die Sonne verdunkelt wurde. Der Sommer 2023 war rund 4 Grad Celsius wärmer als der Sommer 536 – auch dies bezogen auf die Nordhalbkugel ohne Tropen.
Welcher Zeitraum eignet sich für das vorindustrielle Niveau?
Aus der Studie geht ausserdem hervor, dass die seit Jahren laufende Diskussion über das sogenannte «vorindustrielle Temperaturniveau» weitergehen wird. So bezeichneten Klimaforscher ursprünglich das Temperaturniveau vor Beginn des Industriezeitalters. Weil es aus jener Zeit aber so gut wie keine Messungen gibt, bezieht man sich heute aus praktischen Gründen auf den Zeitraum von 1850 bis 1900, wenn das vorindustrielle Temperaturniveau gemeint ist.
Doch die Temperaturmessungen waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch recht ungenau. Schon aus früheren Studien ist bekannt, dass man damals höhere Temperaturen gemessen hat, als sie eigentlich geherrscht haben. Laut Esper wurde damals noch nicht ausreichend darauf geachtet, dass sich die Thermometer für eine korrekte Messung immer im Schatten befinden müssen.
Die Nature-Studie liefert nun neue Hinweise darauf, dass die Vermutung verfälschter Messungen stimmt. Anhand der Baumringe ermittelte das Team um Esper, dass die Sommertemperatur auf der Nordhalbkugel zwischen 1850 und 1900 rund 0,24 Grad Celsius niedriger war, als man es zuvor aus den Messungen geschlossen hatte.
Wie man in Zukunft mit dem Problem des vorindustriellen Temperaturniveaus umgehen soll, kann derzeit niemand sagen, auch Esper nicht. Würden Klimaforscher einen früheren Zeitraum als Referenzzeitraum wählen, müssten sie dies mit einer grösseren Ungewissheit erkaufen.
Die Studie liefert somit neue Hinweise darauf, welche Probleme es mit sich bringt, die Klimapolitik an Temperaturziele wie das 2-Grad-Ziel oder das 1,5-Grad-Ziel zu koppeln, welche bis auf Zehntelgrad genau formuliert sind. Politisch aufgeladene Diskussionen über Studien zur Klimageschichte sind damit programmiert.