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So warm wie im Sommer 2023 war es auf der Nordhalbkugel seit mindestens 2000 Jahren nicht

Eine Analyse von Baumringen liefert jetzt eine bis aufs Jahr genaue Klimageschichte. Diskussionen dürfte die Studie aus einem anderen Grund auslösen – dieser hängt mit der Industrialisierung zusammen.

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So warm wie im Sommer 2023 war es auf der Nordhalbkugel seit mindestens 2000 Jahren nicht

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Das vergangene Jahr war nicht bloss das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen. Forscher in Grossbritannien und Deutschland haben jetzt herausgefunden, dass der Sommer 2023 auf der Nordhalbkugel sogar der wärmste der vergangenen 2000 Jahre war.

Dass das heutige Temperaturniveau im Vergleich mit den vergangenen 2000 Jahren aussergewöhnlich hoch ist, wusste man zwar schon, aber die Aussagen waren recht ungenau. Die neue Studie – nachzulesen ist sie im Wissenschaftsmagazin «Nature» – vermag die Sommertemperatur nun aufs Jahr genau zu rekonstruieren. Darüber hinaus liefert sie neue Argumente in einer laufenden Debatte um das vorindustrielle Temperaturniveau.

Messungen mit Thermometern an Wetterstationen begannen erst im 19. Jahrhundert. Um die Temperaturen in der Zeit davor zu ermitteln, braucht es also andere Informationsquellen. Die Wissenschafter um Jan Esper von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz werteten für ihre Studie darum Baumringe aus. Bäume bilden jährliche Ringe, deren Breite Aufschluss darüber gibt, wie warm der Sommer war. Diese Methode hat sich in vielen früheren Studien bewährt.

Die kältesten Sommer gab es nach Vulkanausbrüchen

Damit die Rekonstruktionsmethode für Temperaturen richtig funktioniert, muss sie kalibriert werden. Dazu verglichen die Wissenschafter die gemessenen Temperaturen zwischen 1901 und 2010 mit Baumringen aus demselben Zeitraum. Weil die meisten Messstationen zwischen 30 und 90 Grad nördlicher Breite liegen, hat das Team um Esper nur diesen Bereich der Nordhalbkugel untersucht und die Tropen weggelassen.

Die kältesten Sommer der vergangenen 2000 Jahre seien jeweils nach starken Vulkanausbrüchen aufgetreten, sagte Jan Esper an einer Medienkonferenz. Die tiefste Temperatur wurde demnach im Jahr 536 erreicht. Ein Vulkan hatte zuvor so viele Partikel in die Stratosphäre geschleudert, dass die Sonne verdunkelt wurde. Der Sommer 2023 war rund 4 Grad Celsius wärmer als der Sommer 536 – auch dies bezogen auf die Nordhalbkugel ohne Tropen.

Welcher Zeitraum eignet sich für das vorindustrielle Niveau?

Aus der Studie geht ausserdem hervor, dass die seit Jahren laufende Diskussion über das sogenannte «vorindustrielle Temperaturniveau» weitergehen wird. So bezeichneten Klimaforscher ursprünglich das Temperaturniveau vor Beginn des Industriezeitalters. Weil es aus jener Zeit aber so gut wie keine Messungen gibt, bezieht man sich heute aus praktischen Gründen auf den Zeitraum von 1850 bis 1900, wenn das vorindustrielle Temperaturniveau gemeint ist.

Doch die Temperaturmessungen waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch recht ungenau. Schon aus früheren Studien ist bekannt, dass man damals höhere Temperaturen gemessen hat, als sie eigentlich geherrscht haben. Laut Esper wurde damals noch nicht ausreichend darauf geachtet, dass sich die Thermometer für eine korrekte Messung immer im Schatten befinden müssen.

Die Nature-Studie liefert nun neue Hinweise darauf, dass die Vermutung verfälschter Messungen stimmt. Anhand der Baumringe ermittelte das Team um Esper, dass die Sommertemperatur auf der Nordhalbkugel zwischen 1850 und 1900 rund 0,24 Grad Celsius niedriger war, als man es zuvor aus den Messungen geschlossen hatte.

Wie man in Zukunft mit dem Problem des vorindustriellen Temperaturniveaus umgehen soll, kann derzeit niemand sagen, auch Esper nicht. Würden Klimaforscher einen früheren Zeitraum als Referenzzeitraum wählen, müssten sie dies mit einer grösseren Ungewissheit erkaufen.

Die Studie liefert somit neue Hinweise darauf, welche Probleme es mit sich bringt, die Klimapolitik an Temperaturziele wie das 2-Grad-Ziel oder das 1,5-Grad-Ziel zu koppeln, welche bis auf Zehntelgrad genau formuliert sind. Politisch aufgeladene Diskussionen über Studien zur Klimageschichte sind damit programmiert.

Sven Titz, «Neue Zürcher Zeitung» (14.05.2024)

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Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

13 - Massnahmen zum Klimaschutz
15 - Leben an Land

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