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«Wir müssen den gesamten Zyklus eines Gebäudes betrachten», betont Prof. Werner Sobek. Foto: René Müller

«Wir müssen den gesamten Zyklus eines Gebäudes betrachten», betont Prof. Werner Sobek. Foto: René Müller

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«Ohne nachhaltiges Bauen werden die Klimaziele unerreichbar bleiben»

Der renommierte Architekt und Ingenieur Werner Sobek gilt als Pionier im Bereich des nachhaltigen Bauens. Im Interview mit Sustainable Switzerland spricht er über die Herausforderungen und Chancen in der Baubranche und macht deutlich, welche globalen Konsequenzen ohne tiefgreifende Veränderungen drohen.

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«Ohne nachhaltiges Bauen werden die Klimaziele unerreichbar bleiben»

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Herr Sobek, wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Nachhaltigkeit in der Baubranche?

Werner Sobek: Ich beobachte – trotz der schwierigen Randbedingungen in der Baubranche – eine Aufbruchsstimmung. Das Verständnis von Planenden und Bauherren für die Notwendigkeit einer radikalen Transformation unserer gebauten Umwelt ist in den letzten zehn Jahren deutlich gewachsen. Wir müssen den Begriff der Nachhaltigkeit im Bauen aber weiter fassen, als dies bislang der Fall ist. Im Kern muss es um das kreislaufgerechte Bauen gehen, den Einsatz von Rezyklaten und die Reduzierung von Emissionen – nicht nur um das Einsparen von Energie.

Welche Fortschritte beobachten Sie konkret?

Kreislaufgerechtes Bauen und der Einsatz von Rezyklaten werden mittlerweile weltweit an verschiedenen Orten erforscht. Dabei geht es um die Frage, was der Einsatz von Rezyklaten bedeutet und wie man diese qualitativ bewerten und – gegebenenfalls – normieren kann. Besonders weit vorangeschritten sind hierbei die Schweiz, Österreich, Deutschland und Frankreich sowie die skandinavischen Staaten und China.

Wie gross ist der Beitrag der Bauwirtschaft an den globalen CO₂-Emissionen?

Laut der Internationalen Energieagentur beträgt der Beitrag des Bauwesens an den globalen CO₂-Emissionen etwa 40 Prozent. Meine eigenen Recherchen legen jedoch nahe, dass dieser Anteil deutlich höher ist und zwischen 50 und 53 Prozent liegt.

Wie erklären Sie sich die Diskrepanz in den CO₂-Berechnungen zwischen Ihrer Forschung und der Internationalen Energieagentur?

Die IEA bezieht einige Emissionsquellen wie Infrastrukturbauten und transportbedingte Emissionen nicht oder nur unvollständig in ihre Berechnungen mit ein. Diese spielen jedoch bei den Emissionen im Bauwesen eine wesentliche Rolle. Gemeinhin glaubt man, dass das Bereitstellen von Raumwärme und warmem Wasser die meisten umweltschädlichen Emissionen verursacht. Daher gibt es Vorschriften für die Energieeffizienz von Gebäuden. Doch die Ursachen für die klimaschädlichen Emissionen der gebauten Umwelt sind vielfältiger. Ein grosser Teil der Emissionen entsteht bei der Herstellung der Baustoffe, bei ihrer Überführung in Bauteile und ihrem Einbau in Gebäude oder Infrastrukturbauten sowie bei allen damit zusammenhängenden Transportvorgängen.

Welche konkreten Massnahmen erachten Sie als notwendig, um diese Emissionen effektiv zu reduzieren?

Im Vordergrund sollten Materialien stehen, bei deren Herstellung keine oder nur geringe klimaschädliche Emissionen entstehen. Materialien, auch Rezyklate, die lokal beziehungsweise regional vorhanden sind und die nicht über grosse Distanzen transportiert werden müssen. Daher wird man meiner Meinung nach im Bauwesen in Zukunft deutlich häufiger mit einem Mix an Materialen arbeiten – auch was den Rohbau betrifft. Zudem müssen wir den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes betrachten und die Frage «Was ist am Ende?» stärker berücksichtigen als bisher.

Was ist am Ende?

In Süddeutschland zum Beispiel kann der Schutt von Abbrucharbeiten oft nicht mehr endgelagert werden, weil die Deponien an ihre Kapazitätsgrenzen stossen. Der Bauschutt wird dann beispielsweise in den Süden von Polen gefahren. Wenn aber ein Kubikmeter Betonschutt von München über mehrere Hunderte von Kilometern abtransportiert wird, dann emittiert der Lkw bei dieser Fahrt ähnlich viele klimaschädliche Gase, wie bei der Herstellung der gleichen Menge Beton emittiert werden. Transportbedingte Emissionen müssen also bei der Berechnung der Nachhaltigkeit unserer Gebäude berücksichtigt werden. Hinzu kommt der Gesichtspunkt, welchen Aufwand das Rezyklieren eines zurückgebauten Bauwerks erfordert und welche Emissionen dabei entstehen.

Welche Baustoffe halten Sie unter Berücksichtigung der gesamten Prozesskette für am nachhaltigsten?

Es gibt keine Baustoffe, die grundsätzlich «gut» oder «schlecht» sind. Jedes Material muss im Kontext betrachtet werden. Holz etwa ist dann nachhaltig, wenn es regional verfügbar ist und in der Prozesskette wenig Material verloren geht. Bei Stahl hängt die ökologische Bewertung stark von der Produktionsweise ab, ähnlich wie bei Beton, dessen CO₂-Emissionen auch durch emissionsarme Zemente und sparsamere Verwendung, zum Beispiel durch Gradientenbeton, gesenkt werden können.

Materialien aus rezyklierten Abfallstoffen: Forschungseinheit UMAR auf dem NESTCampus in Dübendorf, entworfen von Werner Sobek mit Dirk Hebel und Felix Heisel. Foto: Zooey Braun

Foto: Zooey Braun

Materialien aus rezyklierten Abfallstoffen: Forschungseinheit UMAR auf dem NESTCampus in Dübendorf, entworfen von Werner Sobek mit Dirk Hebel und Felix Heisel.

Eignen sich auch rezyklierte Baustoffe?

Absolut! Rezyklierte Baustoffe können genauso qualitativ hochwertig sein wie Primärmaterialien. Es geht darum, Sekundärbaustoffe sinnvoll in den Kreislauf zurückzuführen und wiederzuverwenden beziehungsweise wiederzuverwerten. Dafür muss aber auch ein Umdenken stattfinden: Viele Menschen glauben immer noch, dass es sich beim Bauen mit Rezyklaten um ein Bauen mit minderwertigem Material handelt. Sie fordern bereits seit Jahren ein Umdenken, dennoch findet der Wandel nur langsam statt.

Sind Sie als Experte manchmal frustriert, dass faktenbasierte Argumente in der breiten Bevölkerung nur bedingt Gehör finden?

Ja, das ist oft enttäuschend. Die Werkzeuge und Methoden für ein nachhaltiges Bauen haben wir ja entwickelt, sie liegen in grossem Umfang vor. Ich sage: Wir haben kein bautechnisches, sondern ein soziologisches Problem. Die Menschen erkennen die Probleme, sie handeln aber nicht entsprechend. Wir haben beispielsweise im Jahr 2024 in Deutschland einen Boom bei der Installation von Gas- und Ölheizungen zu verzeichnen. So etwas ist gesamtgesellschaftlich und im Angesicht kommender Generationen unverantwortlich.

Halten Sie strengere gesetzliche Vorschriften für notwendig, um den Wandel im Bauwesen zu beschleunigen?

Das Bauen ist schon jetzt teuer und was die Regelungen betrifft, viel zu reguliert und viel zu kompliziert. Wollen wir vor diesem Hintergrund tatsächlich noch mehr gesetzliche Vorgaben? Ich denke, wir sollten die wenigen zu stellenden Forderungen als Ziele formulieren. Also recyclinggerechtes Bauen, umfassender Einsatz von Rezyklaten, keine Emissionen bei Herstellung, Betrieb und Rückbau. Diese Zielsetzungen lassen sich kurz und knapp in Gesetzesform bringen. Jeder wird sie verstehen. Alle bisherigen Gesetze, die eigentlich Massnahmenkataloge sind, können dafür entfallen.

Warum handelt die Politik nicht entschiedener?

Viele Politikerinnen und Politiker sind besorgt. Ein Teil der Sorgen entsteht durch die Erkenntnis, die Zusammenhänge nicht umfassend genug zu verstehen, um optimal handeln zu können. Hinzu kommt die grosse Sorge vor einer sozialen Destabilisierung der Gesellschaft: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander, die Gesellschaft polarisiert sich, viele begeben sich in politische Apathie, weil sie glauben, so oder so nichts bewirken zu können. Es gibt jene, die vor grossen Krisen warnen, und jene, die ihren Lebensstil partout nicht ändern wollen. Alle diese Konflikte haben eine grosse Sprengkraft für unsere Gesellschaft. Zudem verunmöglichen wir die dringend benötigte internationale Zusammenarbeit, indem unsere Politiker permanent Konfrontationspositionen auf- anstatt abbauen und dadurch Konflikte bis hin zu Kriegen induzieren.

Aber das Erreichen der Klimaziele ist ohne eine Veränderung hin zur nachhaltigen Bauwirtschaft nicht möglich?

Nein, das ist ausgeschlossen. Mit dem Bauwesen haben wir den grössten Hebel überhaupt, um die globalen Emissionen zu reduzieren.

Ist der Mensch Ihrer Meinung nach überhaupt in der Lage, die Klimaerwärmung doch noch in Schach zu halten?

Ich spreche immer von einer Klimakatastrophe, denn eine Krise ist gekennzeichnet von einem Anfang und einem Ende – und ein Ende wird es bei der aktuell zu beobachtenden Erderwärmung so schnell nicht geben. Die CO₂-Emissionen der Menschheit sind im letzten Jahr gestiegen, nicht gesunken. Es wird uns vielleicht gelingen, den Anstieg der durchschnittlichen Temperaturen zu verlangsamen, irgendwann wird es dann sicher auch ein Einpendeln auf eine neue Erdmitteltemperatur geben – falls wir unser Emissionsverhalten in den Griff bekommen. Von den Zielen, die einst in Paris vorgegeben wurden, sind wir aber weit entfernt.

Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

11 - Nachhaltige Städte und Gemeinde
13 - Massnahmen zum Klimaschutz

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