Wandel der Landwirtschaft: Die Schweiz zählt so wenige Imker wie nie zuvor
Für die Bienen ist das aber keine schlechte Nachricht. Sie brauchen etwas anderes.
Bienen haben, gerade im Vergleich zu Wespen, einen guten Ruf. Sie liefern Honig und sind fleissig. Sie gelten als Sympathieträger und als Zeugen der Artenvielfalt. Dennoch halten immer weniger Menschen in der Schweiz ein eigenes Bienenvolk. Die Zahl der Imkerinnen und Imker im Land hat 2022 einen Tiefstand erreicht. 16 500 waren gemäss der Forschungsanstalt Agroscope offiziell registriert. Sie hat in einer neuen Publikation die Entwicklung der vergangenen 150 Jahre nachgezeichnet. Im 19. Jahrhundert zählte die Schweiz noch doppelt so viele Bienenzüchter wie heute. Nach der Jahrhundertwende ging die Zahl rasant zurück.
Selbst der Boom der Stadt-Imkerei konnte den Abwärtstrend nicht stoppen. Zwar hat der erfolgreiche Film «More Than Honey», in dem der Schweizer Regisseur Markus Imhoof die Folgen des Bienensterbens beleuchtet, das Interesse an der Imkerei deutlich gesteigert. Besonders in den urbanen Gebieten wurde das Bienenzüchten zum beliebten Hobby. «Wir beobachteten in den Städten einen Anstieg von ‹More-Than-Honey-Aktivisten›, wie sie in unseren Kreisen auch genannt werden», sagt Martin Schwegler. Er ist Präsident des Verbandes Bienen Schweiz und damit der oberste Imker in der Deutschschweiz. Inzwischen sei die Nachfrage nach den Kursen allerdings wieder etwas abgeflacht.
Zum Rückgang beigetragen hat insbesondere der Wandel der Landwirtschaft. Früher habe jeder Landwirt einen Bienenstock besessen, sagt Jean-Daniel Charrière, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Agroscope. Heute ist das noch bei knapp fünf Prozent der Bauern der Fall. Einerseits gibt es weniger Landwirte als im letzten Jahrhundert. Andererseits ist die Imkerei eine zeitintensive Beschäftigung.
So seien es vor allem Klein- und Hobbyimker, die Bienen züchteten. Doch Charrière beobachtet, dass Neue oft nach einiger Zeit wieder aufgeben, weil Imkern viel Zeit und Kenntnisse braucht. Wer Bienen hält, muss zum Beispiel wissen, wie man sie gegen die Varroamilbe oder die Asiatische Hornisse schützt.
Die Schweiz zählt mehr Bienenvölker pro Quadratmeter als die EU
Ist es ein Problem für die Bienen, dass es immer weniger Imkerinnen und Imker gibt? Nein, sagen sowohl der Forscher wie auch der Bienenzüchter. «Es ist nicht tragisch, dass die Zahler der Imker abnimmt», sagt Martin Schwegler vom Verband Bienen Schweiz. «Denn wir haben in der Schweiz eine hohe Dichte an Bienenvölkern.»
Laut Agroscope werden in der Schweiz pro Quadratkilometer 4,4 Bienenvölker gezählt. Das ist leicht mehr als im EU-weiten Durchschnitt mit 4,2 Bienenvölkern pro Quadratkilometer. Auch in absoluten Zahlen registrierte Agroscope jüngst eine positive Entwicklung: Die Zahl der Bienenvölker ging in der Schweiz ab den 1940er Jahren kontinuierlich zurück, doch zwischen 2014 und 2022 ist sie erstmals wieder um rund zehn Prozent gestiegen.
Allerdings ist die Aussagekraft dieses jüngsten Sprungs umstritten. Wie Agroscope selbst einräumt, stammen die Daten aus unterschiedlichen Quellen. Die Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit der Zahlen sei somit nicht sicher gegeben, sagt Charrière von Agroscope.
Die Tendenz über die vergangenen Jahrzehnte ist hingegen zweifelsfrei belegt. Und widerspiegelt sich in Europa. Auch in den meisten anderen Ländern in Mittel- und Nordeuropa lässt sich gemäss der Forschungsanstalt im 20. Jahrhundert ein Rückgang sowohl bei den Bienenvölkern als auch bei den Imkern beobachten. In den letzten zehn Jahren sei der Bestand der Bienenvölker in Europa jedoch gewachsen, schreibt Agroscope, weil insbesondere in südlichen Ländern vermehrt Bienen gehalten würden.
Was es braucht, sind Pflanzen, die bis im Herbst blühen
Die Frage, wie gut es den Bienen in der Schweiz geht, lässt sich ohnehin nicht mit Zahlen allein beantworten. Martin Schwegler sagt: «Das Problem ist nicht die Menge der Bienenvölker, sondern ihre Lebensbedingungen.» Der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft sowie Schädlinge und Krankheiten machen den Bienen zu schaffen. Das Hauptproblem ist jedoch das fehlende Nahrungsangebot. Im Frühling, wenn alles blühe, sei die Situation für Honig- und Wildbienen gut. Aber im Mittelland fehle den Bienen ab Juni, wenn die Landwirte die Felder mähten, ein breites Angebot an Blüten, auf das Bienen bis Oktober angewiesen seien.
Immerhin: Die öffentliche Debatte der vergangenen Jahre hat diesem Problem mehr Aufmerksamkeit verschafft. Jean-Daniel Charrière von Agroscope sagt: «Wir sehen ein echtes Interesse daran, den Bienen – und ich spreche hier sowohl von der Honigbiene als auch von den unzähligen Wildbienen – mehr Nahrungsquellen und Nistmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, was sehr erfreulich ist.» Und einen zählbaren Nutzen hat: Die Fachleute von Agroscope beziffern den volkswirtschaftlichen Wert der Bestäubung von landwirtschaftlichen Kulturen wie Obst und Beeren auf 340 Millionen Franken pro Jahr. Was die Biene als Hilfskraft für die Bauern leistet, ist deutlich mehr als der Wert des Honigs.
Vor diesem Hintergrund hat auch der Imkerverband ein Projekt lanciert, um in der Schweiz mehr blühende Blumenwiesen zu schaffen. Noch seien die Spenden überschaubar, sagt der Präsident Martin Schwegler. Aber zum Weltbienentag am 20. Mai ist eine Kampagne geplant. «Wer etwas für die Bienen tun will, muss nicht selber imkern», sagt Schwegler. «Sondern im eigenen Garten ein ganzjähriges Blütenangebot bereitstellen.»
Jacqueline Lipp, «Neue Zürcher Zeitung» (13.05.2024)
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