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In der intensiv genutzten Landschaft bilden Hecken wichtige Oasen der Biodiversität – und können die fragmentierten Lebensräume gefährdeter Arten verbinden.

In der intensiv genutzten Landschaft bilden Hecken wichtige Oasen der Biodiversität – und können die fragmentierten Lebensräume gefährdeter Arten verbinden. Bild: Karin Hofer / NZZ

Klima & Energie

Mehr als eine Naturschutzmassnahme: Hecken speichern gleich viel CO2 wie Wälder

Aus einheimischen Gehölzen bestehende Wildhecken bieten Insekten, Vögeln und Säugetieren Lebensraum und Nahrung. Auch ihr Beitrag zum Klimaschutz ist bedeutsam.

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Mehr als eine Naturschutzmassnahme: Hecken speichern gleich viel CO2 wie Wälder

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Gänzlich aufhalten konnten sie Cäsar nicht. Aber sie verzögerten seine Invasion, und sie gingen ihm ganz schön auf die Nerven. Sie standen überall da, wo er hinwollte, und es kostete viel Zeit, sie aus dem Weg zu räumen. Nein, einmarschierende Feldherrn haben an Hecken keine Freude.

2000 Jahre später sind die einst allgegenwärtigen Hecken vielerorts aus dem Landschaftsbild verschwunden, während die einmarschierenden Feldherrn leider wieder mehr Konjunktur zu haben scheinen. Und das, obwohl sie für die Allgemeinheit viel unangenehmer und weniger nützlich sind als Hecken.

Gemeint sind hier, das zur Begriffsklärung vorweg, nur gezielt gepflanzte Wildhecken aus einheimischen Gehölzen, nicht die sterilen Reihen aus Kirschlorbeer (jetzt verboten) oder Thuja (nicht klimawandeltauglich) in den Vorgärten des Landes. Von ihren militärischen Qualitäten einmal abgesehen, erbringen Hecken zahlreiche Ökosystemleistungen, also Beiträge der Natur für die Menschen, und nützen in hervorragender Weise der Biodiversität – und dem Klimaschutz. Denn Hecken, das zeigen neue Studien, speichern genauso viel CO2 wie Wälder.

Der Herbst ist die Zeit zum Heckenpflanzen

Wie ein römischer Feldherr tritt Martin Landolt, Präsident des Naturschutzvereins Zurzach im Kanton Aargau, in seiner schon etwas löchrigen Wolljacke nicht auf, aber das muss er auch nicht. Tief hängt der graue Himmel über dem Land an diesem Samstag im Herbst. Aber die etwa zehn Freiwilligen, die beim Heckenpflanzen helfen wollen, brauchen keine militärische Disziplin, und motiviert sind sie auch so, sonst wären sie nicht hier. Die meisten kommen aus Zurzach, aber auch aus dem Wehntal, aus Zürich, aus Basel und aus Bern sind Einzelne angereist.

Landolt begrüsst und erklärt in wenigen Sätzen die anstehenden Aufgaben, und nachdem die Hände noch schnell zum Austausch der Namen geschüttelt worden sind, verschwinden sie unter Arbeitshandschuhen und greifen Spaten, Spitzhacken und schwarze Plastiksäcke, aus denen Äste und Blätter ragen.

Dann, die Mitglieder des Vereins kennen den Weg, geht es auf eine Weide, über einen umgelegten Elektrozaun (zum Glück kein Strom drauf) und noch ein Stück weiter den Hang runter. Dort steht bereits seit langer Zeit eine Hecke; der Verein hat sie im vergangenen Jahr zum Beispiel mit Totholzhaufen ökologisch aufgewertet. Nun soll sie bis zur nächsten Feldgrenze verlängert werden.

Hecken sind Lebensraum für Insekten, Vögel und Säugetiere

Bis in die 1970er Jahre dienten Hecken in ganz Europa als lebende Zäune, die Weidetiere von Anbauflächen fernhielten, Grundstücksgrenzen markierten und Feuer- und Bauholz lieferten. Auch in der Schweiz gehörten sie zumindest in manchen Gegenden, etwa im Kanton Neuenburg, zum Landschaftsbild. Laut einer Untersuchung aus den 1950er Jahren enthielt ein Quadratkilometer Fläche teilweise mehr als 2 Kilometer Hecken.

Doch im 20. Jahrhundert standen die Hecken den Methoden der immer intensiveren Landwirtschaft zunehmend im Weg und wurden abgeräumt. Über das Ausmass gibt es nur Schätzungen; in Deutschland sollen seit den 1950er Jahren 90 000 Kilometer Hecken zerstört worden sein.

Auch heute liesse sich das Schnittgut aus den Hecken zu Holzhackschnitzeln verarbeiten und als Energiequelle nutzen, Stichwort Feuerholz, doch meist steht der ökologische Wert von Hecken im Vordergrund. Studien zeigen, dass vor allem Insekten, aber auch Vögel und Säugetiere in Hecken Lebensraum, Winterquartier oder Futter finden. Die Diversität und die Anzahl der Tiere sind dort am höchsten, wo eine Hecke strukturelle Vielfalt aufweist. Höhe und Breite scheinen weniger entscheidend zu sein.

Zwar gibt es bestimmte Vogelarten, allen voran die Feldlerche, die mit Hecken wenig anfangen können: Sie bevorzugt offene Landschaften mit nur einzelnen Büschen. Trotzdem hat auch die Feldlerche Mühe mit Monokulturen und benötigt einen vielfältigen Lebensraum. Sie wird nicht direkt neben der Hecke brüten, aber von ihr profitieren wird sie trotzdem.

Landwirte können Hecke als Biodiversitätsfläche anmelden

Schwarzdorn, Weissdorn, wilde Rosen, Pfaffenhütchen, Geissblatt, Wolliger Schneeball, Faulbaum: Auf der Weide in Zurzach wirkt es auf den ersten Blick unmöglich, dass die Pflanzen aus den drei oder vier Plastiksäcken einen 20 Meter langen Streifen, wenn auch schmal, füllen könnten. Aber dann zeigt sich: Was zuerst wie eine Pflanze aussah, sind in Wirklichkeit fünf oder sechs, die zusammengebunden sind und einzeln gesetzt werden müssen.

Der Bauer, auf dessen Land der Naturschutzverein Zurzach die Hecke pflanzt, kann sich diese als Biodiversitätsfläche anrechnen lassen; auch von der EU werden solche Pflanzungen subventioniert. Die aus der Hecke resultierende Biodiversität hat direkten Nutzen, der sich messen lässt: Wissenschafter der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope haben Studien zu Agrarökosystemen in verschiedenen Ländern ausgewertet.

Die Daten belegen, dass Hecken im Ackerland in der Schweiz zu einer grösseren Präsenz von Nützlingen beitragen und so bei der Schädlingsbekämpfung helfen. Auch der Bestäubung der Ackerpflanzen sind sie zuträglich. Zudem schützen sie den Boden vor Wind und damit vor Erosion und tragen dazu bei, Temperaturextreme auszugleichen.

Gleichzeitig ist ihr Flächenbedarf vergleichsweise gering. Hecken zählen ebenso wie Ackerrandstreifen, Alleen oder Wege zu den sogenannten Linienbiotopen: Sie können Verbindungen zwischen inzwischen stark fragmentierten Lebensräumen von Arten bilden und so den genetischen Austausch ermöglichen. Fehlt dieser Austausch, sind die nur noch inselartig vorkommenden Arten zum Aussterben verdammt.

Goldammern nisten in Hecken – sie sind eine der vielen Tierarten, die von diesen Strukturen in der Landschaft profitieren.

Goldammern nisten in Hecken – sie sind eine der vielen Tierarten, die von diesen Strukturen in der Landschaft profitieren. Bild: Pixabay

Eine ungepflegte Hecke verliert ihren Nutzen

Eine Hecke zu pflanzen, ist nicht kompliziert. Die einzige Anweisung auf der Wiese in Zurzach lautet: die Wurzeln bitte nicht nach oben biegen, sondern das Loch breit und tief genug machen. Aber auch solche Löcher zu graben, bedeutet keine wirkliche Mühe in diesem Boden, der lehmig ist und weich. Als grösste Herausforderung stellt sich heraus, den in grosser Menge vorhandenen Regenwürmern auszuweichen und nicht zu viele von ihnen durchzuhacken. Im Abstand von einer Schrittlänge zwischen den Löchern und etwas im Zickzack versetzt wächst die Reihe der jungen Gehölze, viele bisher nur als kahle Stecken, und zwischen ihnen ist noch Platz.

Eine Hecke zu pflanzen, geht schnell. Aber sie ist nichts für Menschen mit wenig Zeit: Erst nach etwa fünf Jahren ist sie etabliert und zugewachsen. Dann jedoch muss sie gepflegt werden. Langsam wachsende Gehölze müssen alle zwei bis drei Jahre ausgelichtet, schnell wachsende «auf den Stock gesetzt» werden. Sonst wird die Hecke zur Baumreihe, oder sie kann innen hohl werden und sogar zusammenbrechen. Dass diese Arbeiten nur im Winter durchgeführt werden dürfen, wenn keine Vögel in der Hecke nisten, regelt das Gesetz. Einmal etabliert, bleibt eine Hecke für immer: Sie ist geschützt; sie zu entfernen, ist verboten.

Das Potenzial für den Klimaschutz liegt vor allem unter der Erde

Die ökologischen Vorteile von Hecken sind relativ bekannt. Einen weiteren positiven Nutzen von Hecken hingegen haben Wissenschafter erst kürzlich aufgezeigt: die CO2-Speicherfähigkeit. Sophie Drexler und Axel Don vom Thünen-Institut, dem deutschen Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume, Wald und Fischerei, kommen zu dem Ergebnis: In den zwanzig Jahren, bis eine Hecke etabliert ist, speichert sie pro Hektare rund 218 Tonnen Kohlenstoff. Das ist ähnlich viel, wie wenn man auf der Fläche einen Wald neu anlegen und aufwachsen lassen würde – und 137 Tonnen mehr, als ein Acker speichert.

Der Grossteil davon steckt in der Biomasse, und zwar weniger in den Zweigen als in den Wurzeln. Auch der Boden unter den Hecken speichert in fast allen Fällen mehr Kohlenstoff als Ackerboden.

«Entscheidend ist, dass nur neu angepflanzte Hecken die Fähigkeit haben, Kohlenstoff zu binden», schreibt Don auf Anfrage per E-Mail. «Nur solange sie neu aufwachsen, bauen sie Kohlenstoff auf und binden damit CO2.»

Hecken allein werden das Klima nicht retten, doch ihren möglichen Beitrag unterschätzen sollte man laut den Wissenschaftern nicht. «Würde man die Heckenfläche in Deutschland von heute verdreifachen, das heisst auf rund 0,4 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche, könnte man dadurch einmalig insgesamt rund 37 Millionen Tonnen CO2 klimaunschädlich binden», erklärt Drechsler in einer Stellungnahme. «Im Agrarbereich gibt es kaum eine Klimaschutzmassnahme, mit der auf so wenig Fläche so viel Effekt erzielt werden kann.»

In Zurzach verschwinden die Werkzeuge nach anderthalb Stunden schon wieder in den Anhängern der E-Velos; die Pflanzung ging zügiger vonstatten als gedacht. Über den Winter haben die jungen Gehölze genug Wasser, um im nächsten Frühjahr sofort mit dem Wachstum und der CO2-Speicherung zu beginnen. Die Hecke wird dichter werden, blühen, Insekten und Vögel anlocken. Einen einmarschierenden Feldherrn wird sie hoffentlich nie zu sehen bekommen.

Esther Widmann, «Neue Zürcher Zeitung» (14.12.2024)

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