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Im Rahmen seiner Forschungsarbeit untersucht Thomas Crowther die Biodiversität in den Alpen. Fotos: ETHZ

Im Rahmen seiner Forschungsarbeit untersucht Thomas Crowther die Biodiversität in den Alpen. Fotos: ETHZ

Lebensräume Partner Inhalt: ETH

Unsere Lebensgrundlagen in Gefahr

Forschende der ETH Zürich engagieren sich am Crowther Lab und in mehreren anderen Projekten für den Erhalt der Artenvielfalt. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der Biodiversitätskrise, von der auch die Schweiz betroffen ist.

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Fünf Mal schon stand das Leben auf der Erde kurz vor dem Aus. Asteroideneinschläge, verheerende Vulkanausbrüche und andere Naturkatastrophen sorgten jeweils für ein gewaltiges Artensterben. Man denke nur an das Ende der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren. Manchen Experten zufolge erleben wir derzeit den Beginn des sechsten grossen Artensterbens in der Geschichte unseres Planeten.

So viel dürfte jedenfalls feststehen: Der Mensch ist für einen massiven Abwärtstrend der biologischen Vielfalt verantwortlich. Schätzungsweise 60 Prozent der weltweiten Ökosysteme haben sich in den letzten 50 Jahren verschlechtert. Nach Angaben der Vereinten Nationen verschwinden heute bereits 100 bis 150 Tier- und Pflanzenarten für immer von unserem Planeten – pro Tag. Wenn nicht deutlich mehr zum Schutz von Natur und Umwelt geschieht, dürften es in den nächsten Jahrzehnten noch viel, viel mehr werden. Die Rede ist von über zwei Millionen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten – und damit etwa einem Fünftel aller Arten weltweit, die am Rand des Aussterbens stehen. Gründe sind die Auswirkungen des Klimawandels, die Umweltverschmutzung, aber auch die schiere Ausbreitung des Menschen in immer fragilere Ökosysteme.

Riesige Datensätze

Sollte es zum Kollaps der biologischen Vielfalt kommen, wären die Folgen gravierend. «Jeder Teil unseres Lebens ist direkt oder indirekt von der Biodiversität abhängig», betont Thomas Crowther, Professor für globale Ökosysteme und Leiter des von ihm gegründeten Crowther Labs an der ETH Zürich. Der 38-jährige Wissenschaftler muss es wissen: Gemeinsam mit seinem Team erforscht er die Biodiversität in der Schweiz und dokumentiert die zahlreichen Veränderungen aufgrund der Erderwärmung. Crowther gehört zu einer Generation von Ökologen, deren wichtigste Arbeitsgrundlagen riesige Datensätze und ausgefeilte Algorithmen sind.

Design ohne Titel - 2024-06-20T113231.292.png Der aus Wales stammende Ökologe ist Assistenzprofessor an der ETH Zürich im Department für Umwelt­system­wissenschaften. Dort gründete der 38-Jährige auch das Crowther Lab, eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlern, die sich Schwer­punkt­mässig mit dem Zusammenhang von Biodiversität und Klimawandel befasst. Für seine Arbeit zum Schutz und zur Wiederherstellung der Artenvielfalt wurde Crowther 2021 vom Weltwirtschaftsforum zum «Young Global Leader» ernannt. Sechs Jahre zuvor hatte Crowther mit einem bahnbrechenden Modell auf sich aufmerksam gemacht, das Daten von Satelliten mit den Erkenntnissen der Umwelt­forschung verknüpft. Auf diese Weise konnte er erstmals berechnen, dass es auf der Welt rund drei Billionen Bäume gibt. 2019 erregte seine Arbeit über das weltweite Potenzial zur Wiederherstellung von Bäumen für Aufsehen. Mit seinem Team berechnete Crowther, dass theoretisch eine Fläche von 0,9 Milliarden Hektar zur natürlichen Wiederbewaldung verfügbar sei. Auf dieser Fläche könnten 1 Billion (1000 Milliarden) Bäume gepflanzt werden, um so enorme Mengen Kohlenstoff aus der Luft zu absorbieren.

Die Forschungsarbeit am Zürcher Lab erfolgt interdisziplinär, die Ergebnisse unterschiedlicher Fachrichtungen fliessen zusammen. «Wir untersuchen Bodenmikroben durch Mikroskope und ganze Ökosysteme durch Satelliten; wir führen sowohl Feldexperimente als auch Computermodellierungen durch», so Crowther. Ein Forschungsschwerpunkt sind die alpinen Ökosysteme. «Wir widmen unsere Arbeit aber auch der Biodiversität in den Böden sogenannter gemässigter Wälder. Diese gehören zu den vielfältigsten Ökosystemen auf der Erde und speichern riesige Mengen an Kohlenstoff, die uns bei der Bewältigung des Klimawandels helfen können.»

Wenn er über die Schweiz spricht, gerät Thomas Crowther geradezu ins Schwärmen: «Von majestätischen Berggipfeln bis zu alten Tälern bietet das Land eine grosse Zahl an Lebensräumen mit einer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt. » Nachgewiesen sind rund 56 000 verschiedene Arten, Pilze und Flechten mitgerechnet. Eine solche Biodiversität sei für die Wirtschaft hierzulande unerlässlich, so Crowther: «Sie unterstützt Landwirte, indem sie für hochwertige Böden und bestäubende Insekten sorgt, was wiederum die Ernten verbessert. Sie unterstützt unsere Infrastruktur, indem sie Bodenerosion begrenzt und das Klima reguliert. Sie fördert den Tourismus, indem sie Besucherinnen und Besucher anzieht, die die Pracht der Natur erleben wollen.»

Biodiversität

Natürliche Lebensräume und Arten versorgen uns mit Nahrung und sauberem Wasser, liefern Grundstoffe für Arzneien und regulieren das Klima. Kurz gesagt: Die Biodiversität ist für die Menschheit unverzichtbar. Der Begriff bezeichnet die biologische Vielfalt, die alle lebenden Organismen in einem Gebiet umfasst. Man unterscheidet drei Ebenen der Biodiverstät: genetische Vielfalt (die Variation von Genen innerhalb einer Art), Artenvielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme, die auf den komplexen Wechselwirkungen zwischen allen dort lebenden Arten beruht. Dem Crowther Lab zufolge befinden wir uns mitten in einer Krise der biologischen Vielfalt: Mehr als 8400 Tierund Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht, rund 30 000 weitere Arten gefährdet oder schutzbedürftig. «Wir können die biologische Vielfalt fördern, indem wir Lebensräume und Ökosysteme wiederherstellen und natürliche Ressourcen nachhaltig nutzen», heisst es.

Doch das ist nur die eine, die positive Seite der Medaille. Denn fest steht auch, dass «die Hälfte der Lebensräume und ein Drittel der Arten» in der Schweiz bedroht sind, wie das Bundesamt für Umwelt (Bafu) im vergangenen Jahr konstatiert hat. Mit dem Rückgang der Artenvielfalt gehe auch die genetische Vielfalt verloren. «Die Verluste halten auf allen Ebenen der Biodiversität an», so das Bafu weiter. Die bisher ergriffenen Massnahmen seien zwar «teilweise erfolgreich, aber längst nicht ausreichend».

Schädlinge und Waldbrände

Die Auswirkungen sind Thomas Crowther zufolge unübersehbar: «Wir können zum Beispiel beobachten, wie mit dem Anstieg der Temperaturen viele Arten höher in den Alpenraum wandern, um geeignete Lebensbedingungen zu finden.» Diese Veränderung könne zur Destabilisierung einzelner Ökosysteme führen. «So haben wir festgestellt, dass Schädlinge wie der Borkenkäfer immer häufiger auftreten. Zudem steigt das Risiko von Waldbränden, da viele Böden trockener werden. Diese Entwicklungen stellen ein Risiko für uns alle dar», warnt Crowther.

Der ETH-Professor sieht sich nicht nur als Forscher, sondern auch als Teil einer globalen Bewegung, die den rapiden Verlust an Biodiversität bekämpfen will. Und so ist Crowther heute unter anderem im Beirat der Initiative «Dekade für die Ökosystemrestaurierung » des UN-Umweltprogramms aktiv. Ausserdem hat er das ETH-Spinoff «Restor» gegründet, eine Art Google Earth, das lokale Informationen von Naturprojekten mit Daten von Ökosystemforschern und Satellitenbildern kombiniert (s. Kasten). Mit der Open-Data- Plattform werde «die ganze Welt der Umwelterhaltung und - restauration auf jedem Smartphone zugänglich», heisst es.

Neben dem Crowther Lab engagiert sich auch die ETH-Professorin Kristy Deiner für den Schutz der Biodiversität. Unter ihrer Leitung ist es dem interdisziplinären Team von ETH BiodivX gelungen, DNA-Proben in natürlichen Lebensräumen zu sammeln und so die Vielfalt der Arten in unterschiedlichen Ökosystemen zu erfassen und zu überwachen.

Die Anstrengungen der ETH-Forschungsteams sind beträchtlich. Doch reicht das aus, um die Biodiversität zu schützen – in der Schweiz und weltweit? Thomas Crowther ist optimistisch: «Wir sind die erste Generation, die das volle Ausmass unserer Einflüsse auf die Biodiversität erkennt und die Fähigkeit besitzt, Veränderungen herbeizuführen.»

Soziales Netzwerk für Umweltschutz

Die in Zusammenarbeit mit Google entwickelte offene Datenplattform «Restor» gibt ökologische Einblicke in mehr als 32 000 Wieder­herstellungs- und Naturschutzprojekte. Sie zeigt auf, welche Art von Pflanzen in einer Region gedeihen, und informiert über örtliche Entwicklungen.

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Deklaration: Dieser Inhalt wurde vom Sustainable Switzerland Editorial Team im Auftrag der ETH Zürich erstellt.

Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

9 - Industrie, Innovation und Infrastruktur
12 - Verantwortungvoller Konsum und Produktion
13 - Massnahmen zum Klimaschutz
14 - Leben unter Wasser
15 - Leben an Land
17 - Partnerschaften zur Erreichung der Ziele

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