Im öffentlichen Beschaffungswesen steht ein Paradigmenwechsel an. «Sollen die Ziele im Klima- und Energiebereich erreicht werden, dürfen bei Vergaben nicht mehr ausschliesslich wirtschaftliche Faktoren entscheidend sein», sagt Cristina Schaffner, Direktorin von Bauenschweiz, dem Dachverband der Schweizer Bauwirtschaft. Das sieht auch der Gesetzgeber so, der mit zwei neuen Rechtsnormen die Basis für einen Kulturwandel gelegt hat: dem neuen Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) und der revidierten Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB). Die Baubranche steht voll hinter den Neuerungen, die eigentliche Meilensteine darstellen. Bauenschweiz brachte sich bereits beim parlamentarischen Prozess zur Revision des BöB ein, und Laurent Widmer, Dossierverantwortlicher Klima, Energie und Umwelt beim Schweizerischen Baumeisterverband SBV, sagt: «Die Baubranche hat erkannt, welches Potenzial die Revision des Vergaberechts hat: Es stärkt die Nachhaltigkeitsfaktoren bei öffentlichen Vergaben.» Für Bauunternehmen ist das interessant, weil sie jetzt nicht nur mit dem besten Preis punkten können, sondern auch mit fortschrittlichen und nachhaltigen Lösungen für das Bauprojekt.
Das vorteilhafteste Angebot
Denn die neue Devise im Beschaffungswesen lautet: Berücksichtigt wird nicht mehr das günstigste Angebot, sondern das «vorteilhafteste». Doch was genau bedeutet das? «Das lässt sich bei Bauprojekten nur schwer allgemein definieren», sagt Cristina Schaffner von Bauenschweiz, «denn jedes Bauprojekt ist einzigartig, ein Solitär, und muss auch so betrachtet werden.» Generell gehe es jedoch darum, dass bei jeder Ausschreibung alle drei Säulen der Nachhaltigkeit – gesellschaftlicher Nutzen, Schutz der Umwelt und Wirtschaftlichkeit – Beachtung erhalten. Lässt sich denn dem Stimmvolk, das am Ende über das Budget befinden muss, überhaupt schmackhaft machen, dass nicht unbedingt das günstigste Angebot berücksichtigt wird? «Das ist sicherlich keine dankbare und einfache Aufgabe», sagt Cristina Schaffner. Der Kulturwandel müsse eben nicht nur in der Politik und der Wirtschaft, sondern auch in der Gesellschaft stattfinden – und das brauche Zeit.
Diskussionen brauchen Daten
Die revidierten Rechtsnormen traten 2021 in Kraft. Die grosse Frage ist, wie sehr sie bereits die Praxis prägen. Um den Kulturwandel im Vergabewesen aus Sicht der Bauwirtschaft zu quantifizieren, riefen der Dachverband, der SBV – der Mitglied von Bauenschweiz ist – und weitere Mitgliedsverbände ein Monitoring ins Leben. Das Zürcher Unternehmen Politaris sammelt im Auftrag von Bauenschweiz die Daten und bereitet sie auf. Politaris-Geschäftsführer Laurens Abu-Talib: «Wir beziehen Daten der öffentlichen Ausschreibeplattform simap.ch und werten diese quantitativ im zeitlichen Vergleich aus.» Der Monitor fokussiert sich auf zehn Indikatoren: sechs Bewertungskriterien und vier Verfahren. «Von besonderem Interesse ist dabei, wie sich seit Inkrafttreten der Totalrevision die Anteile qualitativer Zuschlagskriterien im weiteren sowie jene der Nachhaltigkeitskriterien im engeren Sinn verändert haben», sagt Laurens Abu-Talib.