Emissionen, Biodiversität, Rohstoffbeschaffung: Wie können Unternehmen ihren ökologischen Fussabdruck besser verstehen?
Simone Pedrazzini: Den ökologischen Fussabdruck zu verstehen bedeutet, das grosse Ganze zu betrachten. Es ist vergleichbar damit, sich ein Bild vom Mond zu machen: Wir beginnen nicht damit, die Mondoberfläche mikroskopisch zu untersuchen. Zunächst fällt uns vielleicht auf, dass einige Bereiche dunkler und andere heller sind. So identifizieren wir die Hotspots und entscheiden anschliessend, welche Aspekte wir genauer unter die Lupe nehmen wollen. Für Unternehmen reicht es daher nicht, sich nur auf lokale Aktivitäten zu konzentrieren. Sie müssen über den Tellerrand hinausblicken und alle Bereiche einbeziehen – von der Produktion über die Logistik bis hin zur Rohstoffbeschaffung. Die Erfahrung zeigt, dass vor allem die Rohstoffbeschaffung die Umwelt stark belastet. Und wir wissen: Man kann nur das managen, was man auch messen kann. Deshalb sollten wir uns darauf konzentrieren, das zu messen, was wirklich wichtig ist.
Empfehlen Sie dieses Vorgehen allen Branchen?
Auf jeden Fall. Unternehmen aus der Lebensmittel-, Mode- und Kosmetikbranche arbeiten bereits seit vielen Jahren mit diesem Ansatz. Warum? Sie verkaufen ihre Produkte direkt an die Endverbraucher, die oft sensibel auf Umweltthemen reagieren. Ausserdem sind diese Branchen untrennbar mit der Landwirtschaft verbunden – man denke nur an die Produktion von Agrarrohstoffen, den Baumwollanbau oder die Inhaltsstoffe bestimmter Kosmetika. Um die komplexe Wertschöpfungskette bis hin zur Landwirtschaft nachhaltig auszurichten, bedarf es fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden. Mittlerweile bemühen sich jedoch auch andere Branchen – so die Uhren- und Pharmaindustrie sowie die Finanzbranche – um ein ganzheitliches Verständnis ihres Fussabdrucks.
Was sind die grössten Herausforderungen für Unternehmen, die ihren ökologischen Fussabdruck quantifizieren wollen?
Unabhängig von der Branche sehe ich drei Herausforderungen: die Daten, die Digitalisierung und den Blick über den CO₂-Ausstoss hinaus. Idealerweise sollte eine Firma auf alle relevanten Daten seiner Zulieferer zugreifen können – das ist jedoch oft kaum möglich. Deshalb verfolgen wir hier einen pragmatischen Ansatz und nutzen beispielsweise Kennzahlen, die speziell für bestimmte Branchen relevant sind. Zweitens besteht im digitalen Zeitalter die Gefahr, dass man Lösungen auf dem Markt entdeckt und glaubt, man könne mit einem Klick den gesamten Fussabdruck erfassen. Tatsächlich erfordert es jedoch intensive Arbeit, bis eine digitale Lösung die komplexe Realität präzise abbildet. Drittens neigen manche Unternehmen dazu, sich ausschliesslich auf Treibhausgasemissionen zu konzentrieren. Es bringt jedoch wenig, den CO₂-Ausstoss zu senken, wenn dadurch der Wasserverbrauch steigt oder die Biodiversität gefährdet wird.
Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren unterwegs zu einem nachhaltigen Wandel?
Wir arbeiten mit dem Denkrahmen der planetaren Grenzen. Vereinfacht gesagt gibt es neun planetare Grenzen, vom Klimawandel über die Biosphäre bis hin zum Wasserverbrauch und der Ozeanversauerung. Das Ziel ist, menschlichen Aktivitäten so zu steuern, dass die Kapazitäten unseres Planeten nicht überschritten werden. Eine Voraussetzung dafür ist, dass wir die Wechselwirkungen zwischen der Wertschöpfungskette eines Unternehmens und der Umwelt tiefgehend verstehen. Es reicht jedoch nicht aus, lediglich ein Nachhaltigkeitsteam zu gründen oder Initiativen zu starten – alle Geschäftsbereiche und Funktionen müssen einbezogen werden. In jeder Phase gilt es, ehrlich zu sich selbst sein: Das «business as usual» ist kein tragbares Szenario. Kleine, positive Veränderungen genügen nicht. Es braucht ein radikales Umdenken und mutige Schritte. Schliesslich sollten alle Stakeholder gemeinsam an einem Strang ziehen.