Die Volksabstimmung im Juni hat ein klares Votum für das neue Stromversorgungsgesetz erbracht, also grünes Licht für den weiteren Ausbau von Windparks, Wasserkraft- und Solaranlagen. Welche Auswirkungen erwarten sie kurz- und längerfristig für den Alpenraum?
Aleksieva: Das Votum der Bevölkerung schafft eine klare Grundlage, die Energiewende mit verstärkter Geschwindigkeit voranzutreiben. Für uns bedeutet das, dass wir nun kurzfristig unsere vielfältigen Projekte schneller realisieren können. Viele dieser Projekte betreffen den Alpenraum: Ich denke da insbesondere an unsere weit fortgeschrittenen Wasserkraftwerke an der Trift und an die Vergrösserung des Grimselsees, ausserdem an unsere alpinen Solaranlagen. Wir setzen dabei auf innovative, landschaftsverträgliche Lösungen. Entscheidend ist die Balance zwischen Energieerzeugung, Umweltschutz und Lebensqualität.
Rodewald: Klar ist jetzt, dass der beschleunigte Energieausbau im Einklang mit Natur und Landschaft erfolgen muss und dass die bestehenden Schutzgebiete, die ja gewissermassen Ikonen der Schweiz darstellen, möglichst weitgehend verschont bleiben. In Zusammenarbeit mit den Kantonen, den Behörden, den NGOs, den Energieunternehmen und der Bevölkerung geht es nun darum, die geeigneten Gebiete für den Energieausbau zu entwickeln.
Kritiker sprechen davon, dass die Alpen mit dem weiteren Ausbau von Windkraftanlagen und Solarkollektoren verschandelt würden. Sind solche Befürchtungen berechtigt?
Aleksieva: Nein, denn das Gesetz sieht keinen Freipass für einen unbegrenzten Ausbau vor. Die Kantone werden über Eignungsgebiete für die Windund Solaranlagen entscheiden. Es wird darauf ankommen, zwischen den Anforderungen der Energiewende und dem Schutz der einzigartigen Alpenlandschaft einen tragfähigen Kompromiss zu finden.
Welche Auswirkungen sehen Sie, Herr Rodewald, für den alpinen Lebensraum? Wird es zu stärkeren Eingriffen in die Natur kommen?
Rodewald: Das hoffe ich natürlich nicht! Wir dürfen nicht vergessen: Wir stehen nicht nur beim Landschaftsschutz, sondern auch im Blick auf die Biodiversität vor grossen Herausforderungen. Die Artenvielfalt geht uns immer mehr verloren. Klar ist, dass wir die Schönheit, die Einzigartigkeit des alpinen Raums erhalten wollen. Es muss daher eine Interessenabwägung geben, darin bin ich mit Frau Aleksieva einig. Das ist so auch in dem neuen Gesetz verankert. Ich bin darum eigentlich recht positiv gestimmt. Aus unserer Sicht sollte der Energieausbau dort erfolgen, wo bereits entsprechende Infrastrukturen vorhanden sind. Diese weiterzuentwickeln ist günstiger, schneller und hat eine höhere Akzeptanz auf allen Seiten.
Was planen Sie als BKW für die Zukunft genau? Wird es grosse neue Projekte geben?
Aleksieva: Das neue Stromgesetz sieht vor, dass die 15 Projekte des «Runden Tischs Wasserkraft» und das Projekt Chlus im Prättigau und im Bündner Rheintal Vorrang vor anderen nationalen Interessen haben, solange zusätzliche Ausgleichsmassnahmen für den Schutz der Landschaft und der Biodiversität ergriffen werden. Zu diesen 16 Projekten gehören unter anderem die Staumauer Trift und die Staumauererhöhung Grimsel. Beides sind Projekte der Kraftwerke Oberhasli AG, an der die BKW zur Hälfte beteiligt ist. Hier laufen noch immer die Bewilligungsverfahren. Was die Windkraft angeht, betreiben wir zwei Projekte im Berner Jura: eines oberhalb von Tramelan und eines bei Jeanbrenin. Eine Erweiterung des Solarparks auf dem Mont-Soleil und eine alpine Solaranlage bei Schattenhalb wurden bereits von der Stimmbevölkerung gutgeheissen. Der Freiflächensolarpark am Regionalflughafen Bern-Belp ist ebenfalls auf gutem Weg.
Wäre es mit Blick auf den alpinen Lebensraum nicht sinnvoll, mehr auf viele kleinere Projekte als auf einige grosse Projekte zu setzen?
Aleksieva: Unsere Strategie wird eine Kombination beider Ansätze sein. Während in geeigneten, weniger sensiblen Gebieten grössere Projekte umgesetzt werden können, setzen wir gleichzeitig stark auf dezentrale, kleinere Lösungen, die weniger invasiv sind und in die bestehende Landschaft integriert werden können. Der Schlüssel liegt darin, die Projekte gezielt zu planen, unter Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten und der Bedürfnisse der Bevölkerung.
Gibt es für Sie eine Grenze des Ausbaus erneuerbarer Energien? Oder noch andere ernst zu nehmende Optionen, damit es nicht so stark den Alpenraum trifft?
Aleksieva: Es gibt in der Schweiz noch sehr viel Potenzial zum Ausbau der Erneuerbaren –nicht nur in den Alpen, sondern insbesondere auch im Mittelland. Eine wichtige Option ist die verstärkte Nutzung bereits genutzter Flächen, wie zum Beispiel Dächer oder brachliegende Industriegelände. Zudem sollten wir verstärkt in Energieeffizienz, Speichertechnologien und die Optimierung bestehender Anlagen investieren, um den Druck auf die Alpen zu reduzieren. Ein ausgewogener Mix aus verschiedenen Energiequellen und eine umsichtige Planung sind entscheidend, um die alpinen Landschaften zu schützen und gleichzeitig unsere Energieziele zu erreichen.
Rodewald: Wichtig ist, bei guten Projekten das eine zu tun und das andere nicht aus den Augen zu verlieren. Und ich glaube, das beherrschen wir auch sehr gut mit unserer Fachkompetenz in der Schweiz. Aber ich sehe zugleich, dass wir hierzulande noch weit weg sind von einer wirklich kohärenten, zukunftsfähigen Energiepolitik. Stichwort Speichertechnologien: Die Frage ist zum Beispiel, wie wir die Stromüberschüsse, die wir im Sommer produzieren, in den Winter retten können, wo mehr Energie benötigt wird. Um dafür intelligente Lösungen und tragfähige Systeme zu entwickeln, braucht es wahrscheinlich noch zehn Jahre. Wir müssen aufpassen, dass wir bei aller Beschleunigung, die wir im Energiebereich anstreben, nicht in eine holzschnittartige Politik hineingeraten, die entgegen allen Beteuerungen zu wenig Rücksicht auf den Naturschutz nimmt.