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Top-Produkte aus alten Kleidern – Texcircle macht’s möglich

Ausgediente T-Shirts des Zivildienstes werden zu modischen Socken. Foto: HSLU

Produktion & Konsum Partner Inhalt: economiesuisse

Top-Produkte aus alten Kleidern – Texcircle macht’s möglich

Der Pulli hat ein Loch? Dann landet er meist bald im Abfall – wertvolle Ressourcen bleiben so ungenutzt. Das muss nicht sein. Im Projekt Texcircle der Hochschule Luzern (HSLU) haben Forschende gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft Methoden entwickelt, um alte Stoffe zu neuen Produkten zu verarbeiten.

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Die Schweiz ist Europameisterin, wenn es ums Recycling geht. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers (PwC) und des WWF Schweiz werden rund 53 Prozent aller Siedlungsabfälle wiederverwertet. Allerdings bewegt sich das Land auch in Sachen Konsum und Müllvolumen an der Weltspitze: Der Abfallberg wächst kontinuierlich. Gleichzeitig steigt der Bedarf an natürlichen Ressourcen, ganz besonders in der Textilbranche, wobei hier Kleidung den grössten Anteil ausmacht.

Hand aufs Herz: Wie viele Outfits, bestehend aus Hose, Pulli und T-Shirt, hängen bei uns im Kleiderschrank? Gemäss der Studie kauft jede Person in der Schweiz 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr und verfügt im Schnitt über 118 Textilien. Dabei werden 40 Prozent der Modeartikel nur zwei- bis viermal getragen – und dann entsorgt. Pro Tag landen tatsächlich 70 000 der Outfits oder 100 Tonnen in der Altkleidersammlung. Tendenz steigend. So kommen hierzulande jedes Jahr mehr als 50 000 Tonnen an Alttextilien zusammen (in der EU waren es 2019 ganze 6,8 Millionen Tonnen). Etwa die Hälfte der ausrangierten Klamotten in der Schweiz werden für den Secondhand-Markt aufbereitet oder an Bedürftige weitergegeben. Doch vieles wird einfach verbrannt oder landet am Ende auf gigantischen Altkleiderdeponien, wie sie beispielsweise in der chilenischen Atacama-Wüste zu finden sind.

Zu schade für Putzlumpen

Tina Tomovic, Expertin für textile Nachhaltigkeit an der Hochschule Luzern im Fachbereich Kunst & Design, bedauert zudem, dass die wenige Kleidung, die man recycelt, oft nur zu minderwertigen Textilien wie Putzlappen verarbeitet werde. Textilprodukte aus gleicher oder ähnlicher Qualität machen jedenfalls weniger als 1 Prozent am Recyclingvolumen aus. Mit anderen Worten: Das Material dieser Textilien verschwindet unwiederbringlich aus dem Wertstoffkreislauf. Und das, obwohl Ressourcen zur Herstellung von Textilien knapper werden und die Textilbranche selbst laut EU-Nachhaltigkeitsplan beim Verbrauch von Rohstoffen und Wasser ein grosser Sünder ist: Sie steht hier an vierter Stelle, hinter der Lebensmittelbranche, dem Baugewerbe und dem Verkehrssektor. «Während Rohstoffe auf Erdölbasis für synthetische Textilien langfristig knapp werden, schränken klimatische Veränderungen, aber auch pandemie- und krisenbedingte Unterbrüche der globalen Lieferketten die Versorgungssicherheit heute schon ein», erklärt die Wissenschaftlerin Tina Tomovic und bringt es auf den Punkt.

Es müssen also neue Rohstoffquellen erschlossen werden. Das Kernkonzept «aus Alt mach Neu» ist eine Möglichkeit. «Wir müssen langfristig lernen, mit dem Material, das wir schon haben, umzugehen», erklärt Tomovic. Das heisst: Man muss alte Kleider viel besser wiederverwerten als bisher und so den textilen Kreislauf schliessen. Mit der Forschergruppe Produkt & Textil und in Kooperation mit Unternehmen hat Tomovic daher das Projekt Texcircle aufgesetzt, um Wertschöpfungsketten neu zu denken. Ziel ist es, herauszufinden, wie ein Recycling gestaltet sein muss, um die ursprünglich eingesetzten Materialien effizient als Rohstoffe für hochwertige neue Produkte verwerten zu können. Die Wiederaufbereitung von Textilien ist jedenfalls alles andere als trivial, da die Kleidung meist aus verschiedenen Komponenten besteht – beispielsweise aus Baumwolle vermischt mit Polyester. Um den Stoff zu einem vielseitig verwendbaren Garn weiterverarbeiten zu können, muss er jedoch möglichst rein sein. Das Projektteam nahm daher anhand von definierten Prototypen wie Pullis oder Teppichen die gesamte Recycling-Prozesskette von 2,5 Tonnen Alttextilien unter die Lupe, vom Sammeln der Alttextilien übers Sortieren und dem anschliessenden maschinellen Zerkleinern bis hin zum Spinnen des so gewonnenen Rohstoffs zu neuen Garnen und Vliesen.

«Im Projekt waren wir mit diversen Herausforderungen konfrontiert. Besonders aufwendig war die Materialaufbereitung», sagt Tomovic. Reissverschlüsse, Knöpfe, aber auch Futterstoffe mussten entfernt werden. Ein weiteres Learning seien die Mindestmengen für die einzelnen Prozessschritte im Textilrecycling gewesen: «Um auf industriellen Maschinen Versuche zu fahren, mussten wir vergleichsweise grosse Materialmengen zur Verfügung haben», so die Wissenschaftlerin. Durch die Pandemie sei es zudem zu Engpässen in den Lieferketten und deutlich höheren Kosten für Transporte und Materialien gekommen.

Das Texcircle-Team betrachtete das Recycling konsequent durch die Brille der Designerinnen und Designer. Denn den Kreativen kommt eine Schlüsselrolle zu: 80 Prozent der nachhaltigkeitsrelevanten Entscheidungen werden in der Designphase getroffen. So entwickelte im Rahmen des Projekts die Designforscherin Françoise Adler ein «Decision Tool», das Designschaffenden Orientierung gibt, um entsprechende Entscheidungen bei der Entwicklung ihrer Produkte treffen zu können. Das «Design Decision Tool» kann auf der Website der Forschergruppe heruntergeladen werden.

Genau zur richtigen Zeit

Eine zentrale Rolle im Projekt spielten die Unternehmen, welche die Fasern, Garne und Vliese aus dem Recycling zu Prototypen verarbeiteten. Zum Kreis der Wirtschaftspartner gehören Coop, Rieter, Rohner Socks, Ruckstuhl, Texaid und Workfashion sowie die Netzwerkpartner vom Bundesamt für Zivildienst, Nikin und Tiger Liz Textiles. Die Tests in den jeweiligen Fabrikhallen wurden für das Texcircle-Team zum «Reality Check». Laut Tina Tomovic musste man mehr als einmal feststellen, dass die Theorie in der Praxis nicht umsetzbar war. So seien beispielsweise alte Kissen und Bettdecken aus einer Materialperspektive zwar interessant, eine effiziente und kostengünstige Verarbeitung der Ware sei heute jedoch noch nicht möglich.

Neben solchen ernüchternden Erkenntnissen gab es jedoch viele Erfolgsstorys und unter dem Strich eine positive Bilanz. Die Ruckstuhl AG erstellte zum Beispiel einen Recycling-Teppich für den Wohnbereich mit einem Garn aus 50 Prozent Recyclinganteil, aus getragenen Wollmänteln und Wollpullovern. Adrian Berchtold, Geschäftsführer und Delegierter des Verwaltungsrats des Unternehmens, resümiert zufrieden: «Ruckstuhl stellt seit 1881 Teppiche aus natürlichen Fasern her, das Thema Nachhaltigkeit ist seit unseren Anfängen in unserer DNA verankert. Das Projekt Texcircle ermöglichte uns, diese Gedanken zu erweitern und zusammen mit den Projektpartnern konkrete Lösungen im Zusammenhang mit textilen Abfällen zu finden.» Das Projekt kam also genau zur richtigen Zeit.

Insgesamt wurden sechs Prototypen produziert, wobei die Produktqualität stets ebenso hoch sein musste wie bei vergleichbaren Textilien im Laden. So konnte die Winterthurer Firma Rieter aus alten Jeanshosen Garn für einen Pullover und aus alten Bäckerhosen ein Garn für Vorhänge herstellen. Der Zuger Arbeitsbekleidungsproduzent Workfashion wiederum verarbeitete Isolationsfutter aus alten Kissen und Bettdeckenfüllungen zu Arbeitswesten. Und die Firma Rohner Socks stellte aus T-Shirts des Zivildienstes Socken her. Was waren die grössten Herausforderungen bei der Neukonzeption von Wertschöpfungsketten?

Hermann Lion, CEO der Jacob Rohner AG (Rohner Socks) sieht es so: «Strategisch betrachtet liegt unser Fokus darauf, eine transparente Lieferkette aufzubauen, sodass sich der Konsument bewusst für die Produkte entscheiden kann.» Die grössten Herausforderungen könnten neue Preisstrukturen sein, bedingt durch die höheren Preise der Rohstoffe und der Verarbeitungsschritte. Dennoch ist Lion vom Projekt überzeugt: «Garne aus Post-Consumer-Waste ermöglichen es, neue Produkte mit mehr Wertschöpfung herzustellen – in unserem Fall Socken.» Dies garantiere eine bessere Nutzung von Rohmaterialien und somit einen besseren Umgang mit unseren Ressourcen. Lion: «Das Texcircle-Projekt hat bewiesen, dass diese Garne für bestimmte Produktkategorien problemlos verwendet werden können, ohne dass der Verbraucher auf Qualität, Lebensdauer oder Tragekomfort verzichten muss.»

Deklaration: Dieser Inhalt wurde vom Sustainable Switzerland Editorial Team im Auftrag von economiesuisse erstellt.

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