Mit einem protzigen Auftritt macht man sich in Schweden, wo Bescheidenheit und Egalität viel gelten, selten Freunde. Das weiss man auch bei H&M, dem schwedischen Unternehmen, das heute nach der spanischen Inditex-Gruppe der zweitgrösste Bekleidungskonzern der Welt ist. So ist die Präsenz von H&M an bester Lage in Stockholms Geschäftszentrum nicht ostentativ, aber dennoch unübersehbar.
Auf der einen Seite der Einkaufsmeile Drottninggatan liegt ein respektabler Häuserkomplex mit den Flagship-Stores von H&M und H&M Home; gegenüber sind es Läden von Arket und Monki, die die Akzente setzen. Bei Arket wird nordisches Textil- und Einrichtungsdesign zelebriert, Monki hingegen kleidet eine jüngere Klientel nach neuesten Trends ein. Allesamt geht es um Marken unter dem Dach von H&M, die in relativ kurzen Abständen neue Kollektionen präsentieren, um die Kundschaft wieder in die Läden oder auf die Onlineportale zu locken. Der Fachjargon spricht von Fast Fashion, «schneller Mode».
Geschäftsmodell mit Widersprüchen
Fast Fashion allerdings ist ein Geschäftsmodell mit Tücken. Weil es auf rascher Rotation beruht, ist Kostenoptimierung auf allen Ebenen von Produktion bis Vertrieb essenziell. Denn die Kunden haben es gerne günstig. Gleichzeitig aber sollen die Stücke in einem fairen Arbeitsumfeld produziert worden sein und die Umwelt nicht über Gebühr belasten.
Zu diesen Konsumentenerwartungen, die sich teilweise direkt widersprechen, kommt für die Bekleidungsindustrie noch ein weiteres Problem: die richtige Balance zu finden zwischen stationären Geschäften und dem Onlinehandel. Läden sind teuer, vermitteln aber ein Einkaufserlebnis. Noch 2019, vor der Pandemie, leistete H&M sich mehr als 6000 weltweit. Jetzt sind es rund 10 Prozent weniger.
Hier sehen Branchenanalytiker den Konzern in einer Zwickmühle. Bei den Marken werde Zara, das umsatzstärkste Label von Inditex, von den Konsumenten tendenziell als «wertiger» eingeschätzt als die Produkte von H&M, heisst es. Und bei den Preisen komme H&M vom unteren Ende unter Druck durch reine Online-Player wie etwa den chinesischen Händler Shein. Dieser rotiere seine Kollektionen noch rascher und trage keine Kosten für Ladengeschäfte.
Die Zahlen hellen sich auf
Diese Gemengelage reflektiert sich auch in den am Donnerstag publizierten Zahlen von H&M für das erste Quartal 2023 (Dezember bis Februar). Im vergangenen Jahr schlug sich einerseits der Rückzug aus Russland infolge des Kriegs des Kremls gegen die Ukraine negativ auf das Ergebnis nieder. Andrerseits drückten höhere Kosten für Energie, Transport und Rohmaterialien auf die Margen.
H&M entschied sich in dieser Situation, die höheren Aufwendungen nicht vollständig in die Preise einfliessen zu lassen, um die von Inflation geplagten Konsumenten nicht abzuschrecken. Man gab Marktanteilen den Vorzug vor Profitabilität.
Nun hellt sich die Situation jedoch allmählich auf, wie die geschäftsführende Direktorin Helena Helmersson am Donnerstag bei der Präsentation der Quartalsresultate erklärte. Der Umsatz zog an, in schwedischen Kronen wechselkursbedingt deutlicher (12 Prozent) als in Lokalwährungen (3 Prozent). Die operative Marge war mit 1,3 Prozent zwar kaum dort, wo das Unternehmen sie langfristig sehen möchte, doch sprach Helmersson davon, dass man auf gutem Weg sei, bereits nächstes Jahr 10 Prozent zu erreichen.
An der Börse sorgte das für einen markanten Kurssprung von bis zu 19 Prozent – die stärkste solche Zunahme seit rund zwei Jahrzehnten. Beobachter führten dies einerseits auf stark reduzierte Inventarbestände zurück; unverkaufte Kleider hatten zuvor über Jahre das Unternehmen zu substanziellen Preisreduktionen gezwungen. Andrerseits könnten Leerverkäufer, die auf einen Rückgang des Aktienkurses spekuliert hatten, von den Resultaten überrascht und zu einer Reaktion gedrängt worden sein.
Gute betriebswirtschaftliche Zahlen allein reichen laut einem Fachjournalisten des «Wall Street Journal» allerdings noch nicht aus, um eine Marke erfolgreich werden zu lassen. Wichtig sei vielmehr, dass ein Modelabel auch auf der Gefühlsebene die Konsumenten anspreche.
Nachhaltigkeit als Argument für die Marke
H&M setzt hier nicht zuletzt auf Nachhaltigkeit. Doch es geht um einen diffizilen Balanceakt, weil das Konzept von Fast Fashion in seiner bisherigen Form quasi die Antithese von bewusstem Umgang mit begrenzten Ressourcen ist.
Einerseits führt das Geschäftsmodell zu einer Wegwerfmentalität bei der Kundschaft. Andrerseits landen laut dem globalen Netzwerk Clean Clothes Campaign von den 100 Milliarden Kleidungsstücken, die jährlich produziert werden, drei Fünftel innerhalb bloss eines Jahres im Müll. Und weil Kleider so billig seien, würden 50 Prozent der Stücke bei ihren Besitzern ungebraucht herumhängen.
Die H&M-Chefin Helmersson betonte am Donnerstag, dass Investitionen in neue Geschäftsmodelle Teil einer auf mehr Nachhaltigkeit fokussierten Konzernstrategie seien. Sie nannte etwa die sich dynamisch sich entwickelnde Second-Hand-Onlineplattform Sellpy.
Auch in den H&M-Läden in Stockholm sind Anläufe in Richtung Wiederverwertung sichtbar. Monki zum Beispiel nimmt getragene Kleider in gutem Zustand entgegen und zahlt dem früheren Besitzer 40 Prozent, wenn ein Stück als «Pre-Loved» wieder verkauft werden kann. Sonst kann man sie entweder abholen oder dem H&M-Recycling-Partner Remondis überlassen. Diesen Service bieten vorerst nur zwei Stockholmer Filialen. Im Ausland soll das Projekt aber demnächst auch anlaufen.
Im Flagship-Store wiederum wird ein «Repair & Remake»-Atelier unterhalten, wo man sich gegen Gebühr Kleider anpassen und flicken lassen kann – auch solche anderer Marken. Ausserdem wurde 2020 im zweiten Stock der «Looop» eingeweiht, eine vollautomatische Recyling-Maschine, die alte Baumwollkleider reinigt, schreddert, mit neuer Baumwolle mischt, alles in neues Garn verwandelt und in einer 3-D-Strickmaschine etwas Neues daraus macht. Wer ein altes Stück bringt, darf sich wünschen, in welcher Form es zu einem zurückkommen soll.