Warum unterstützt ein Klimaforscher die diesjährige Public Challenge im Rahmen der Swiss Climate Challenge?
Reto Knutti: Im Bereich Klimaschutz tun wir klar zu wenig, weil wir ein bisschen faul sind, weil wir Gewohnheitstiere sind, die sich ungern ändern, oder weil uns die Alternativen fehlen. Die Public Challenge gibt uns eine Möglichkeit, diese Anreize zu setzen und den Leuten zu zeigen, wie klimafreundliches Verhalten mit wenig Aufwand möglich ist.
Wo fällt Ihnen ein klimafreundliches Mobilitätsverhalten besonders schwer?
Bei der Mobilität ist es noch ein bisschen komplizierter, wenn man zum Beispiel in den Bergen unterwegs ist oder Lasten transportieren muss. Aber in vielen Bereichen ist es ganz einfach, insbesondere im Pendlerverkehr. Und es hat ganz viele Vorteile, wenn man auf Langsamverkehr oder ÖV umsteigt.
Was können die Unternehmen tun, um Mitarbeitende für klimafreundliche Mobilität zu begeistern?
Die Unternehmen haben eine wichtige Rolle. Sie können den Leuten zum Beispiel ein vergünstigtes Bahn-Abo finanzieren oder batterie-elektrische Fahrzeuge kaufen. Oder sie können durch interne Prozesse und Anreize den Leuten aufzeigen, wie sie etwas ändern können.
Weshalb motivieren Sie zur aktiven Teilnahme an der Public Challenge?
Man muss, um für den Klimaschutz etwas zu tun, weder perfekt sein noch auf alles verzichten. Die Möglichkeiten sind da, man muss einfach anfangen. Es ist ein bisschen wie beim Sport. Der erste Schritt braucht einen Anreiz. Vielleicht braucht es auch andere, die mithelfen, die einen ermuntern, und dann merkt man, dass es eigentlich gar nicht so schwierig ist, wenn man mal angefangen hat.
Was kann jede einzelne Person machen, um klimafreundlicher unterwegs zu sein?
Die CO2-Emissionen in der Schweiz sind dominiert durch den Privatverkehr, durch das Fliegen und dann von Heizen, Industrielandwirtschaft, Dienstleistungen und Abfall. Aber man sieht sofort, dass man insbesondere bei der Mobilität und dann beim Heizen und bei der Ernährung ganz viel leisten könnte.
Welchen Nutzen ziehen Sie selbst aus einem klimafreundlichen Mobilitätsplan?
Ich bin persönlich ohne Auto unterwegs. Ich fahre Zug, weil ich gerne Zug fahre. Ich kann dabei arbeiten. Ich bin entspannt und muss mich nicht um das Fahren kümmern. Oder mit dem Velo bin ich auch gerne unterwegs. Das gibt zusätzlich ein bisschen Fitness und frische Luft – auch für das Gehirn. Es ist die beste Möglichkeit, abzuschalten und auf neue Ideen zu kommen.
Wie hat sich der CO₂-Ausstoss der Mobilität in den letzten Jahren entwickelt?
Die Mobilität sorgt für den grössten Teil des CO₂-Ausstosses in der Schweiz mit ungefähr 25% – dominiert durch den Privatverkehr und nicht den Warentransport oder die Firmen. Der CO₂-Ausstoss in der Mobilität im Strassenverkehr ist ungefähr konstant seit vielen Jahren. Obwohl die Motoren effizienter werden, fahren wir immer mehr Kilometer mit immer weniger Leuten im Auto und in immer grösseren Autos. Das heisst, der Fortschritt ist eigentlich sehr bescheiden.Allerdings ist dort die Möglichkeit da, etwas zu tun, denn die batterie-elektrischen Fahrzeuge werden immer besser, attraktiver und auch günstiger. Den zweiten grossen Teil der Mobilität bildet das Fliegen. Mit den indirekten Effekten der Kondensstreifen sind das auch etwa 20% der Treibhausgasemissionen der Schweiz.
«Klimaschutz ist nicht so schwierig und kann sogar Spass machen, mach auch du mit bei der Public Challenge.»
Medial beeinflusst, hat man den Eindruck, es ist sowieso zu spät – können wir mit dem Klimaschutz noch etwas bewirken?
Wir können den Klimawandel nicht von heute auf morgen rückgängig machen, aber mit unserem Verhalten haben wir die Möglichkeit, zu wählen zwischen 1,5 Grad Erwärmung oder 2 oder 3 oder 4… Und es ist klar: je wärmer, desto schlimmer. Die Auswirkungen sind substanziell. Wir könnten eine gefährliche Klimaveränderung vermeiden, wenn wir sofort rasch unsere CO₂-Emissionen senken.
Was ist der Unterschied zwischen einer Welt, die sich um 1,5 Grad erwärmt, und einer, die sich um 4 Grad erwärmt?
Es gibt beim Klimawandel nicht eine scharfe Grenze zwischen «alles wunderbar» und «alles katastrophal». Jedes Zehntel Grad zählt. Das heisst, wir müssen versuchen, möglichst tief zu kommen. Mit 1,5 oder deutlich unter 2 Grad könnte man die stärksten Auswirkungen – auch die Kipppunkte im Klimasystem – weitgehend vermeiden. Im Bereich von 3 bis 4 Grad sind wir in einer Welt, wo in vielen Regionen das Leben kaum mehr möglich ist.
Welche Bedeutung hat in diesem Kontext das individuelle Verhalten für den Klimaschutz überhaupt noch?
Die Lösungen zum Klimaschutz sind immer eine Kombination aus Technologie, politischen Rahmenbedingungen und individuellem Verhalten. Die Technologie ist extrem wichtig, denn ohne sie geht es nicht.Wir müssen alternative Energien finden. Mit Photovoltaik und Wind geht das schon ganz gut. Die Politik muss den Rahmen schaffen, dass alle ihren fairen Beitrag leisten und die richtigen Kostenanreize gesetzt werden. Das Individuum, die Einzelperson kann natürlich mit ihrem Verhalten ganz viel bewirken. Das Schöne ist: Die Lösungen werden immer attraktiver. Es wird immer einfacher, etwas zu tun.
Wo können wir in unserem individuellen Verhalten am meisten CO₂ einsparen?
Als Individuum ist es am einfachsten, im Bereich der Mobilität etwas zu tun. Also weniger Auto fahren oder batterie-elektrisch fahren, wenn es ein Auto sein muss.Weniger fliegen. Das Haus isolieren, wenn man eines hat. Eine Wärmepumpe installieren. Und dann vielleicht bei der Ernährung etwas tun. Dann haben wir wahrscheinlich schon die ersten 50% der CO₂-Emissionen eliminiert.
Und zu guter Letzt: ein Appell?
Klimaschutz ist keine Frage von Technologie oder Geld. Wir haben die Möglichkeiten, mehr als jedes andere Land, mit gut ausgebildeten Menschen, mit viel Geld, mit einer stabilen Demokratie. Es ist eine Frage des politisch-gesellschaftlichen Willens. Die Schweiz kann das stemmen.
_Reto Knutti, Klimaforscher an der ETH Zürich.