Nach Angaben des Whitepapers ist trotz des beträchtlichen Anstiegs der nationalen Netto-Null-Verpflichtungen nur ein Drittel der globalen Emissionen durch ein Netto-Null-Ziel für 2050 abgedeckt – das grobe Datum, das für einen 1,5-Grad-Zielpfad erforderlich ist. In diesem Jahrzehnt fällt die Kluft sogar noch grösser aus, denn nur etwa 20 Prozent der Länder haben sich bisher zu kurzfristigen Massnahmen verpflichtet, die in etwa dem nahe kommen, was erforderlich ist. Der Anteil der Länder mit relativ ehrgeizigen Strategien zur Umsetzung dieser Aktivitäten liegt sogar bei unter zehn Prozent. Besonders in der Verantwortung stehen gemäss der Studie die zehn grössten Emittenten weltweit: Auf sie allein entfällt die Hälfte der Lücke zu 1,5 Grad.
Und wie sieht es bei den Unternehmen aus? Auch hier gibt es zunächst Positives zu berichten: Die Gesamtzahl der Firmen, die sich zu wissenschaftlich fundierten 1,5-Grad-Zielen verpflichtet haben, hat sich der Studie zufolge zwischen Ende 2020 und August 2023 mehr als versechsfacht. Allerdings haben von den weltweit führenden 1000 Unternehmen bisher weniger als 20 Prozent konkrete Ziele formuliert, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, während fast 40 Prozent überhaupt keine Verpflichtung zur Netto-Null-Emission eingegangen sind.
Technologien nicht ausgereift
Ein weiteres Hindernis besteht laut Whitepaper darin, dass grüne Technologien und die erforderliche Infrastruktur nicht schnell genug ausgebaut werden. Wind-, Solar- und Batterietechnologien sind entscheidende Schritte auf dem Weg zur Klimaneutralität, jedoch erreichen sie die notwendigen Entwicklungsstufen nicht in ausreichendem Tempo. Hinzu kommt: Alle grünen Technologien, die heute bereits wettbewerbsfähig sind – oder es bald sein werden –, können nur etwa 55 Prozent der Emissionen reduzieren, die für das Erreichen des 1,5-Grad- Ziels erforderlich sind. Andere Verfahren, darunter solche zur «tiefgreifenden Dekarbonisierung » wie Wasserstoff, Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung oder direkte Luftabscheidung, sind derzeit noch nicht ausgereift genug für eine Anwendung in grossem Stil.
Innovation beschleunigen
«Um den Rückstand aufzuholen, müssen Innovation und industrielle Skalierung in einem noch nie dagewesenen Ausmass beschleunigt werden», betont Nachhaltigkeitsexperte Daniel Kaegi, Managing Director und Senior Partner bei BCG. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Folgt man dem Report von BCG und WEF, geht es dabei nicht zuletzt ums Geld. So klaffte 2022 in puncto Klimaschutz immer noch eine Finanzierungslücke von mehr als zwei Billionen Dollar. Auf Bioenergie, Wasserstoff, nachhaltigen Flugkraftstoff, CO₂-Speicherung und Batteriespeicher entfielen zusammen nur etwa zwei Prozent der globalen Mittel zur Bekämpfung der Klimakrise, wie es in der Studie heisst. Die Finanzierungslücke sei dabei in Ländern mit niedrigeren Einkommen doppelt so gross gewesen wie in Ländern mit höherem Einkommen. Kein Wunder: In den ärmeren Staaten steht weniger Kapital zur Verfügung, und die Risiken werden höher eingestuft.
Konkrete Massnahmen
«Die alarmierenden Trends, die in unserem Bericht aufgezeigt werden, sollten nicht ignoriert werden», so Daniel Kaegi. «Angesichts der Dringlichkeit und des Ausmasses der Klimakrise ist sofortiges, koordiniertes Handeln auf allen Ebenen erforderlich.» BCG und WEF plädieren dafür, Prioritäten zu setzen und umgehend folgende Massnahmen zu ergreifen:
Bürokratische Hemmnisse überwinden, die den Fortschritt bei der Entwicklung klimafreundlicher Technologien und Infrastrukturen behindern. Dies erfordert eine umfassende Vereinfachung der regulatorischen Prozesse, um den Ausbau zu beschleunigen.
Unternehmen fördern, die sich ehrgeizige Ziele in puncto Klimaneutralität setzen. Dies schliesst die Beschaffung von Rohstoffen und die Optimierung der Lieferketten ein.
Die finanzielle Unterstützung für klimafreundliche Technologien und die dazugehörige Infrastruktur erheblich steigern, um einen wirtschaftlichen Betrieb zu gewährleisten. Dies erfordert eine verstärkte Investition in Forschung und Entwicklung sowie eine verbesserte Förderung von grünen Projekten.
Die Klimahilfe im globalen Süden erhöhen. Bi- und multilaterale Klimaförderprogramme für diese Länder spielen eine entscheidende Rolle, um einen globalen Effekt in den Bemühungen um Klimaneutralität zu erzielen. Diese Programme müssen erheblich erweitert werden, um die nachhaltige Entwicklung und Anpassung an den Klimawandel in diesen Regionen zu unterstützen.
Kaskade von Kipppunkten
Die Gefahr, das 1,5-Grad-Ziel zu verfehlen, sei sehr real, warnt Daniel Kaegi mit Verweis auf die Studie. Dort heisst es: «Die Menschheit ist gefährlich nahe daran, eine Kaskade von Kipppunkten auszulösen, die die Zukunft des Planeten bedrohen. Die Welt braucht mehr Pariser Momente und Aktionen, die in naher Zukunft etwas bewirken können.» Untätig zu bleiben, komme nicht in Frage, betont Kaegi: «Die Kosten für uns alle wären einfach zu hoch.»