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Kühe grasen auf einer Weide

Wenn Kühe auf mit PFAS belasteten Böden weiden, kann das Fleisch die zulässigen Höchstwerte überschreiten – so geschehen im Kanton St. Gallen. Bild: Karin Hofer / NZZ

Produktion & Konsum

PFAS im Fleisch: In St. Gallen sind Weiden mit sogenannten Ewigkeitschemikalien verseucht. Eine Sanierung ist kaum möglich

Die Chemikalien, bekannt als Imprägnierung von Regenjacken oder Beschichtung von Bratpfannen, sind vermutlich schon vor mehreren Jahrzehnten in den Boden gelangt. Jetzt zeigt sich ihr grösstes Problem: Sie sind praktisch unzerstörbar.

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PFAS im Fleisch: In St. Gallen sind Weiden mit sogenannten Ewigkeitschemikalien verseucht. Eine Sanierung ist kaum möglich

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Im Kanton St. Gallen sind PFAS-Chemikalien in Fleisch festgestellt worden. PFAS, kurz für Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, werden als potenziell gesundheitsschädlich eingestuft; für Lebensmittel gelten deshalb teilweise Höchstwerte. Im Fleisch und in der Milch einiger Kühe, die auf mit PFAS kontaminierten Böden weiden, sind die Grenzwerte überschritten worden. Das teilte der Kanton am Mittwoch mit. Das Fleisch dürfe nicht für die menschliche Ernährung verwendet werden.

Dass es in St. Gallen so wie in der gesamten Schweiz mit PFAS verseuchte Böden gibt, war bereits bekannt. Durch neue Untersuchungen seien jedoch zusätzlich zu den bekannten noch weitere betroffene Böden gefunden worden. Sie liegen im Gebiet Mörschwil - Eggersriet - Untereggen - Goldach - Altenrhein - St. Margrethen. Das Trinkwasser von öffentlichen Wasserversorgungen im Kanton sei ebenfalls beprobt worden, zeige aber keine erhöhten PFAS-Gehalte, heisst es in der Mitteilung.

PFAS heissen auch Ewigkeitschemikalien – sie sind überall

PFAS oder PFC (per- und polyfluorierte Chemikalien) sind in den vergangenen Jahren auch als «Ewigkeitschemikalien» bekannt geworden. Es handelt sich um eine Gruppe von mehr als 10 000 verschiedenen Stoffen, die in der Umwelt praktisch unzerstörbar sind und sich deshalb in der Nahrungskette anreichern. Sie können in der Luft um die ganze Welt reisen und finden sich an den entlegensten Orten fernab menschlicher Aktivität. Sie sind in Fischen und anderen Tieren ebenso nachgewiesen wie im Trinkwasser, in menschlichem Blut und Muttermilch – sie sind überall.

Als tolerierbare wöchentliche Aufnahmemenge hat die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde 4,4 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht festgelegt. Allerdings können Verbraucher kaum beeinflussen, wie viel PFAS sie zu sich nehmen.

Bedenklich ist das, weil einige der bekanntesten PFAS möglicherweise krebserregend sind oder Auswirkungen auf Reproduktion, Hormone, Nerven, Fettstoffwechsel oder Immunsystem haben. Um ihre tatsächlichen Aus- und Wechselwirkungen beurteilen zu können, müsste man aber Organismen auf alle PFAS untersuchen, denen sie ausgesetzt waren – was praktisch unmöglich ist.

Dass PFAS überall sind, liegt an ihren wasser-, fett- und schmutzabweisenden Eigenschaften. Sie stecken in Backpapier, Einweggeschirr, Regenjacken, Zahnseide, in Bratpfannen, Skiwachs und Teppichen. In die Umwelt gelangen sie durch die Abwässer aus der Produktion, während der Nutzung oder durch Verbrennung. Im Fall der St. Galler Weiden vermuten die Behörden, dass die Stoffe aus Klärschlamm stammen – bis 2006 war es in der Schweiz erlaubt, ihn als Dünger auszubringen.

Die Sanierung von mit PFAS belasteten Böden ist extrem aufwendig

«Das ist plausibel», bestätigt Basilius Thalmann von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften am Telefon. Der Umweltwissenschafter hat 2023 in einer grossen Studie die Böden der Schweiz auf PFAS untersucht. «Aber wahrscheinlich war es in diesem Fall auch einfach Pech. Es wurde ja überall mit Klärschlamm gedüngt, und wir haben auch solche Böden beprobt, aber die Konzentrationen waren nicht überall so hoch.» PFAS stammen oft aus Feuerlöschschaum; vielleicht, so mutmasst Thalmann, habe es in der Nähe einen Übungsplatz der Feuerwehr gegeben.

Bei solchen Übungsplätzen wurde verschiedentlich auch schon versucht, den Boden zu sanieren: «Man kann das ausgraben und zum Beispiel mit Bauaushub auffüllen», sagt Thalmann. Aber wenn es wie in St. Gallen um Landwirtschaft geht, ist das wegen der Grösse der Flächen unrealistisch. «Man müsste erst einmal Deponien finden, in denen man so viel Erde lagern kann, und wenn es dann da raussickert, hat man das gleiche Problem wie vorher.»

Es gebe einzelne Unternehmen, die laut Eigenangaben den Boden waschen könnten. «Aber man darf sich das nicht vorstellen wie ein dreckiges T-Shirt, das dann wieder schön sauber aus der Maschine kommt», sagt Thalmann. «Das ist immer noch destruktiv, der Boden ist dann tot.» Die Menge an belastetem Schlamm sei zwar kleiner als bei der Ausbaggerung, doch wolle man ihn beispielsweise verbrennen, müsse man aufpassen, dass die Abgase nicht in die Umwelt gelangten.

Ob eine dieser Methoden für die Weidefläche in St. Gallen in Betracht kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa wie hoch die Konzentration der Schadstoffe ist – der Wert ist bis jetzt nicht öffentlich – oder bis in welche Tiefe sie reicht.

Wissenschafter plädieren für ein breites Verbot von PFAS

Schon allein aus rechtlichen Gründen müsse der Kanton nun wahrscheinlich die Beweidung der Fläche verbieten, vermutet Thalmann. Für die Bauern sei das einschneidend. Wenn sie Glück haben, können sie die Fläche anders nutzen: «Kühe und Schafe nehmen beim Weiden auch Bodenpartikel auf, das ist bekannt», erklärt er. «Gegebenenfalls könnte man statt der Beweidung Mais pflanzen, dann fände ein gewisser Transfer der PFAS in die Pflanze statt, aber nur in geringer Menge.»

Die Stoffe, die seit Jahrzehnten in die Welt freigesetzt werden, machen nun Probleme. «Wir müssen Lösungen finden», sagt Thalmann. Und es gebe viele neue chemische Verbindungen aus dieser riesigen Gruppe, die man noch gar nicht im Boden messen könne. Denn dafür brauche es Vergleichsmaterial – das aber gar nicht frei verkäuflich sei. Dass sich Wissenschafter und mehrere EU-Mitgliedsstaaten für ein breites Verbot von PFAS einsetzen, findet Thalmann deshalb gut. «Das Zeug ist jetzt da – aber wir müssen auch schauen, dass es nicht noch mehr wird.»

Esther Widmann, «Neue Zürcher Zeitung» (28.08.2024)

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Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

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