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Ein Mann steht im Regen in einem Gebirge und trägt eine dunkelrote Regenjacke

Alleskönner: Dank PFAS ist zum Beispiel die Outdoorjacke bei Regen dicht. Bild: Pexels

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Pellets aus Zürich können entscheidend dazu beitragen, ein Umwelt- und Gesundheitsproblem von globalem Ausmass in den Griff zu bekommen

Sogenannte PFAS finden sich in Regenjacken, Kaffeebechern oder Löschschaum – und längst auch in unserem Wasser. Die schädlichen Chemikalien sind ein globales Gesundheitsproblem, für das ein Schweizer Startup nun eine vielversprechende Lösung gefunden hat.

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Pellets aus Zürich können entscheidend dazu beitragen, ein Umwelt- und Gesundheitsproblem von globalem Ausmass in den Griff zu bekommen

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  • Ein Schweizer Startup namens Oxyle hat eine Technologie entwickelt, die PFAS-Chemikalien im Wasser zerstört und in unbedenkliche Mineralien umwandelt.
  • Die Technologie ist 15-mal energieeffizienter als herkömmliche Methoden und kann PFAS direkt vor Ort abbauen, ohne dass giftiger Abfall entsteht.

Ein Gewerbegebiet in Schlieren, zwei Tramstationen vor den Toren Zürichs. Ein kleines Labor in einem gesichtslosen Gebäude. Ein paar schwarze Pellets, klein wie Lakritz-Dragées, die in einen Plastikkolben purzeln, Luftbläschen lassen sie im Wasser auf und ab tanzen, es blubbert und klackert ein bisschen, sonst passiert: nichts. So unscheinbar können Innovationssprünge daherkommen.

In den kleinen Pellets steckt grosses Potenzial. Sie können entscheidend dazu beitragen, ein Umwelt- und Gesundheitsproblem von globalem Ausmass in den Griff zu bekommen – ein Problem, das unsere Böden, unsere Nahrungsmittel und unser Trinkwasser betrifft. «Die Pellets sind unsere Technologie», sagt Antoine Brison. Der 32-Jährige ist Verfahrenstechnik-Ingenieur bei Oxyle, einem 2020 gegründeten ETH-Spin-off für Wasserreinigung, das seitdem eine bemerkenswerte Menge Auszeichnungen und Risikokapital eingeheimst hat.

In den blubbernden Kolben des Oxyle-Labors testen Brison und sein Team, wie die «Technologie» sich verbessern lässt und wie zuverlässig sie über längere Zeiträume – manche Versuche dauern Wochen – funktioniert. Die Pellets sind Samples patentierter Katalysatoren, die kleinste Schadstoffe im Wasser zerstören und damit unschädlich machen – und zwar solche, die als nahezu unzerstörbar galten.

Auch wenn die Schadstoffkonzentrationen im Labor sehr gering sind, trägt Brison Gummihandschuhe, wenn er mit den Versuchsflüssigkeiten hantiert. «Die Substanzen sind extrem langlebig», erklärt er. «Wenn sie einmal im Körper sind, dann bleiben sie da auch. Und reichern sich über die Jahre an.»

Die Substanzen, denen Oxyle den Kampf angesagt hat, nennen sich PFAS, das steht für «per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen». Die Industrie hat Tausende Varianten davon entwickelt, die ganz verschiedene Funktionen erfüllen: PFAS helfen der Outdoorjacke, bei Regen dicht zu halten. Sie sorgen dafür, dass die Teflonpfanne nichts anbrennen lässt, und dafür, dass Löschschaum Brände beendet. Ohne PFAS-Beschichtung würde der Kaffee durch den Pappbecher sickern.

Flüssigkeit und Schmutz abweisende PFAS machen unseren Alltag bequemer. Doch wenn sie die ihnen zugedachte Funktion erfüllt haben, werden sie von der Lösung zum Problem. Denn PFAS sind Kunststoffe, die in der Natur nicht vorkommen und auf natürlichem Weg so gut wie nicht abbaubar sind. Das hat ihnen den Spitznamen «Ewigkeitschemikalien» eingebracht.

«Nicht alle PFAS sind gleich toxisch»

«PFAS reichern sich mehr und mehr in der Umwelt an – so lange, bis sie bestimmte Grenzwerte überschreiten und zur Gefahr werden», sagt Zhanyun Wang, Wissenschafter in der Gruppe für Umweltrisikobewertung und -management an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). In vielen Fällen, so Wang, sei das bereits passiert. «In vielen Regionen der Welt ist selbst Regenwasser schon so PFAS-haltig, dass man es nicht mehr bedenkenlos trinken kann.» Im Kanton St. Gallen sorgten mit PFAS belastete Weiden kürzlich für ein Verkaufsverbot für Fleisch.

Da es so viele verschiedene Ewigkeitschemikalien gibt, lässt sich über ihre Giftigkeit nichts Generelles sagen. Von manchen PFAS weiss man, dass sie zu erhöhten Cholesterinwerten führen, andere beeinträchtigen das Immunsystem oder vermindern die Wirkung von Impfungen – auch bei Babys, die PFAS über die Muttermilch aufnehmen. «Nicht alle PFAS sind gleich toxisch», so Wang. «Aber die verfügbaren Studien legen nahe, dass alle PFAS einen gewissen Grad an Giftigkeit oder Potenzial zur Schädigung der Umwelt aufweisen.»

Mit Oxyle wächst nun ein Startup heran, das für die Lösung, die zum Problem geworden ist, wieder eine Lösung gefunden hat. Denn bis jetzt gebräuchliche Anti-PFAS-Methoden verlagern das Problem oft nur: Man versucht, die Ewigkeitschemikalien per Aktivkohle oder Filtration aus dem Boden oder dem Wasser herauszubekommen – hat im Erfolgsfall aber hochkonzentrierten Giftmüll, der deponiert oder verbrannt werden muss. Beides ist aufwendig, teuer und birgt die Gefahr, dass die extrem langlebigen Chemikalien zurück in den Wasserkreislauf gelangen.

Oxyle hingegen hat einen Katalysator entwickelt, der PFAS aufspaltet und in unbedenkliche Mineralien zerlegt – direkt im Wasser, ohne energieintensiven Umweg über Verbrennungsöfen. Auch kurzkettige PFAS, die als besonders widerspenstig gelten, werden durch den Katalysator zuverlässig zerstört. «Aus ewig wird endlich», sagt Fajer Mushtaq, die Chefin und Mitgründerin von Oxyle, mit Blick auf die Ewigkeitschemikalien.

Ausgangspunkt war Mushtaqs Doktorarbeit an der ETH Zürich. «Mein Professor stellte mir das Thema der Arbeit frei», erzählt die 33-Jährige, die schon ihren Masterabschluss an der ETH zum Thema Mikro- und Nanosysteme machte. «Er sagte lediglich: Widme dich einem Thema, das dir wirklich etwas bedeutet.» Diese Freiheit nutzte sie, um sich einen Kindheitstraum zu erfüllen: verschmutztes Wasser zu reinigen.

Mushtaq wurde in Kaschmir geboren, einer Hochgebirgsregion im Norden Indiens, reich an politischen Konflikten, aber auch an intakter Natur. Als Kind zog sie mit ihrer Familie in die Millionenmetropole Delhi. Der dortige Mangel an Trinkwasser war ein einschneidendes Erlebnis für Mushtaq. «Auf einmal begriff ich, dass sauberes Wasser nicht selbstverständlich ist. Es ist etwas Kostbares. Etwas, was wir schützen müssen.»

Ein Nebenprodukt von Mushtaqs Doktorarbeit war das Patent für einen neuartigen Nano-Katalysator – das Herzstück von Oxyle. Die Firma gründete sie im Mai 2020 zusammen mit Silvan Staufert, der für seine Dissertation in einem benachbarten ETH-Laborteam forschte. Noch im ersten Jahr des Bestehens erhielt das Startup mehr als 2 Millionen Euro aus einem Innovationsförderprogramm der EU. Inzwischen hat Oxyle etwa 12 Millionen Franken an Fördergeldern und Risikokapital eingesammelt und wurde mehrfach ausgezeichnet, jüngst im November mit dem Swiss Technology Award 2024 in der Kategorie Startups.

Seit Oktober im echten Einsatz

Dass so viele Menschen grosse Hoffnungen in eine so junge, kleine Firma setzen – derzeit arbeiten hier gerade einmal gut zwei Dutzend Mitarbeitende aus fast ebenso vielen Nationen –, wundert das Gründerteam nicht. «Was wir anbieten können, verändert die Spielregeln der Branche», sagt Mushtaq selbstbewusst. Denn Oxyle kann PFAS nicht nur an Ort und Stelle zuverlässig zerstören. Das Verfahren ist 15-mal energieeffizienter – und damit weit kosteneffizienter als bisherige Technologien.

Der Schlüssel dafür ist der Katalysator, der aus nanoporösem Material besteht und damit über eine riesige Oberfläche verfügt, an der die PFAS andocken. Aktiviert wird er allein durch die Turbulenzen des Wassers – und zersetzt die Problemchemikalien dann in unproblematische Nebenprodukte wie Fluorid- und Sulfat-Ionen sowie Kohlendioxid. «Einen Kubikmeter mit PFAS-verunreinigtem Wasser in einer gängigen Verbrennungsanlage zu entsorgen, kostet Tausende Franken», sagt Silvan Staufert, Oxyles technischer Direktor. «Mit unserer Technologie hingegen bewegen wir uns in der Grössenordnung von ein paar Franken.»

Ein zweiter Game-Changer, mit dem Oxyle punkten kann, geht auf Stauferts Forschungsarbeit an der ETH zurück: ein Analysegerät, das es ermöglicht, den Fortschritt bei der PFAS-Reinigung fast in Echtzeit zu messen. Ein deutlicher Zeitvorteil gegenüber dem bisher üblichen Verfahren, Proben zu nehmen und an ein Labor zu senden – Ergebnisse liegen dann erst Tage oder Wochen später vor.

Nachdem Oxyle in den vergangenen Jahren unter Beweis gestellt hatte, dass seine Anti-PFAS-Technologie im Labormassstab funktioniert, ging vor ein paar Wochen nun die erste Grossanlage in Betrieb: in einem Schweizer Chemiepark, wo bei Brandschutzübungen eingesetzter PFAS-haltiger Feuerlöschschaum das Grundwasser verunreinigt hat.

Seit Ende Oktober verrichtet in einem rund sieben Meter langen Container ein Oxyle-Katalysator seinen Dienst und reinigt bis zu zehn Kubikmeter kontaminiertes Wasser pro Stunde. Auch Grössenordnungen von 100 oder 200 Kubikmetern pro Stunde sind damit schon jetzt in Reichweite, indem 10 oder 20 dieser Module kombiniert werden.

«Ein Meilenstein», sagt Fajer Mushtaq: Ihre Idee funktioniert auch im industriellen Massstab. Was sie mit ihrer Doktorarbeit angestossen hat, wird immer weniger unscheinbar.

Markus Wanzeck, «NZZ am Sonntag» (15.12.2024)

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