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Klima & Energie

«Ohne Massnahmen laufen wir in eine Stagflation»

Heute hat die Schweiz ihren Overshoot Day erreicht – den Tag, an dem die natürlichen Ressourcen für das Jahr aufgebraucht sind. Wie wird dieser Tag berechnet und welche Konsequenzen hat er für uns? Nachhaltigkeitsexperte Mathis Wackernagel gibt im Interview Antworten.

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Ab heute lebt die Schweiz auf Pump bei der Natur. Der Schweizer Overshoot Day vom 27. Mai symbolisiert den Tag, an dem Earth Overshoot Day stattfände, würden alle wie die Schweizer kommunizierten. Im Grunde bedeutet dies, dass wir für den Rest des Jahres auf Kosten der Zukunft leben.

Der Zeitpunkt des Overshoot Days variiert von Land zu Land und wird vom Global Footprint Network festgelegt. Die Forschungsorganisation wurde vom Basler Wissenschaftler Mathis Wackernagel mitbegründet.

Herr Wackernagel, mit welchen Daten berechnen Sie den Overshoot Day einzelner Länder?

Wackernagel: Wir bemessen den Zeitpunkt des Overshoots, oder der «Übernutzung», auf Basis der Regenerationszeit der Biosphäre und stellen diese dem ökologischen Fussabdruck der einzelnen Länder gegenüber. Es ist eine simple Ressourcenbilanz auf Grundlage von Daten der Vereinten Nationen (UN).

Mathis Wackernagel gilt als Schweizer Pionier im Bereich Nachhaltigkeit. Er ist Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Global Footprint Network. Diese internationale Non-Profit-Organisation hilft Regierungen und Unternehmen dabei, ihre natürlichen Ressourcen zu verwalten und auf den Klimawandel zu reagieren.

Das Konzept des ökologischen Fussabdrucks entwickelte Wackernagel in den 1990er Jahren im Rahmen seines Doktorats. Es dient dazu, die menschliche Nachfrage mit der Regenerationsfähigkeit von Ökosystemen zu vergleichen. Dadurch können Forschende den globalen ökologischen Overshoot und das Defizit einzelner Länder erfassen.

Für seine Arbeit wurde Wackernagel mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der World Sustainability Award 2018, der IAIA Global Environment Award 2015 und der Blue Planet Prize 2012. Zudem erhielt er 2007 einen Ehrendoktorat der Universität Bern.

Der letztjährige Overshoot Day der Schweiz fand am 13. Mai 2023 statt – dieses Jahr ist er am 27. Mai. Sind wir mit unseren Ressourcen besser umgegangen?

Im Vergleich zu den Vorjahren nimmt der Ressourcenverbrauch der Schweiz pro Kopf aktuell ein wenig ab. Aber wir bewegen uns weiterhin auf einem sehr hohen Niveau. Denn die Übernutzung verhält sich kumulativ. Das heisst, wenn Jahr für Jahr mehr CO2 in die Atmosphäre abgegeben wird, summiert sich die Menge. Selbst wenn die jährlichen Emissionen konstant bleiben, steigt die Gesamtmenge des CO2 in der Atmosphäre kontinuierlich an.

Der Ressourcenverbrauch der Schweiz nimmt demnach nicht schnell genug ab, um wirklich einen Unterschied zu machen?

Nein. Ob wir jetzt einen Viertel oder nur einen halben Planeten mehr brauchen – die Atmosphäre wird immer voller. Dass der diesjährige Overshoot Day 14 Tage später stattfindet, hängt aber auch mit der Datenlage zusammen. Diese ändert sich ständig. Daher passen wir unsere Footprint-Accounts ständig an.

Wie viele Erden bräuchten wir aktuell?

Die Daten der UN zeigen, dass die Menschheit aktuell etwa das 1,7-fache der Ressourcen braucht, die die Biosphäre regenerieren kann. In einem laufenden Jahr haben wir also unser «Budget» an Ressourcen nach ungefähr sieben Monaten aufgebraucht und leben dann vom Abbau der natürlichen Ressourcen. Hinzu kommt, dass auch die Biodiversität Ressourcen verbraucht und Platz benötigt. Selbst wenn die Menschheit es schaffen würde, ihren Ressourcenverbrauch auf einen Planeten zu reduzieren, wären wir im Overshoot.

Die Menschheit müsste ihren Ressourcenverbrauch demnach halbieren. Was geschieht, wenn uns das nicht gelingt?

Stagflation. Man kann das zeitlich noch ein bisschen herauszögern, aber am Ende werden wir einer Ressourcenknappheit gegenüberstehen, die auch die Wirtschaft beeinflussen wird.

Wie kann die Schweiz dieses Szenario abwenden?

Die Vorbereitung auf die Zukunft liegt in unserer eigenen Hand. Das grösste Missverständnis ist zu glauben, dass es keinen Sinn macht, zu reagieren, wenn alle anderen es nicht tun. Doch je weniger die anderen sich auf die Zukunft vorbereiten, desto wesentlicher wird es für uns. Die Schweiz muss sich fragen, wie viele Ressourcen wir nutzen und woher wir diese Ressourcen beziehen wollen. Weltweit stammt 60 Prozent des materiellen Inputs aus fossilen Energiequellen. Wenn wir diese auf null reduzieren wollen und unser Ziel Ressourcensicherheit ist, müssen wir alternative Energiequellen finden. Wir müssen uns fragen: «Was wird wertvoll?».

«Was wird wertvoll?», können Sie diese Frage beantworten?

Die Zukunft war noch nie so voraussehbar wie heute. Wir wissen, dass Ressourcenknappheit und Klimawandel die Zukunft bestimmen werden. Und wir wissen, dass diese Zukunft schneller eintreffen wird, als sich die physische Infrastruktur anpassen kann. Was wertvoll sein wird, sind Dinge, die in dieser Zukunft funktionieren. Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen produzieren, die Menschen benötigen und bereit sind, dafür zu bezahlen, werden im Vorteil sein.

Das klingt, als sei die Lösung offensichtlich.

Ist sie meines Erachtens auch. Warum sich nicht alle Investoren darauf stürzen, ist mir schleierhaft.

Kann sich die Situation also noch zum positiven verändern?

Zu verstehen, wie die Welt funktioniert, ist meiner Meinung nach nur positiv. Dadurch erhalten wir die Chance, uns auf die Zukunft vorzubereiten. Wir wissen, worin wir investieren müssen. Der Markt versteht noch nicht, wie wertvoll die Dinge sind, die in Zukunft wichtig werden. Dadurch kann man diese Dinge aktuell zu einem günstigen Preis erwerben. Das ist eine gute Nachricht.

Was braucht es, dass der Markt schaltet?

Der Markt wird sich wahrscheinlich irgendwann aus Neid wieder ausgleichen.

Was ist der Overshoot Day?

Der Overshoot Day markiert den Tag im Jahr, an dem die Schweiz alle natürlichen Ressourcen verbraucht hat, die die Erde in diesem Jahr regenerieren kann. Ab diesem Jahr leben wir auf «ökologischem Kredit», indem wir die Ressourcen der Zukunft nutzen. Dadurch werden die natürlichen Reserven abgebaut. Dies führt zu langfristigen Schäden wie Entwaldung, Verlust der Biodiversität und Steigung von CO2 in der Atmosphäre.

Der Overshoot Day variiert jährlich und länderspezifisch, abhängig vom Ressourcenverbrauch und der ökologischen Kapazität des jeweiligen Landes. Mit dem 27. Mai befindet sich die Schweiz sich im europäischen Vergleich im Mittelfeld - nach Spanien oder Griechenland, jedoch vor Kroatien, Portugal oder der UK.

Um den Schweizer Energieverbrauch zu ermöglichen, bräuchte es fast drei Erden. Damit liegen wir deutlich über dem weltweiten Schnitt von 1,75 Welten. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die hohe Lebensqualität, der Pro-Kopf-Verbrauch und die starke Wirtschaft tragen zu einem hohen ökologischen Fussabdruck bei.

Neben dem Overshoot Day einzelner Länder findet am 25. Juli 2024 der Earth Overshoot Day statt, an dem gesamte Menschheit die globalen Ressourcen der Erde für ein Jahr aufgebraucht sind.

Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

7 - Bezahlbare und saubere Energie
12 - Verantwortungvoller Konsum und Produktion
13 - Massnahmen zum Klimaschutz

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