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Das komplexere «Donut-Modell» orientiert sich an den planetarischen Grenzen. Foto: PD

Das komplexere «Donut-Modell» orientiert sich an den planetarischen Grenzen. Foto: PD

Gesellschaft

«Ein falsches Bild von der Realität»

Das Drei-Säulen-Modell für eine nachhaltige Entwicklung hat unser Denken und Handeln über viele Jahre geprägt. Doch neuere Modelle bilden die Realität besser ab, so etwa der «Donut», der die planetaren Grenzen und die Grundbedürfnisse der Menschen hervorhebt.

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Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit ist in den 1990er Jahren aufgekommen und gilt seitdem vielen Menschen als Leitbild für ihr Handeln. Seine Aussage ist einfach: Das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung lässt sich dann erreichen, wenn ökologische, ökonomische und soziale Anliegen gleichzeitig und gleichwertig umgesetzt werden. Daran ist wenig auszusetzen – trotzdem ist das Modell inzwischen überholt, und zwar aus folgenden Gründen:

Die tatsächliche Entwicklung in den letzten vier bis fünf Jahrzehnten widerspricht dem Ziel des Modells. Während die Wirtschaftsleistung ungebrochen wächst – seit 1980 hat sich das weltweite Bruttoinlandprodukt verzehnfacht – schwinden die natürlichen Produktionsgrundlagen stetig. So ist der weltweite Bestand an Wirbeltieren gemäss dem Living Planet Index des World Wildlife Fund (WWF) seit 1960 auf rund 30 Prozent des Ursprungwerts gesunken, auf einzelnen Kontinenten sogar noch stärker. Eine andere Zahl: Allein die Fischbestände sanken weltweit zwischen 1970 und 2010 um rund 50 Prozent. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.

Während das Fazit bei der Dimension Wirtschaft positiv und bei der Dimension Umwelt negativ ausfällt, ist das Bild bei der Dimension Soziales weniger klar. Bei der Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse – genug Nahrung, sauberes Wasser – ist das Fazit positiv, hat doch die Zahl der Menschen, die in absoluter Armut leben, massiv abgenommen. Wenn es jedoch um die Teilhabe der Menschen an den politischen Entscheidungsprozessen geht, stellen wir mit dem Aufkommen von autokratischen Herrschaftsmodellen negative Tendenzen fest.

Das klassische Drei-Säulen-Modell. Foto: PD

Das klassische Drei-Säulen-Modell. Foto: PD

Weit problematischer ist jedoch, dass das Modell ein falsches Bild von der Realität vermittelt. Es geht davon aus, dass sich jede Dimension stetig entwickeln und damit wachsen kann – allein unter der Bedingung, dass die anderen zwei Dimensionen mitziehen. Für die Dimension Umwelt kann dies aber offensichtlich nicht zutreffen. Unsere Erde ist endlich, die natürlichen Ressourcen sind endlich und die Kapazität, schädliche Stoffe aufzunehmen und zu regenerieren, ist beschränkt. Unsere Umwelt und unsere Ressourcen können wir nur bewahren, schützen oder schonend nutzen, wir können sie aber nicht vermehren.

Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit gilt deshalb unter Fachleuten als überholt. Lieber sprechen sie heute von einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen und vom Modell der «Donut-Ökonomie» (s. Grafik oben), in Anlehnung an das süsse Hefegebäck. Das Modell zeigt einen dicken hellgrünen Ring. Er steht für die Wirtschaft und den Platz, innerhalb der sie sich zu unserem Wohle weiterentwickeln kann. Begrenzt wird sie von einem äusseren, dunkelgrünen Ring, den planetaren Grenzen. Werden diese über längere Zeit überschritten, ist das Funktionieren der Wirtschaft gefährdet. Gegen innen ist das Modell von einem zweiten dunkelgrünen Ring begrenzt. Er repräsentiert das soziale Fundament, auf dem Gesellschaft und Wirtschaft aufbauen. Hier ist ein Minimalniveau für alle Menschen anzustreben.

Doch was sollen uns diese Modelle im Alltag kümmern? Häuser isolieren, von Verbrennern auf Elektroautos wechseln, Kohlekraftwerke durch Solaranlagen ersetzen – all das müssen wir tun, egal, welches Modell dahintersteckt. Dasselbe gilt für die die Beseitigung von Armut, Analphabetismus oder die Steigerung der Lebenserwartung bei möglichst guter Gesundheit.

Trotzdem sind die Modelle und die Bilder, die bei ihrer Verwendung in unseren Köpfen entstehen, wichtig. Denn sie beeinflussen unser Denken und damit die Lösungen, die wir vorantreiben. Wer den neuen Modellen folgt, wird eher nach Lösungen suchen, die mit Limiten arbeiten, während Ansätze nach dem Drei-Säulen-Modell auch ein stetes materielles Wachstum zulassen. Ein einfaches Beispiel ist die Frage, wie wir in Zukunft immer mehr Menschen ernähren können. Der klassische Ansatz lautet: Wir brauchen mehr landwirtschaftliche Fläche oder einen höheren Flächenertrag. Eine Donut-kompatible Lösung sieht komplett anders aus: Wir müssen Foodwaste reduzieren und unsere fleischbasierte Ernährung durch eine weitgehend pflanzenbasierte ersetzen, da dies selbst bei steigendem Nährwert weniger Ressourcen verbraucht.

Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

2 - Kein Hunger
12 - Verantwortungvoller Konsum und Produktion
13 - Massnahmen zum Klimaschutz

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