Herr Herzog, wie stark beeinflusst die Nachhaltigkeitsberichterstattung den Arbeits- und Rechtsalltag der Unternehmen hierzulande?
Schweizer Unternehmen investieren bereits heute erheblich in Nachhaltigkeit und haben diese tief in ihre Geschäftsmodelle integriert. In den drei zentralen Bereichen – Umwelt, Soziales und Wirtschaftlichkeit – ist gelebte Nachhaltigkeit für viele Unternehmen längst ein umfassender Bestandteil guter Unternehmensführung. Allerdings stellen die heutigen Berichts- und Offenlegungspflichten im Bereich der Nachhaltigkeit bereits einen erheblichen administrativen Aufwand dar. Die zunehmende Komplexität dieser Berichtspflichten bringt besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) erhebliche Herausforderungen mit sich.
Inwiefern?
Die vom Bundesrat vorgeschlagene Verschärfung im Bereich nichtfinanzielle Berichterstattung zielt darauf ab, die Kompatibilität der Berichterstattung zu erhalten. Dies ist grundsätzlich sinnvoll. Doch der Fokus des bundesrätlichen Entwurfs liegt zu stark auf den Entwicklungen in der EU, während globale Standards und internationale Trends zu wenig berücksichtigt werden.
Sie haben für die Nachhaltigkeitsberichterstattung als eine «Dreiecksherausforderung» skizziert. Wie sieht diese aus?
Die «Dreiecksherausforderung» besteht aus drei eng miteinander verbundenen Aspekten, die bei der Gestaltung der Nachhaltigkeitsberichterstattung berücksichtigt werden müssen: Erstens muss die Schweiz eigene Regulierungsansätze entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Strukturen unserer Wirtschaft zugeschnitten sind. Anstatt EU-Vorschriften direkt zu übernehmen, sollten wir Lösungen schaffen, die unsere Unternehmen stärken und ihnen ermöglichen, im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu sein. Zweitens haben wir im Rahmen der Bilateralen III die Möglichkeit, eigenständige Regelungen zu erarbeiten, die dennoch kompatibel mit den EU-Vorschriften sind. Dies ist wichtig, um den Handel und die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern zu gewährleisten, ohne unsere wirtschaftliche Souveränität aufzugeben. Drittens geht es darum, auf den Kern der Nachhaltigkeit zu fokussieren. Das heisst: Die Nachhaltigkeitsregulierung sollte ihren eigentlichen Zweck – die Förderung nachhaltiger Geschäftspraktiken – nicht durch übermässige Bürokratie und administrative Hürden gefährden. Es ist entscheidend, dass die Regelungen praktikabel, effizient und für Unternehmen aller Grössenordnungen umsetzbar sind.
Sehen Sie in den zunehmenden Regulierungsbestrebungen eine Gefahr für die Schweizer Wirtschaft?
Ja, denn Regulierung und Innovation vertragen sich schlecht. Die zunehmenden Regulierungsbestrebungen stellen damit eine erhebliche Gefahr für die Schweizer Wirtschaft dar, wenn sie unreflektiert übernommen werden. Dies betrifft insbesondere den EU Green Deal, der eine Vielzahl komplexer Regelwerke wie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) umfasst. Diese Regelungen verfolgen gesamthaft einen industriepolitischen Ansatz und zielen darauf ab, die EU als globalen Standardsetzer für Nachhaltigkeitsregulierung zu positionieren. Eine direkte Übernahme dieser Regeln würde nicht zu unserem Wirtschafts- system passen und unsere Unternehmen, darunter insbesondere die KMU, mit übermässigem bürokratischem Aufwand belasten.
Wie sehr tangieren die Nachhaltigkeitsbestrebungen denn die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen?
Nachhaltigkeit ist, wie erwähnt, ein integraler Bestandteil guter Unternehmensführung. Umso wichtiger ist es, bei der Regulierung Augenmass zu üben. Denn diese hat einen direkten und signifikanten Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen. Während grosse Unternehmen mindestens über die Ressourcen verfügen, um umfangreiche Regulierungsanforderungen zu erfüllen, stehen KMU vor erheblichen Herausforderungen. Sie verfügen nicht über die personellen oder finanziellen Ressourcen, um komplexe Berichtspflichten und Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Eine übermässige Bürokratisierung birgt das Risiko, dass sie ihre Kernaufgaben vernachlässigen müssen und ihre Wettbewerbsfähigkeit leidet.
Driften die politischen Ambitionen und die wirtschaftlichen und rechtlichen Möglichkeiten Ihrer Meinung nach zu stark auseinander?
Ja, es gibt oft eine deutliche Diskrepanz zwischen den politischen Ambitionen und den tatsächlichen wirtschaftlichen sowie rechtlichen Möglichkeiten der Unternehmen. Politische Entscheidungsträger setzen häufig ambitionierte Ziele und straffe Zeitpläne, die in der Praxis für Unternehmen schwer umsetzbar sind. Insbesondere die Geschwindigkeit, mit der konstant neue Regulierungen eingeführt werden, stellt für Unternehmen eine enorme Belastung dar.