Der Klimawandel sorgt für neue Risiken – und damit für zusätzlichen Versicherungsbedarf. Zudem lassen sich Ausgaben für Schäden auf die Prämien überwälzen. Warum sind Versicherungsgesellschaften überhaupt an Nachhaltigkeit interessiert?
Jean-Philippe Moser: Tatsächlich gehört es zu den Aufgaben der Assekuranz, Risiken, die dem Klimawandel folgen, zu versichern. Aber niemand hat ein Interesse daran, dass es zu Schäden kommt: Wer eine Autoversicherung abgeschlossen hat, will auch keinen Unfall haben, und die Versicherer freuen sich über Kundinnen und Kunden, die unfallfrei unterwegs sind. Ziel der Versicherungswirtschaft ist es, dazu beizutragen, dass die Menschen ihre Risikoeinschätzung reflektieren und sich finanziell abgesichert fühlen. Dabei ist die Branche grundsätzlich sehr langfristig ausgelegt. Wir versichern künftige und auch langfristige Risiken, etwa in der Altersvorsorge. Zudem sind wir eine der ersten Industrien, die den Klimawandel zu spüren bekommt. Er wirkt sich sehr direkt auf unser Geschäft aus, etwa bei Naturgefahren und Elementarschäden. Daher ist es selbstverständlich, dass sich die Branche intensiv mit Nachhaltigkeit beschäftigt und sich auch in der Prävention stark engagiert.
Was kann die Versicherungsbranche zur Nachhaltigkeit beitragen?
Jeder kann und muss einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten. Aus Interesse für die Gesellschaft von morgen – und auch im eigenen Interesse. Für die Versicherer stellt sich, wie für alle Unternehmen, die Frage: Was können wir innerhalb unseres Betriebs tun? Hier passiert in der Branche bereits sehr viel, vom Abfallkonzept über die energetische Sanierung von Bürogebäuden bis hin zur Reduzierung von Geschäftsreisen. Aber auch ausserhalb des Unternehmens gilt es, Nachhaltigkeit zu fördern. Auch hier geschieht viel: So werden Lehrstühle im Klimabereich finanziert, es wird viel Präventionsarbeit initiiert und finanziert und so weiter. Zudem motivieren wir unsere Mitarbeitenden dazu, in allen Lebensbereichen verantwortungsvoll zu handeln.
Einen bedeutenden Einfluss können Versicherer mit dem Geld ausüben, das sie in Form von Prämien oder Beiträgen erhalten und anlegen. Es geht um Kapitalanlagen in der Grössenordnung von rund 540 Milliarden Franken.
Die Versicherungsbranche trägt eine grosse Verantwortung dafür, dass dieses Kapital richtig eingesetzt wird. Hier zeigt sich auch, dass Nachhaltigkeit eben nicht allein auf den ökologischen Aspekt reduziert werden kann. Wer langfristig Renditen am Markt erzielen will, muss ökologische und ökonomische Ziele ausgewogen berücksichtigen. Wer Kundenerwartungen zu erfüllen hat, muss auch in Jahren und Jahrzehnten noch Renditen ermöglichen, um zum Beispiel Renten zu finanzieren. Wer nachhaltig agieren will, muss auch wirtschaftlich denken. Ein Beispiel: Die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft kostet Geld. Dieses Geld müssen Unternehmen verdienen können, um Investitionen tätigen zu können. Beim Klimaschutz sind ökonomisch erfolgreiche Marktwirtschaften oft innovativer. Ökologische Nachhaltigkeit auf Kosten der ökonomischen Nachhaltigkeit ist riskant. Denn die ökologische Nachhaltigkeit baut auch auf Innovation, welche marktwirtschaftlich getrieben sein muss.
In seinem Nachhaltigkeitsbericht schreibt der SVV, ein steuermildes Umfeld sei unabdingbar, damit die Wirtschaft die notwendigen Mittel für die Dekarbonisierung erwirtschaften könne. Das Umfeld in der Schweiz ist bereits recht steuermild. Was fordern Sie konkret?
Dass der Staat mit den Geldern, die ihm zur Verfügung stehen, nachhaltig umgeht. Gerät ein Haushalt aus dem Gleichgewicht, können entweder die Kosten gesenkt oder die Einnahmen erhöht werden. Die Forschung zeigt, dass es nachhaltiger ist, die Kosten zu senken, als neue Steuern zu schaffen. Es geht um den sorgsamen Umgang mit unseren Ressourcen, den ökologischen wie den finanziellen. Ein wichtiges Prinzip der Nachhaltigkeit lautet, unsere Bedürfnisse heute so zu befriedigen, dass wir die Möglichkeiten künftiger Generationen nicht einschränken. Doch genau das tun wir im Moment: Wir bürden den künftigen Generationen grosse Lasten auf. Auch bei den Pensionskassen findet eine Umverteilung zwischen den Generationen statt: Werden die jährlichen Umverteilungssummen von 2014 bis 2022 addiert, wurden gemäss den Schätzungen der Oberaufsichtskommission der beruflichen Vorsorge OAK BV innerhalb von neun Jahren 45,1 Milliarden Franken von den aktiven Versicherten zu den Rentenbeziehenden umverteilt. Das schränkt den Handlungsspielraum der Jungen und der künftigen Generationen ein. Nachhaltig ist das jedenfalls nicht.