«Schwammstadt» oder englisch «Sponge City»: Einen Ort dieses Namens findet man auf keiner Karte. Und doch geht es um etwas ganz Reales. Der Begriff steht für ein innovatives, bereits vielfach erprobtes Konzept nachhaltiger Stadtgestaltung. Es zielt darauf ab, in stark besiedelten Gebieten die Auswirkungen des Klimawandels durch ein Regenwassermanagement abzumildern, das sich am natürlichen Wasserkreislauf orientiert.
Früher wurde Regenwasser in der Regel so rasch wie möglich mit der Kanali- sation abgeleitet, dabei ist Regenwasser gerade in Hitze- oder Trockenheitsperioden eine immer wertvollere Ressource. Das Schwammstadt-Prinzip ist einfach, aber wirkungsvoll: Asphaltierte oder zubetonierte Flächen werden aufgebrochen und (Wurzel-)Raum für Bäume und Sträucher geschaffen. Auf diese Weise kann Regenwasser besser versickern, es fliesst nicht mehr oberflächig ab und hinterlässt bei Starkregen weniger Überschwemmungsschäden.
Auch gezielte bauliche Massnahmen wie das Anlegen von temporären Rückhaltebecken oder Versickerungsmulden sorgen dafür, dass der entsiegelte Boden grössere Niederschlagsmengen aufnehmen und speichern kann – ganz so wie ein Schwamm. Gleichzeitig sorgt das gespeicherte Regenwasser für einen Kühlungseffekt, wenn es in Hitzeperioden von den Pflanzen verdunstet wird. «So entsteht eine Art natürliche Klimaanlage», erklärt Simon Schudel, Fachspezialist für Geoanalyse & Naturrisiken bei der Mobiliar. Begrünte und durchlässige Flächen heizen sich weniger auf und wirken ausgleichend auf das urbane Mikroklima.
Unterschätztes Risiko
Die gesundheitlichen Auswirkungen von immer häufigeren Hitzetagen und die Schäden durch Starkregen sind ein Problem, mit dem sich Städte und Gemeinden in Zukunft noch intensiver beschäftigen werden. Hitze ist eine der grossen Herausforderungen der Zeit. Im besonders heissen Jahr 2023 fielen ihr etwa doppelt so viele Menschen zum Opfer wie dem Strassenverkehr im gleichen Zeitraum. Zudem fliesst Regenwasser, das bei starken Niederschlägen nicht versickert, oft geradezu sturzbachartig über offenes Gelände ab. Nach Angaben von Fachleuten stellt dies ein bisher unterschätztes Risiko dar. Gemäss einer Analyse der Mobiliar sind rund zwei Drittel der Überschwemmungsschäden auf Oberflächenabfluss zurückzuführen und nur zirka ein Drittel auf Hochwasser von Bächen, Flüssen oder Seen.
Den neuesten Erkenntnissen des Mobiliar Lab für Naturrisiken an der Universität Bern zufolge sind hierzulande rund 1,3 Millionen Gebäude mit einem Neuwert von 2300 Milliarden Franken gefährdet. Das entspricht 62 Prozent aller Gebäude. Heute gibt es wenige Objektschutzmassnahmen, um Schäden durch Oberflächenabfluss zu reduzieren. Angesichts dieser Situation hat sich die Mobiliar entschieden, Schwammstadt-Projekte in der ganzen Schweiz finanziell zu unterstützen. Sie setzt zudem auf Sensibilisierung, engagiert sich mit Partnerschaften für die Wissensvermittlung und fördert Initiativen von Städten, die für private Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer Anreize schaffen.
«Die Mobiliar stellt sich diesen Herausforderungen», betont Belinda Walther Weger, Leiterin Public Affairs & Nachhaltigkeit. «Unser Umgang mit Naturgefahren beschränkt sich nicht auf das Bezahlen von Schäden – wir engagieren uns auch in der Prävention und Resilienz.» Denn Schwammstadt-Projekte gingen über die reine Gefahrenabwehr hinaus: «Sie tragen dazu bei, dass die Lebensqualität in dicht besiedelten Gebieten hoch bleibt.»
Das erste Schwammstadt-Projekt, für das die Mobiliar 2023 Gelder gesprochen hat, ist die umfassende Entsiegelung und Begrünung der Optingenstrasse im Berner Breitenrain-Quartier. Seither beteiligt sich die Mobiliar Genossenschaft an weiteren Schwammstadt-Projekten, so etwa in St. Gallen, Schaffhausen, Winterthur, Lausanne, Moutier, Fribourg und Lugano (wir berichteten). «Mit unserem Engagement wollen wir einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen und resilienteren Zukunft der Schweiz leisten – gerade auch im Kontext der Klimaveränderung», unterstreicht Belinda Walther Weger. Weitere Schwammstadt-Projekte sind in Planung, nächste Zusammenarbeiten bereits vereinbart.
Im Fokus stehen keineswegs nur aufwendige, kostenträchtige Projekte – auch die Umgestaltung von kleineren Flächen kann zur Problemlösung beitragen. «Das Schwammstadt-Prinzip funktioniert in verschiedenen Grössenordnungen», betont Experte Simon Schudel. «Man kann ganze Parks, Plätze oder Strassen entsprechend gestalten, erzielt aber auch auf kleinen Flächen im Privaten eine Wirkung. Ich denke dabei an die Entsiegelung des eigenen Parkplatzes am Haus, die Nutzung von Regenwasser im Garten oder die Begrünung der Fassade oder des Velounterstands.»
Selbstverantwortungstärken
Wie eine Schwammstadt im kleinen Massstab gelingen kann, zeigt die Kooperation der Mobiliar mit der Stadt Winterthur und dem partizipativen Projekt «Asphaltknackerinnen» von Plan Biodivers. Grundeigentümerinnen und -eigentümer – Privatpersonen, KMU und Genossenschaften – werden in Zusammenarbeit mit der Stadt unterstützt, wenn sie selbst aktiv werden und versiegelte Hinterhöfe, Parkplätze und Wege entsiegeln und renaturieren möchten. Sie werden kostenlos durch die «Asphaltknackerinnen» beraten, inklusive Vermittlung von passenden Fachpersonen. Die Mobiliar deckt die Kosten für eine fachgerechte Entsorgung des Asphaltbelags bis zu einer Fläche von 100 Quadratmetern. Auf diese erste Kooperation in Winterthur sollen weitere folgen.
Die von der Mobiliar unterstützten Aktivitäten zeigen: Das SchwammstadtPrinzip nimmt schweizweit Fahrt auf. Und es sind viele – Private, Gemeinden und Firmen –, die an dieser Erfolgsstory mitschreiben. Für Simon Schudel steht zusätzlich fest: «Mit einzelnen Massnahmen ist es noch nicht getan. Es braucht ein grundsätzliches Umdenken.» Schwammstadt-Elemente sollten deshalb bei der Planung jeder neuen Strasse und bei jeder anstehenden Sanierung berücksichtigt werden. «So werden urbane Räume in 20 Jahren anders aussehen.»