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Und wenn das Wasser knapp wird: Wer darf zuerst ran?

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Lebensräume

Und wenn das Wasser knapp wird: Wer darf zuerst ran?

Das Wasserschloss Europas – so wird die Schweiz oft genannt. Dass der Klimawandel jedoch die Verfügbarkeit der lebenswichtigen Ressource stark verändert, hat Folgen. Darüber diskutierten Forscher, Bauern und Expertinnen Ende November an einer Veranstaltung von NZZ Live.

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Die Debatte wurde angeführt von Kalina Oroschakoff, der NZZ Klimajournalistin. Gemeinsam mit ETH Klimaforscher Erich Fischer, dem Präsidenten des Schweizer Bauernverbands Markus Ritter, Peter Lustenberger sowie Petra Schmocker-Fackel vom Bundesamt für Umwelt sprach sie über Wasserknappheit und mögliche Lösungen.

Kalina Oroschakoff: Wie stark waren die Bauern dieses Jahr von der Wasserknappheit betroffen?

Markus Ritter: Die Landwirtschaft war sehr stark betroffen, vor allem in der Westschweiz und der Alpenregion. Gerade bei den Spezialkulturen wie Gemüse und Früchte hat das enorme Schäden hinterlassen. Natürlich wächst dann nicht viel – gerade auf den Naturwiesen. Diese Trockenheit führte zu deutlichen Ernteausfällen.

Kalina Oroschakoff: Wie sind Sie beim Bundesamt damit umgegangen?

Petra Schmocker-Fackel: Wasserknappheit ist ein Super-GAU, denn bei Trockenheit werden wir mit Anfragen überrannt. Bei all den Überstunden wünschten wir uns alle, dass es bald regnen würde.

Kalina Oroschakoff: Wie war es für Sie?

Peter Lustenberger: Wir betreiben Wasserkraftwerke in der ganzen Schweiz – da war die Situation natürlich sehr schwierig. Fischereien beispielsweise ging das Wasser aus, dann mussten wir schnell aushelfen. Das kommt immer wieder vor, doch nie schon Anfang März. Das war extrem aussergewöhnlich.

Kalina Oroschakoff: Und wie erlebten Sie es?

Erich Fischer: Mein Grossvater war Bergbauer im Wallis und hat jährlich Gletscherwanderungen unternommen. Diese Tradition hat sich so fortgeführt. Doch dieses Jahr war alles anders – man musste das Wasser selbst mitführen. Anstatt bei Bächen und Flüssen auffüllen zu können, gab es kaum fliessende Wasserquellen.

Kalina Oroschakoff: Ist diese Form von Trockenheit eine gänzlich neue Erfahrung?

Erich Fischer: 1947 war auch ein äusserst trockenes Jahr, wir kennen das also aus der Vergangenheit. Doch die Kumulation 2015, 2018 und 2022 weist auf eine aussergewöhnliche Steigerung hin.

Kalina Oroschakoff: Die Schweiz als Wasserschloss Europas: Stimmt das noch immer?

Petra Schmocker-Fackel: Wir verzeichnen hier mit Abstand die höchsten Niederschläge, weitaus mehr als unsere Nachbarländer. Was sich jedoch verschiebt ist die Wasserverfügbarkeit übers Jahr. Niederschläge werden normalerweise in Schnee und Eis gespeichert und schmelzen dann ab, sodass im Sommer genug Wasser übrigbleibt. Das verändert sich aber aktuell.

Kalina Oroschakoff: Ist die Schweiz auf diese Veränderung vorbereitet?

Petra Schmocker-Fackel: Als wir vor Jahren einen Notfallplan vorbereiteten, wurden wir belächelt. Seit 2018 werden wir damit ernst genommen.

Markus Ritter: Warme und trockene Jahre kennen wir. Seit 2018 verstehen wir aber, dass es ein Umdenken geben muss, wenn es um die Massnahmen geht.

Kalina Oroschakoff: Was steht Frühwarnsystemen im Weg?

Petra Schmocker-Fackel: Ein Forschungsfrühwarnsystem ist in Entwicklung, welches wir dann 2025 übernehmen. Danach müssen wir es aber noch anpassen. In diesem Zuge wollen wir die Waldentwicklungen integrieren und versuchen, die Zeitvoraussagen zu strecken. Anfangs wird diese wohl auf zwei Wochen aus sein. Anhand der Speicherfüllung von Schnee und Wasser können wir das hoffentlich weiter voraussagen. Natürlich hätten die Bauern gerne, dass wir im März das Wetter des Sommers voraussagen können, aber das ist in Mitteleuropa einfach nicht möglich.

Markus Ritter: Die Vorboten eines trockenen Sommers sind wasserarme Winter. Wenn wir Ende Februar schon die Kühe auf grüne Wiesen lassen können, sind das Warnzeichen. Auch wenn es im November noch so warm ist, dass Bienen herumfliegen, ist das ein Zeichen dafür, dass die Vegetationszeit sich verlängert.

Kalina Oroschakoff: Welche Massnahmen müssen jetzt ergriffen werden? Und hätte man sich früher darauf vorbereiten müssen?

Peter Lustenberger: Einerseits braucht es weitere Speicher, in den Bau dieser müssen wir nun investieren. Schwierig wird es mit Laufwasserkraftwerken, die trocknen im Sommer aus – aber das ist nicht so tragisch, weil das mit PV-Anlagen ersetzt werden könnte. Selbstverständlich hätten wir 2016 anfangen sollen, uns vorzubereiten. Damals waren die Strompreise bei drei Rappen, jetzt sind sie bei einem Franken. Der Mangel fordert uns nun alle heraus.

Markus Ritter: Wir müssen aktiv werden, beispielsweise wenn es um die Versorgung in den Alpen geht oder bei den Gemüsebauern im Mittelland. Da braucht es Wasserspeicher, um das Süsswasser auffangen. Gleichzeitig müssen wir sorgsamerer mit Seen umgehen – den natürlichsten Wasserspeicher. Und auf was wir auch mehr setzen müssen: Tropfsysteme anstatt Springbrunnen. Bei den Kulturen ist wichtig, Arten anzubauen, die Wasser aus tieferen Ebenen holen können wir Kartoffeln oder Mais.

Kalina Oroschakoff: Es geht also auch mit weniger Wasser?

Markus Ritter: Ja, es geht, aber wir müssen anfangen umzurüsten. Dafür braucht es eine solide Infrastruktur. Vor 20 Jahren gab es viele Wasserleitungen, die 30 Prozent des Wassers unterwegs verloren. Neue Systeme müssen her und die kosten eben. Nicht nur ein Umdenken ist notwendig, sondern Investitionen.

Kalina Oroschakoff: Wie kann man dem Mangel aus Ihrer Sicht entgegenwirken?

Petra Schmocker-Fackel: Wenn einzelne Kantone das nicht allein lösen können, brauchen sie Hilfe. Da müssen sich die Kantone gegenseitig unterstützen, denn einige sind stärker von der Wasserknappheit betroffen als andere. Das beginnt mit regionalem Wassermanagement, um früh genug Alarm schlagen zu können.

Erich Fischer: Wir kriegen oft den Auftrag, die Klimaschäden in der Schweiz zu zeigen. Die schwerwiegendsten Folgen fallen jedoch indirekt an – denn andere Länder trifft es härter, von denen sind wir stark abhängig. Isoliert scheinen Probleme lösbar zu sein, jedoch müssen wir das international anschauen. Wenn in Somalia acht Millionen Menschen von einer Hungersnot bedroht sind, darf uns das nicht egal sein. Die Verhandlungen müssen übergreifender geführt werden.

Kalina Oroschakoff: Sind diese internationalen Verhandlungen denn brenzlig?

Petra Schmocker-Fackel: Nein, die verlaufen sehr konstant. Doch über was zu wenig gesprochen wird sind die Lebewesen in den Gewässern. Wenn sich die Temperaturen nochmal um sechs Grad erwärmen, bedeutet das das Aus für die meisten Fischarten hierzulande. Wir haben nicht nur eine Klima- sondern auch eine Biodiversitätskrise. Auf die Natur müssen wir mehr Acht geben, das könnte aber bei diesen Verhandlungen zu Zielkonflikten führen.

Kalina Oroschakoff: Der Zielkonflikt «Natur gegen Energieversorgung». Wie empfinden Sie diesen?

Peter Lustenberger: Die Frage ist: Produziert man mit dem Wasser Strom oder lässt man es den Fischen? Wenn wir es der Natur überlassen, haben wir bis zu 20 Prozent weniger Energie zur Verfügung. Deswegen sind wir jetzt im Austausch mit Umweltverbänden. Das Ziel des Bundes ist dabei extrem sportlich: Wasserkraft um 2 Prozent zu erhöhen – das scheint fast unrealistisch. Denn selbst um das heutige Niveau zu halten, müssen wir stark ausbauen, um der Natur nicht alles wegzunehmen. Wasserkraft allein wird uns also nicht in die neue Energiewende führen, das Potenzial hierfür ist in der Schweiz fast ausgeschöpft.

Petra Schmocker-Fackel: 95 Prozent der Wasserkraft ist genutzt. Wenn zu wenig Wasser übrig bleibz, können Fische beispielsweise nicht mehr wandern. Gerade bedrohte Fischarten leiden dann.

Kalina Oroschakoff: Und wenn Wasser knapp wird, braucht es dann eine Prioritätenliste? Wer darf zuerst ans Wasser?

Markus Ritter: Zuerst kommt der Mensch, dann die Tiere, als drittes folgt die Nahrung und dann die Energieversorgung. Es muss aber schon vorher an einer gemeinsamen Lösung geforscht werden – dafür braucht es ein Miteinander.

Petra Schmocker-Fackel: Genau, Umweltämter müssen mit Energieverbänden und Landwirtschaft zusammensitzen, um gemeinsam Lösungen zu finden.

Peter Lustenberger: Wir sind als Schweiz ein Wasserschloss, dies gilt es zu pflegen.

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