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Baum in Zürich

Bild: Goran Basic / NZZ

Lebensräume

Sieben Gründe, weshalb es in Zürich immer weniger Bäume gibt

Trotz dem Ja zur «Stadtgrün»-Vorlage: Grüner wird es in der Stadt Zürich vorerst nicht.

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Sieben Gründe, weshalb es in Zürich immer weniger Bäume gibt

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Der Abstimmungssonntag brachte das erwartete Verdikt: ein wuchtiges Nein zur Stadtgrün-Initiative, ein klares Ja zu den städtischen, von einer Mitte-links-Allianz getragenen Gegenvorschlägen. Und eine Stimmbeteiligung unter 30 Prozent als klarer Fingerzeig, dass diese Vorlage vielen Stimmberechtigten zu kompliziert war.

Doch was bleibt von diesem Urnengang? Werden nun wirklich mehr Bäume gepflanzt? Die Stimmberechtigten wünschen es sich. Nur haben sie diesen Wunsch schon verschiedentlich kundgetan. Dennoch stehen nicht mehr, sondern zusehends weniger Bäume auf dem Stadtboden.

Die Frage ist, ob die 130 Millionen Franken, die die Stadt nun bis 2035 ausgeben kann, daran etwas ändern werden. Auf 15 000 bis 20 000 Franken schätzen Fachleute die Kosten pro neu gesetzten Baum. Ergäbe 6500 Bäume, rund ein Zehntel des heutigen Bestandes auf öffentlichem Grund. Wobei diese Rechnung wohl etwas gar einfach ist.

SP-Stadträtin Simone Brander verspricht eine schnelle Umsetzung. Die Initianten zweifelten am Abstimmungssonntag daran. «Es ist zu befürchten, dass es ähnlich laufen wird wie in der Velopolitik: dass viel versprochen, aber wenig gehalten wird», sagt der Mitinitiant Beni Schwarzenbach.

Nach Einschätzung von Fachleuten steht die Baumbegrünung in der Stadt Zürich vor diesen sieben Herausforderungen.

1. Hitze, Sturm und Nassschnee

Zürich wird derzeit nicht grüner, im Gegenteil. Die von Baumkronen bedeckte Fläche schrumpft jedes Jahr um 1,25 Prozent. Dies hat eine Analyse der Stadt mittels Flugzeug und Laservermessung ergeben, bei der die Bestände in den Jahren 2014 und 2018 verglichen wurden. Die Stadt hat sich das Ziel gesetzt, dass bis 2050 ein Viertel des Siedlungsgebiets von Baumkronen bedeckt ist. Bei der letzten Messung 2018 waren es 17 Prozent, Tendenz sinkend.

Aus Sicht der Fachleute lautet die erste Losung deshalb, den Bestand zu halten. Zumal der Klimawandel den Bäumen bereits heute zusetzt. Mark Krieger, Professor für Pflanzenverwendung in der Landschaftsarchitektur an der Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil, spricht von grossen Schäden am Baumbestand wegen Hitze, Sturmereignissen oder Nassschnee. 60 bis 80 Prozent der Bäume seien beeinträchtigt, ein Teil davon werde in den nächsten Jahren absterben. Dies werde leider zu wenig wahrgenommen.

Stefan Stevanovic von der Forschungsgruppe Pflanzenverwendung der ZHAW in Wädenswil sagt, vor allem in den ersten zwei Lebensjahrzehnten seien Bäume anfällig. Danach hätten sie meist das Grundwasser erreicht und seien in der Lage, auch Hitzewellen zu überstehen. «Die Zunahme von Hitzewellen ist gegenwärtig ein Problem, aber zugleich muss man nun möglichst viele Bäume pflanzen, damit diese genügend alt sind, wenn die Umstände in zwanzig oder dreissig Jahren nochmals schwieriger sind.» Von Letzterem sei gemäss den Studien des Bundes auszugehen.

2. Baumschwund bei den Privaten

Vor allem auf dem Land von Privaten verschwinden Bäume, in erster Linie durch den Bau von neuen Gebäuden. Diese sind oft grösser, stehen dichter beieinander, und es gibt mehr Tiefgaragen. Bei der Stadt gibt es Pläne, Schutzgebiete für Bäume auszuweiten. Doch dies ist umstritten.

Im Abstimmungskampf war die zentrale Frage, wie die Privaten ins Boot geholt werden sollten. Die Initianten schlugen eine externe Stiftung vor zwecks unabhängiger Beratung. Denn Landbesitzer verzichteten heute wegen der Bürokratie oft auf Begrünungen von Bauprojekten. Dies wies Stadträtin Brander am Sonntag zurück: Konkrete Beispiele für diese Aussage gebe es nicht. Die neu eingerichtete Fachstelle werde Private schon ab kommendem Jahr beraten.

Gemäss den befragten Fachleuten gibt es im Ausland weitere interessante Ansätze. Ein Problem sind die Verantwortlichkeiten: Eigentümer haften für Schäden, die ein fallender Baum verursacht. Von dieser Verantwortlichkeit müsse man die Eigentümer entlasten, sagt Andréa Finger, Doktorin für Forstwirtschaft und Umwelt und in beratender Funktion in Genf tätig. In Städten wie Manchester oder Boston gebe es für Eigentümer sogar finanzielle Anreize, damit diese Bäume erhalten oder pflanzen.

Mark Krieger sieht die Grenzabstände als limitierenden Faktor: Sie führten dazu, dass an den Grundstücksgrenzen, wo es Platz hätte, keine Bäume stehen. In Basel beispielsweise habe man diese Abstände kurzerhand abgeschafft. Aber das sei in Stadtkantonen leichter zu bewerkstelligen. In Zürich schreibt das kantonale Recht vor, dass jeder grössere Baum mindestens acht Meter vom Zaun des Nachbarn entfernt sein müsse.

Krieger sagt, leider würden geplante Baumpflanzungen von Anwohnerinnen und Anwohnern oft mit Beschwerden verhindert. Da könne man nur auf wachsende Einsicht hoffen.

3. Dichtestress im Untergrund

150 Kubikmeter umfasst das Wurzelwerk eines Baumes in einem Stadtpark. Ein durchschnittlicher Stadtbaum muss mit einem Zehntel davon auskommen. Mark Krieger sagt: «Bei Tieren würde man von Käfighaltung sprechen.»

Doch auch so ist der Platz im Untergrund begrenzt. Wasser-, Gas- und Stromleitungen sowie Glasfaserkabel verlaufen in den Strassen. Alles solle aus ästhetischen Gründen in den Untergrund, sagt Andréa Finger, am besten auch die Parkplätze. Sie spricht von der ökologischen Infrastruktur einer Stadt, der Wasserversorgung oder dem Transport nicht unähnlich. Für die ökologische Infrastruktur brauche es genaue Karten. Nur so könne man mögliche Standorte für Baumpflanzungen erkennen. Die Fachleute, die die Stadt Zürich neu einstellen wird, sollen sich unter anderem der Suche nach neuen Baumstandorten widmen.

4. Wassermangel

Trockenheit wird für die Bäume in der Stadt im Sommer immer häufiger zum Problem. Der Einsatz grossflächiger Bewässerungssysteme kommt aus Kosten- sowie aus praktischen Gründen kaum infrage.

Die Antwort der Fachleute ist die sogenannte Schwammstadt. Man gestaltet den Untergrund rund um Bäume so um, dass sie das Regenwasser lokal besser speichern können. Es gehe vor allem darum, Volumen im Boden zu schaffen, ein «unterirdisches Speichersystem», sagt Stefan Stevanovic von der ZHAW. Zum Konzept gehört, dass Oberflächen entsiegelt werden und dass in Grünflächen Mulden angelegt werden.

5. Viele Ansprüche

Gemäss der Stadt bieten Strassensanierungen auch in Zukunft das grösste Potenzial für Baumpflanzungen in Zürich. Doch dabei gilt es, Lösungen zu finden, die allen Interessen gerecht werden. Die Liste ist lang: Strassenraum, Velostreifen, Trottoir, Leitungen, gestalterische Ansprüche. Stefan Stevanovic ist trotzdem optimistisch: Lokal liessen sich die Probleme fast immer bewältigen, wenn man sich darum bemühe. «Manchmal muss man an einem Ort ein Bedürfnis über die anderen stellen und dies dafür an einem anderen Ort wieder kompensieren.»

Fläche entsiegeln heisse keineswegs zwingend, dass Strassenraum oder Parkplätze verlorengehen müssten. Mit Rasengittersteinen beispielsweise seien gute multifunktionale Lösungen möglich. Es gebe auch Optionen wie das sogenannte überbaubare Substrat. Eine Mineralmischung, die dem Raum unterirdisch Platz gibt und welche man unter einen Belag einbauen kann.

Mark Krieger findet Vegetationsstreifen einen interessanten Ansatz: Streifen am Strassenrand, auf denen der Baumstandort variabel gewählt werden kann. Dann könne es gelingen, einer Leitung im Boden auszuweichen und trotzdem einen Baum zu pflanzen.

6. Löcher im Netz

Der Baumbestand steht aus Sicht der Fachleute über allem. Weitere Grünflächen seien vor allem für eines wichtig, sagt Andréa Finger: für die Vernetzung zwischen verschiedenen grünen Lebensräumen. Davon profitierten Fauna und Flora. Dieser Netzwerkgedanke sei zentral im internationalen Konzept der «urban forestry».

Zusätzliche Grünflächen zu schaffen, ist aber in Zürich nicht einfach. Und ob sich beispielsweise Fassadenbegrünungen wie am Stadtspital Triemli wirklich lohnen, muss sich weisen. Dort wurden die Balkone auf allen 16 Stockwerken mit total 4600 Pflanzen begrünt. Die Pflege ist aufwendig. 2 Millionen Franken betragen die Projektkosten.

7. Der nie genügende Stadtbaum

Heute werden an den Stadtbaum Ansprüche gestellt, die er kaum erfüllen kann. Er soll einheimisch sein, nicht zu gross, nicht zu breit, unkompliziert in der Pflege. Er soll Salz und Hundeurin aushalten, nicht stinken, keine Allergien auslösen und im Herbst bunt leuchtend das Auge erfreuen.

Den perfekten Stadtbaum gibt es nicht. Gemäss den Fachleuten wäre es auch falsch, auf eine einzelne Baumart setzen zu wollen. Sie empfehlen zu diversifizieren – zwischen einheimischen und ausländischen Bäumen. So treffe es nicht den gesamten Bestand, wenn ein Problem mit einer Art auftrete. Hinzu kommt, dass solche gemischten Bestände viel artenreicher sind. Grün Stadt Zürich setzt im Zweifelsfall auf einheimische Bäume. Exoten werden vor allem entlang von Strassen gesetzt, wo die Bedingungen besonders hart sind.

Immerhin diese letzte Herausforderung erscheint also bewältigbar. Die übrigen Hürden hingegen dürften auch nach dem Urnenentscheid vom Sonntag nicht kleiner geworden sein.

Michael von Ledebur, «Neue Zürcher Zeitung» (04.09.2023)

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