Mehr Hitzetage, trockene Sommer, heftige Niederschläge, schneearme Winter: Städte und Gemeinden müssen umdenken, wenn sie Gesundheit und Lebensqualität der Bevölkerung bewahren sowie Schäden an Infrastruktur vermeiden wollen. Das Konzept der Schwammstadt weist den Weg.
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Dem Klima angepasst bauen: Schwamm drunter
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Dem Klima angepasst bauen: Schwamm drunter
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• • Martina Schäfer, Sustainable Switzerland Editorial Team
Ein Herbsttag in Bern. Regentropfen trommeln auf den Schirm, Rinnsale fliessen die Quartierstrasse herab. In der Kurve, wo das Gelände flach wird, verschwindet das Wasser im Gully. Dort steht Simon Schudel, Fachspezialist für Geoanalyse und Naturrisiken bei der Mobiliar Versicherung. «Wasser ist ein Verkehrsteilnehmer, das vergisst man oft», sagt er. In der Hand hält er die «Gefährdungskarte Oberflächenabfluss» des Bundesamts für Umwelt. Die Berechnungen basieren auf Niederschlägen, wie sie an einem bestimmten Ort einmal in hundert Jahren auftreten – und praktisch jeden Sommer irgendwo in der Schweiz. Der studierte Geograf zeigt auf eine dunkelviolette Stelle. «Wir befinden uns an diesem Hotspot. Wenn ein Ast bei Starkregen den Gully blockiert oder die Kanalisation überlastet ist, stehen wir hier 25 Zentimeter tief im Wasser.»
1,3 Millionen Gebäude gefährdet
Auch aus seiner Zusammenarbeit mit dem Mobiliar Lab für Naturrisiken der Universität Bern weiss Simon Schudel, wo Überschwemmungen entstehen und was sie anrichten. Und wie sie verhindert werden können. Er zeigt auf ein Kellerfenster mit einem Mäuerchen davor. «Bis zu einer Höhe von etwa 15 Zentimeter Wasser ist dieser Keller geschützt.» Zwei Rampen, die zu tiefer gelegenen Betrieben führen, bereiten ihm Sorgen. «Vor der Rampe braucht es eine 20 bis 30 Zentimeter hohe Gegensteigung, damit das Wasser über die Strasse abgeleitet wird. Sonst füllt sich der Betrieb innert kürzester Zeit mit Wasser.»
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Bauliche Massnahmen schützen vor Oberflächenabfluss, also vor Regenwasser, das nicht im Boden versickert, sondern an der Oberfläche abfliesst. Weil die Sommer heisser werden und Starkregen intensiver, richtet Oberflächenabfluss in Siedlungsgebieten mehr und mehr Schaden an. Zwei Drittel aller Überschwemmungsschäden der letzten zehn Jahre sind gemäss Auswertungen der Mobiliar darauf zurückzuführen. Ende Juni publizierte das Lab dazu eine Schadenspotenzialanalyse, die zeigt: 62 Prozent aller Gebäude in der Schweiz – rund 1,3 Millionen Bauten mit einem Neuwert von insgesamt 2300 Milliarden Franken – sind durch Oberflächenabfluss gefährdet.
«Böden und Pflanzen absorbieren das Wasser wie ein Schwamm und geben es langsam wieder ab.»
Boden im Fussgängerbereich entsiegelt
Solche Schäden verhindern kann auch das Konzept der Schwammstadt. Die Idee: Böden absorbieren Wasser wie ein Schwamm und geben es langsam über die Verdunstung der Pflanzen wieder ab. Ein von der Quartierkommission initiiertes Modell dafür befindet sich an der Berner Breitenrainstrasse: ein dreieckiges Stück Natur mitten im asphaltierten Fussgängerbereich. «Weil der Boden entsiegelt wurde, versickert das Regenwasser zwischen Steinen und Pflanzen, statt ungenutzt Richtung Kanalisation abzufliessen», erklärt Simon Schudel.
Bei unserem Rundgang treffen wir auf weitere Elemente mit Schwammstadt- Charakter, etwa das begrünte Dach eines Velounterstands und eine unversiegelte Parkfläche. «Schwammstadt-Massnahmen bringen Vorteile auf ökonomischer, ökologischer und sozialer Ebene», sagt Schudel. Ökonomisch, weil sie Schäden durch Überschwemmungen reduzieren und die Kanalisation entlasten. Zudem verdunsten mehr Bäume und Grünflächen mehr Wasser und kühlen so die Städte bei Hitzewellen ab. Ökologisch betrachtet, werden Biodiversität, Mikroklima und Wasserhaushalt verbessert. Und auf sozialer Ebene wird der öffentliche Raum aufgewertet und die Lebensqualität in dicht besiedelten Gebieten erhöht.
Leuchtturmprojekt in Quartierstrasse
Simon Schudel bleibt in der Optingenstrasse, einer typischen Quartierstrasse, stehen: wenig Grün in den Vorgärten, viele parkierte Autos und versiegelte Flächen, die sich in der Sommerhitze wie ein Backofen aufheizen. Das soll sich ändern. Ab 2024 setzt die Stadt Bern hier Klimaanpassungsmassnahmen um, an denen sich die Mobiliar mit
450 000 Franken beteiligt. Der Berner Versicherer hat insgesamt 4,5 Millionen Franken für die Unterstützung von Klimaschutzprojekten reserviert, die Hälfte davon für Schwammstadt-Projekte. Weil Werkleitungen saniert werden müssen, wird der Asphalt aufgebrochen. Ein Drittel der Strassenfläche bleibt entsiegelt, der Asphalt wird durch Rasen oder wasserdurchlässigen Mergel ersetzt. Dadurch wird Raum frei für 20 Bäume, Veloständer und Sitzgelegenheiten. Die Bäume erhalten unterirdisch mehr Raum und besseren Zugang zu Wasser.
Tiefbauamt der Stadt Bern
Die Visualisierung zeigt, wie die Optingenstrasse nach der Umgestaltung aussehen wird.
Schweiz im internationalen Vergleich spät aufgesprungen
Als Vertreter der Mobiliar ist Simon Schudel mit vielen Städten im Kontakt, die Schwammstadt-Projekte in der Pipeline haben. Er rät: «Am einfachsten und günstigsten werden Massnahmen schon bei der Bauplanung mitgedacht. Oder wie bei der Optingenstrasse dann umgesetzt, wenn sowieso Bauarbeiten anstehen.» Das bestätigt Silvia Oppliger, Projektleiterin Schwammstadt beim Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA). Nicht nur mit Städten und Gemeinden, auch mit Bauunternehmen und anderen Branchen rund ums Planen und Bauen ist Oppliger zum Konzept Schwammstadt im Gespräch. «Im internationalen Vergleich ist die Schweiz eher spät auf den Zug aufgesprungen, aber in den grossen Städten, insbesondere in Genf, beschäftigt man sich seit zwei bis drei Jahren mit dem Thema», sagt sie.
Kopenhagen lernt aus bitterer Erfahrung
Wie weit das Konzept der Schwammstadt getrieben werden kann, zeigt die dänische Hauptstadt Kopenhagen. Nach katastrophalen Regenfällen im Sommer 2011 und Schäden von geschätzten 760 Millionen Franken wurden radikale Umbauten in Angriff genommen: ein Mix aus vernetzten unterirdischen Anlagen zum Ableiten und Zurückhalten des Wassers, Parks, die als Rückhalteflächen dienen, und Strassen notfalls als Flüsse und Pipelines. Damit werden die Wassermengen zukünftiger Starkregenfälle gebremst und geführt.
Das grösste Projekt ist der am Fuss einer Anhöhe gelegene Enghavepark. Dank ober- und unterirdischer Massnahmen schluckt der neu gestaltete Park bei Extremwetter über 22 000 Kubikmeter Wasser. Unter anderem ein Hockeyplatz wird bei Starkregen zum Rückhaltebecken. Unter normalen Wetterbedingungen wird gesammeltes Regen- statt Grundwasser für Wasserspiele, zur Bewässerung und zur Stadtreinigung eingesetzt. Kopenhagen habe andere Bedingungen als Schweizer Städte, sagt Silvia Oppliger. «Aber wenn es um die Modellierung der Stadtplanung geht, zum Beispiel um das Führen des Wassers in Strassen, hat Kopenhagen Vorbildcharakter.»
Mit der strategischen Initiative zur Schwammstadt, finanziell unterstützt von der Mobiliar, wollen der VSA und ein interdisziplinäres Team von Projektpartnern vermehrt sensibilisieren, informieren, Werkzeuge entwickeln und Umsetzungen anstossen. Denn am besten funktioniert die Schwammstadt dann, wenn zwischen vielen Massnahmen positive Wechselwirkungen entstehen – und mehr bleibt als ein Tropfen auf dem heissen Stein.
Nachhaltig handeln
Nützliche Tipps
Wie Sie Regenwasser leiten oder sammeln und Schäden durch Oberflächenabfluss im und ums Gebäude verhindern können:
Überlegen, wohin das Wasser bei Starkregen abfliesst, und entsprechende Erhöhungen oder Mauern bei Einfahrten, Rampen und Keller-Lichtschächten anbringen.
Park- und Vorplätze entsiegeln zugunsten von Mergel oder begrünbaren Verbundsteinen.
Dachwasser sammeln und wiederverwenden, zum Beispiel für die Bewässerung des Gartens; einen Abfluss in die Grünfläche vorsehen, falls der Behälter überläuft.
In Grünflächen statt Steingärten investieren.
Dach- und/oder Fassadenbegrünung prüfen.
Für Fragen an die Mobiliar zum Thema Schwammstadt schreiben Sie bitte eine E-Mail an: [email protected]