Steigende Temperaturen, schwindende Artenvielfalt: Beide sind eng miteinander verbunden. Der Klimawandel ist eine der Hauptursachen für den Verlust der Biodiversität. Dazu kommen Verschmutzung, Abholzung oder die Urbanisierung. Gleichzeitig braucht es die Natur, um den Klimawandel einzudämmen: Gesunde und widerstandsfähige Wälder und Ozeane etwa, die CO2 aufnehmen. Die Kohlenstoffspeicherung ist natürlich bei weitem nicht das Einzige, wovon die Menschen abhängen. Es geht um saubere Luft, Wasser, Bestäubung und fruchtbare Böden.
Etwa eine Million von geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Ohne Gegenmassnahmen werde der Biodiversitätsverlust für die Gesellschaft und Wirtschaft verheerend sein, mehr als der Klimawandel selbst, warnen Wissenschafter. Und nicht nur sie.
Auch die Finanzbranche ist zunehmend besorgt. Der Rückversicherer Swiss Re etwa schrieb im vergangenen Jahr, dass sich der Wert der Biodiversität einer Schätzung nach auf 33 Billionen Dollar pro Jahr belaufe. Die Wirkung von Ökosystemen seien fest in unserem Finanzsystem verwurzelt, warnte der Rückversicherer. Daten könnten helfen, Finanzentscheidungen zu treffen, welche nicht nur der Natur nicht schadeten, sondern ihren Wiederaufbau förderten.
Ein Bericht des Weltwirtschaftsforums (WEF) aus dem Jahr 2020 befand, dass mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandprodukts (BIP) – 44 Billionen Dollar – potenziell gefährdet sei, aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Natur. Das Baugewerbe, die Landwirtschaft, die Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie seien die drei am stärksten von der Natur abhängigen Wirtschaftszweige.
Gleichzeitig könnten Geschäftsmodelle, welche die Natur stärken, Hunderte Millionen neue Stellen schaffen, teilte das Institut im Februar mit. Bis 2030 könne eine abwechslungsreichere Ernährung mit Gemüse und Obst jährlich Geschäftsmöglichkeiten in Höhe von 310 Milliarden Dollar schaffen. So stammen etwa 75 Prozent der weltweiten Nahrungsmittel von 12 Pflanzen- und fünf Tierarten. Tierische Produkte lieferten 18 Prozent der Kalorien, beanspruchten aber 80 Prozent der Anbauflächen.
Im März stellte das Netzwerk von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden Network for Greening the Financial System (NFGS) fest, dass naturbezogene Risiken – wie beispielsweise der Verlust der Biodiversität – negative makroökonomische Auswirkungen haben könnten. Zentralbanken sollten folglich solche Risiken in ihrer Arbeit berücksichtigen.
Grünes Geld
Das Grundproblem seien die fehlenden Marktsignale, warnte Partha Dasgupta, Professor an der Universität Cambridge, schon im vergangenen Jahr. In einem vielbeachteten Bericht für die britische Regierung schrieb er, dass sich der wahre Wert der Natur eben nicht in den Marktpreisen widerspiegle. Es brauche einen neuen Massstab, wie wirtschaftlicher Erfolg gemessen werde, indem der Wert der Natur gezählt werde. Die Preisverzerrungen hätten auch dazu geführt, dass ungenügend in natürliche Ressourcen investiert worden sei. Gleichzeitig habe die Politik versagt: Regierungen gäben mehr Geld dafür aus, die Natur auszubeuten, als dafür, sie zu schützen.
Es fehlt also – wie so häufig – an Geld. Und genau hier kommen die Finanzbranche und Anleger ins Spiel, sagt Diane-Laure Arjalies, eine Professorin an der Western University in Kanada. Im Gespräch erklärt sie, dass die Finanzierungslücke, um Ökosysteme wiederherzustellen, zwar riesig sei, aber schliessbar. «Wir wissen, was zu tun ist und wie man Biodiversität wiederherstellen kann. Es braucht eben seine Zeit», sagt Arjalies.
Laut der Weltbank werden rund 711 Milliarden Dollar pro Jahr benötigt, um die Lücke zu schliessen. Einerseits müsse Geld in Projekte fliessen, etwa in der Landwirtschaft, die der Natur nicht schadeten. Andererseits brauche es Investitionen, welche die Natur erhalten oder aufbauen. Das bedeute im Grunde, das Land nicht wirtschaftlich zu nutzen, sagt Arjalies. Es gebe also keine Möglichkeiten, einen Cashflow zu generieren, und genau das mache es auch so schwierig, private Gelder anzuziehen. Deswegen werde an neuen Finanzinstrumenten gearbeitet, die nicht nur Projekte finanzieren sollen, die Artenvielfalt bewahren, sondern die auch Rendite bringen. Ein Beispiel dafür sei ein sogenannter «conservation impact bond», eine Anleihe, die erst dann ausgezahlt wird, wenn ein bestimmtes Umweltziel erreicht wurde. Gleichzeitig müsse auch ein Umdenken darüber stattfinden, was als wirtschaftlicher Wert gewertet werde, sagt sie.
Druck von allen Seiten
Das sieht Cecile Cabanis ähnlich. Sie ist die stellvertretende Geschäftsführerin von Tikehau Capital, einem französischen Vermögensverwalter, der erst vor wenigen Wochen verkündet hat, zusammen mit dem Versicherer Axa und dem Konsumgüterkonzern Unilever einen neuen Impact-Fonds aufsetzen zu wollen, um regenerative Landwirtschaft zu fördern.
Die Finanzbranche spiele eine Schlüsselrolle dabei, Lösungen gegen den Biodiversitätsverlust zu finden – und dabei langfristig sicherzustellen, dass Mehrwert generiert werden könne, sagt Cabanis. Gleichzeitig könnten Investoren auch dabei helfen, Unternehmen in der Transformation zu unterstützen. «Das Problem heutzutage ist doch, dass dies nicht als Investition, sondern als Kosten gesehen wird. Wenn wir uns heute aber nicht damit beschäftigen, wird irgendwann nichts mehr übrigbleiben, das Wert schaffen kann.»
Gleichzeitig gebe es einige Hürden, sagt Cabanis. Es sei schwierig, Daten zu bekommen und den Effekt auf die Biodiversität zu messen. Der geplante Fonds soll beispielsweise Landwirtschaft fördern, welche die Gesundheit des Bodens unterstützt, was wiederum zur Artenvielfalt, Erhaltung der Wasserressourcen und Bekämpfung des Klimawandels beiträgt. Anders als bei CO2 gebe es jedoch keinen einheitlichen Standard, der nachweise, was in puncto Biodiversität erreicht werde, geben Experten zu bedenken. Eine weitere Herausforderung sei die Tatsache, dass Schäden an Ökosystemen lokal seien. Sie können nur vor Ort repariert werden – anders als beim Klimawandel, bei dem Emissionen, die an einem Ort verursacht werden, durch Einsparungen woanders wettgemacht werden können.
Um Investoren zu überzeugen, sei es nötig, die Art und Weise, wie wir das landwirtschaftliche Risiko verwalten und die Auswirkungen vor Ort messen, neu zu erfinden, schreiben die Axa-Vertreter Pascal Christory und Antoine Denoix in der Pressemitteilung zu dem Vorhaben.
Gleichzeitig wächst das Bewusstsein in der Finanzbranche, dass der regulative Druck steigen wird, den eigenen Fussabdruck auf die Natur und die Artenvielfalt zu messen und Daten offenzulegen. Heute arbeiten Initiativen wie die Taskforce on Nature-Related Financial Disclosures (TNFD) schon daran, solche Risiken für die Umwelt darzustellen. In den vergangenen zwei Jahren haben über 80 Finanzinstitute, auch in der Schweiz, weltweit den Finance for Biodiversity Pledge unterzeichnet und sich damit verpflichtet, durch ihre Aktivitäten und Investitionen zum Schutz und zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt beizutragen.
«Der Biodiversitätsverlust ist der neue Klimawandel», sagt auch Alice Legrix de la Salle von Axa Climate. Für Investoren sei es aus diesem Grund auch eine Imagefrage, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Beobachten kann man das schon im Landwirtschaftsbereich. «Unser Ernährungssystem ist heutzutage ein Treiber des Biodiversitätsverlusts. Wir allen wissen, dass wir die Art und Weise, wie wir Essen produzieren, werden ändern müssen.» So drängten auch Konsumentinnen und Konsumenten zunehmend darauf, dass Produkte nachhaltig seien.
Für Laurent Babikian von der Nichtregierungsorganisation CDP, die weltweit umwelt- und klimarelevante Daten von Investoren, Unternehmen und Städten sammelt, liegt es auf der Hand, warum das Engagement wächst: «Wenn man alle Arten und alle von der Natur bereitgestellten Dienstleistungen zerstört, kann man nicht mehr produzieren.» Einige Investoren verstünden das schon heute.