Bühlers grosse Ambition ist es, zusammen mit Partnern entlang der Wertschöpfungskette den Energie- und Wasserverbrauch sowie die Abfälle in der Lebensmittelindustrie und der Mobilität deutlich zu senken. Das Unternehmen will innovative Wege finden, damit die Ernährung der rasch wachsenden Weltbevölkerung trotz Kriegen, steigender Wasserknappheit und Landerosion über die nächsten Jahrzehnte sichergestellt werden kann.
Der tiefere Sinn der Existenz
Die Bühler Group wird im Buch «Deep Purpose: The Heart and Soul of High-Performance Companies» neben Firmen wie Etsy, Lego und Microsoft als Beispiel eines Unternehmens genannt, das einen echten Purpose hat und damit wirtschaftlich erfolgreich ist. Der Autor Ranjay Gulati, Professor an der Harvard Business School und Experte für Führung, Strategie und Organisation, versteht darunter Unternehmen und Führungskräfte, die nach dem Sinn und Zweck der Firma handeln.
Ihr Purpose basiert auf den Wurzeln des Unternehmens und umfasst eine Zukunftsvision, die über den wirtschaftlichen Erfolg hinausgeht. Der Purpose sorgt für eine starke Identifikation der Mitarbeitenden mit der Firma, inspiriert die Entwicklung von Strategien, hilft beim Aufbau von vertrauensvollen Beziehungen zu Partnern und Kunden und dient den Managern als Kompass bei schwierigen Entscheidungen.
Patagonia dient dem Planeten
Der Purpose gibt Antworten auf die Frage, welche wirtschaftlichen und sozialen Probleme das Unternehmen auf profitable Weise lösen und wem es letztlich dienen soll. Der Patagonia-Gründer Yvon Chouinard hat dafür einen ganz eigenen Weg gefunden. Der Purpose-Pionier, der als junger Bergsteiger seine eigene Ausrüstung herstellte und später daraus ein Geschäft entwickelte, hat einen Trust und eine Nonprofitorganisation gegründet und diese zum Eigentümer der Firma gemacht. Alle Gewinne, die der Hersteller von Outdoorkleidung nicht reinvestiert, werden zur Bekämpfung des Klimawandels eingesetzt. Patagonia will damit dem Planeten dienen.
Mittlerweile haben viele Konzerne einen Purpose formuliert. Nike etwa will «Barrieren überwinden und eine Gemeinschaft aufbauen, um das Spiel für alle zu verändern», Novartis setzt darauf, «die Medizin neu zu gestalten, um das Leben der Menschen zu verbessern und zu verlängern», und Unilever bezweckt, «nachhaltiges Leben alltäglich zu machen».
Bei der Umsetzung bestehen jedoch erhebliche Unterschiede. Einige Firmen tun Gutes und sprechen darüber. Sie treiben sinnvolle Tätigkeiten ausserhalb ihres Kerngeschäfts voran oder entscheiden sich immer dann für sinnhaftes Tun, wenn sich dadurch auch kurzfristig der Gewinn steigern lässt. Für sie ist der Purpose ein Mittel zum Zweck, um die Reputation zu stärken, Kunden zu gewinnen, das Engagement der Mitarbeitenden zu erhöhen und die Marke als Arbeitgeber zu stärken.
Die Gefahr von Purpose-Washing
Es besteht aber auch die Gefahr von Purpose-Washing, wenn Firmen die schönen Worte nutzen, um ihr Tun in einem besseren Licht darzustellen oder gar ihr wahres Geschäftsmodell zu verschleiern. Mitarbeitende und Kunden haben ein feines Sensorium dafür, ob die Taten auch den propagierten Absichten entsprechen. Ist dies nicht der Fall, kann die Strategie sich rasch als Bumerang entpuppen und Reputationsverluste verursachen. Dies musste etwa der amerikanische Technologiekonzern Facebook erfahren, der nach heftiger Kritik wegen geduldeter Desinformation und Hasskommentaren sein Image aufpolieren wollte, nicht aber seine Algorithmen entsprechend anpasste.
Solange es nicht darum geht, mit einem Purpose-Washing die Geschäftstätigkeit in einem falschen Licht darzustellen, ist laut Gulati gegen diese funktionale Sichtweise nichts einzuwenden. Firmen, die den Purpose als Mittel zum Zweck sehen, folgen der Logik, dass sich eine sinnvolle Tätigkeit für sie langfristig lohnt, weil sie dadurch für Kunden und potenzielle Mitarbeitende attraktiver werden.
Eine andere Perspektive haben laut Gulati Firmen wie Bühler, Microsoft oder Lego, die den Purpose als existenziellen Kern ihrer Geschäftstätigkeit betrachten und ihre Werte von innen nach aussen leben. Für sie ist der Purpose die Grundlage für ihr langfristiges, profitables Geschäft.
Aufschreiben, was gelebt wird
So musste Bühler nicht krampfhaft nach dem Sinn suchen, sondern sich lediglich etwas näher mit den eigenen Wurzeln beschäftigen. 2010 hatte sich ein Team anlässlich des 150-jährigen Bestehens des Unternehmens an die Arbeit gemacht.
Es fragte die Mitarbeitenden, was Bühler im Kern ausmache. Die Antworten der Angestellten fielen überraschend ähnlich aus: Innovation, Nachhaltigkeit, Integrität, Respekt, kulturelles Verständnis und Kundennähe zählten zu den dominierenden Werten, mit denen sich die Mitarbeitenden von Bühler identifizierten. «Wir haben in Worte gefasst, was wir bereits seit Jahrzehnten lebten», sagt Scheiber.
Auf der Grundlage des Purpose hat Bühler seine Strategie formuliert und sich anspruchsvolle Nachhaltigkeitsziele für den eigenen Betrieb sowie die gesamte Wertschöpfungskette gesetzt. Bis 2025 will die Firma mit innovativen Lösungen dafür sorgen, dass der Energie-, Abfall- und Wasserverbrauch in den Wertschöpfungsketten seiner Kunden um 50 Prozent sinkt. Alle Innovationen werden auf diese Ziele ausgerichtet.
Der persönliche Antrieb des Firmenchefs
Die Zukunftsvision, die Ernährung und die Mobilität der rasch wachsenden Weltbevölkerung über die nächsten Jahrzehnte sicherzustellen, kann die Industriegruppe nicht allein verwirklichen. Sie muss mit Kunden, Partnern und Konkurrenten zusammenspannen. Alle drei Jahre kommen an den Bühler Networking Days in Uzwil über tausend internationale Vertreter aus den Bereichen Lebensmittel, Futtermittel und Mobilität zusammen, um gemeinsam über Lösungen zur Eindämmung des Klimawandels und der Armut sowie zur Verbesserung der Ernährungssicherheit zu diskutieren.
Gerade auch solche inspirierenden Anlässe geben Scheiber die Zuversicht, dass eine Trendwende möglich ist. Er verkörpert als Firmenchef den Purpose, der sich mit seinem persönlichen Antrieb deckt. Als er als sehr junger Mitarbeiter bei Bühler in Nairobi arbeitete, traf er erstmals in seinem Leben Menschen, die unter grossem Hunger litten. Damals beschloss er, seinen Beitrag zu leisten, damit sich dies ändert. Aus dem Purpose schöpft Scheiber seinen Glauben, dass es möglich ist: «Das ist ein unglaublicher Antrieb.»
Der Purpose beflügelt den Profit
Mit Aktionären, die eine hohe Rendite und Ausschüttung fordern, muss sich Scheiber nicht herumschlagen. Die Besitzerfamilie unterstützt das Management, und die erzielten Gewinne werden weitgehend in Innovationen und in die Zukunft der Firma reinvestiert.
«Purpose und Profit sind keine Gegensätze», sagt Scheiber. Im Gegenteil: Er sei die Triebfeder für den Erfolg. Gulatis Untersuchungen sowie diverse andere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass es sich finanziell für ein Unternehmen auszahlt, einen echten Purpose zu haben und ihn zu leben.
Bei Konsumgüterfirmen wie Patagonia sind die Kunden bereit, für nachhaltige Kleidung mehr zu bezahlen. Doch wie sieht dies bei den Firmenkunden aus, die Bühler beliefert? Bei einigen Unternehmen muss die Firma noch Überzeugungsarbeit leisten. Laut Scheiber steht die Industriegruppe langfristig finanziell besser da, wenn sie sich gegenüber der Konkurrenz differenzieren kann. Stimmen Preis und Qualität, kommt das Unternehmen in die engere Auswahl und kann beim Kunden mit Nachhaltigkeit punkten.
«Die These, dass man zuerst finanziell erfolgreich sein muss und sich erst dann um einen Purpose kümmern kann, ist meines Erachtens nicht richtig», sagt Scheiber. «Es ist gerade umgekehrt.» Zuerst brauche es einen Purpose, der dem Unternehmen die Bedeutung gebe, den Zugang zu Partnern und Anspruchsgruppen öffne und zu einem grösseren Engagement der Mitarbeitenden führe. In guten Zeiten helfe der Purpose, den Blick für die Realität nicht zu verlieren, und in schlechten Zeiten, resilient zu bleiben, sagt der CEO.
Turnaround bei Microsoft
Besonders in Zeiten des Umbruchs ist Purpose ein wichtiger Anker. Als der Microsoft-Chef Satya Nadella 2014 das Ruder übernahm, merkte er rasch, dass es nicht ausreichen würde, dem Konzern eine neue Strategie zu verpassen, um den Turnaround zu schaffen. Er wollte einen gemeinsamen Purpose entwickeln und stellte seinen Mitarbeitern dazu in den ersten fünf Monaten viele grundlegende Fragen, was Microsoft ausmache und wohin die Reise gehen solle.
Nadella ist es dabei gelungen, das Gute und Schlechte der Vergangenheit zu erkennen und das erhaltenswerte Erbe mit einer Zukunftsvision zu verbinden. Schliesslich wurde der Purpose formuliert («Jedem Menschen und jeder Organisation auf diesem Planeten die Möglichkeit geben, mehr zu erreichen») und in eine Firmenkultur eingebettet, in der sich die Mitarbeitenden gegenseitig unterstützen.
Über den Purpose wird auch gestritten
Für Bühler geht es nicht darum, seinen 12 500 Mitarbeitenden einen tieferen Sinn zu verordnen oder sie darauf einzuschwören, ein Teil eines grösseren Ganzen mit einem höheren Zweck zu sein. Das Unternehmen propagiert auch nicht das Versprechen, seinen Angestellten «eine Arbeit voller Sinn und Erfüllung» zu bieten. Viel wichtiger seien die gelebte Praxis und das eigene Erleben der Höhen und Tiefen im Arbeitsalltag, sagt Scheiber. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten ein sehr feines Gespür dafür, was authentisch sei und was nicht und wo Werte gelebt würden und wo nicht.
Manch einem Mitarbeitenden mag die Ernährung der eigenen Familie näherstehen als die weltweite Nahrungsmittelversorgung. Dennoch vermitteln ein gemeinsamer Purpose und geteilte Werte im Unternehmen ein Gefühl der Zugehörigkeit und gegenseitiger Inspiration. Gerade auch der Zuspruch der Kundschaft aus aller Welt sei ein wichtiger Antrieb, sagt Scheiber.
Manchmal wird aber auch über den Sinn und Zweck des Unternehmens gestritten. So haben jüngst einige Mitarbeitende kritisiert, dass sich Bühler nach Ausbruch des Angriffskrieges nicht vollständig aus Russland zurückgezogen hat, sondern die Aktivitäten zur Sicherstellung der dortigen Nahrungsmittelversorgung aufrechterhält. Sich in Kriegen und Konflikten nicht politisch zu positionieren und sich auf die Versorgung der Bevölkerung vor Ort zu konzentrieren, ist bei Bühler schon seit der Firmengründung die Devise.
Vor allem in Krisenzeiten stellt der CEO immer wieder fest, wie die Mitarbeitenden in den einzelnen Regionen aus eigenem Antrieb aktiv werden und – entlang der Firmenwerte und des Purpose – Lösungen für die Probleme vor Ort finden. So haben etwa Manager in Indien, China, Südafrika und Brasilien den Familien ihrer Angestellten während der Corona-Pandemie entscheidend geholfen. Ein weiteres Beispiel: Vor Jahren hatten Servicetechniker nach dem Ebola-Ausbruch entschieden, unter schwierigsten Bedingungen nach Kamerun zu reisen, um eine Mühle in Betrieb zu setzen. Der Purpose wirkt bei Bühler von unten nach oben.