140 Millionen Frauen werden jährlich schwanger. Und meist wird dadurch ihr Leben auf den Kopf gestellt. Was dabei in ihrem Gehirn vor sich geht, darüber wissen wir noch wenig. Und so war das «Schwangerschaftshirn» bisher nicht mehr als ein Mythos.
Nun haben Forscher in Kalifornien das Gehirn einer werdenden Mutter in regelmässigen Abständen untersucht. Und es stellt sich heraus: Die Hirnrinde, auch graue Substanz genannt, schrumpft. Das schreiben die Autoren in diesem Monat im Fachjournal «Nature Neuroscience».
«Mit dieser Veränderung geht vermutlich ein Funktionsgewinn einher», sagt die Neurowissenschafterin Emily Jacobs. Diese Hirnschrumpfung ist also durchaus positiv zu werten.
Gehirn verändert sich, bevor der Bauch wächst
Es gibt nur wenige Studien, die das Gehirn von Müttern nach der Geburt untersuchen. Meist messen sie die Grösse des Gehirns vor und nach der Schwangerschaft. Doch den Wissenschafterinnen und Wissenschaftern der University of California war das nicht genug.
Sie wollten den genauen Verlauf der Hirnveränderungen dokumentieren. Der erste Messpunkt war zwei Wochen vor der Empfängnis und diente als Vergleichsmessung für die weiteren Untersuchungen: 26 weitere Hirnscans im Verlauf der Schwangerschaft und bis zwei Jahre nach der Geburt des Kindes sollten folgen.
Von Auge beobachtbar sind die Veränderungen in den Hirnbildern zwar nicht. Doch eine statistische Analyse zeigte, dass die 2 bis 5 Millimeter dicke Hirnrinde im Verlauf der Schwangerschaft immer dünner wird. Sie ist verantwortlich für Sinneswahrnehmungen, willkürliche Bewegungen, Planung und Denken.
Allerdings ist nicht nur die gesamte Grosshirnrinde betroffen, sondern alle Hirnregionen, die aus grauer Substanz bestehen. Im Gegensatz dazu erschien die weisse Hirnsubstanz – also die Nervenverbindungen – im Verlauf der Schwangerschaft immer dichter.
Am dramatischsten waren die Veränderungen der Hirnzellen, noch bevor Aussenstehende die Schwangerschaft bemerken – in den ersten neun Wochen. In jenem Zeitraum weiss manch werdende Mutter noch nicht einmal von den Veränderungen, die sich im Körper anbahnen.
Doch viele Schwangere erzählen, wie sie in diesen ersten Wochen von einer fast unbeschreiblichen Müdigkeit erfasst werden. Die Mutter, die hier für die Forschung ihr Hirn zur Verfügung stellte, Elizabeth Chrastil, sagt aber rückblickend: «Ich habe mich in dieser Schwangerschaft nicht anders gefühlt als sonst.» Chrastil ist selbst Neurowissenschafterin und Mitautorin der Studie.
Geschlechtshormone wirken auf die Nervenzellen
Auch der Wasserhaushalt verändert sich bei der werdenden Mutter. So füllen sich die Hohlräume in der Mitte des Gehirns mit mehr der sogenannten zerebrospinalen Flüssigkeit, die das Gehirn ernährt und reinigt. Doch das geschieht erst gegen Ende der Schwangerschaft. Sie kann es also nicht sein, die die graue Substanz zusammenpresst. Dort muss auf der Ebene der Zellen etwas passieren.
Wissenschafter gehen davon aus, dass das Gehirn sich mit jeglicher hormonellen Umstellung mitverändert. Das gilt für den monatlichen Zyklus geschlechtsreifer Frauen genauso wie für tägliche Hormonschwankungen bei Männern.
«Während einer Schwangerschaft sprechen wir von 100- bis 1000-fach stärkeren Schwankungen als im monatlichen Zyklus», sagt die Neurowissenschafterin Chrastil.
Und anders als in früheren Studien zum mütterlichen Gehirn konnten die Wissenschafter den Zusammenhang zwischen dem Anstieg von Östrogen und Progesteron bei der werdenden Mutter und dem Schrumpfen des Gehirns Woche für Woche nachzeichnen.
Eine Schwangerschaft als «zweite Pubertät»
Aus hormoneller Sicht ist eine Schwangerschaft also kaum mit den monatlichen Zyklusschwankungen vergleichbar. Doch die Wissenschafter finden einen Vergleich, der weitaus besser zu passen scheint. «Für das Gehirn ist die Schwangerschaft wie eine zweite Pubertät», sagt Chrastil.
Auch in der Pubertät ist der Körper grossen Mengen von Geschlechtshormonen ausgesetzt, und dabei schrumpft die graue Hirnsubstanz sukzessive.
Einzig, die Pubertät dauert Jahre, während in der Schwangerschaft die Veränderungen innerhalb von wenigen Wochen stattfinden. Sie ist eine Art Pubertät im Zeitraffer.
Zwei Jahre nach der Geburt lässt sich die Wirkung der zweiten Pubertät gar quantifizieren. 4 Prozent des Gehirns der werdenden Mutter sind verlorengegangen und nach der Geburt auch nicht mehr wieder angewachsen. Doch das muss nichts Schlechtes sein.
«Feinabstimmung» des Nervengeflechts für das ganze Leben
Intuitiv klingt ein schrumpfendes Gehirn bedrohlich. Doch ähnlich wie bei der Pubertät gehen die wichtigen Nervenverbindungen gestärkt daraus hervor, während viele unnötige Nervenverbindungen verschwinden.
Forscher vermuten, dass nach der Schwangerschaft das Nervengeflecht nochmals effizienter arbeitet. Was das für das Verhalten oder die Denkleistung bedeuten könnte, das ist bisher allerdings noch nicht untersucht worden. «Hirnfunktionen, die für die werdende Mutter relevant sind, könnten dadurch unterstützt werden», sagt die Studienleiterin Jacobs.
Noch ist es eine Studie an einer einzigen werdenden Mutter. Doch die beiden Forscherinnen verraten bereits, dass weitere vier Mütter untersucht wurden. Das Ergebnis war, grosso modo, gleich.
Auch wenn die Forscher der jungen Mutter nur zwei Jahre folgen können, spricht vieles dafür, dass die Hirnveränderungen noch länger anhalten. Jüngst gelang es Wissenschaftern aus England, anhand der Hirnscans von 60-jährigen Frauen zu sagen, ob sie einst Kinder geboren hatten und, wenn ja, wie viele.