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Weniger ist mehr, auch beim Bauen

Visualisierung des Weissen Turms, wie er später aussehen könnte. Foto: PD

Best Practices Partner Inhalt: ETH

Weniger ist mehr, auch beim Bauen

Er ist weltweit in rauen Mengen gefragt und hat doch keinen guten Ruf mehr: Beton. Schuld daran ist seine negative Umweltbilanz. Forschende der ETH Zürich entwickeln innovative Verfahren, um die eingesetzte Menge dieses Baustoffs nachhaltig zu reduzieren.

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Hätten Sie’s gewusst? Die Baubranche ist in allen Industrieländern der ressourcenintensivste Wirtschaftszweig. Mit Abstand. Das kratzt am Ruf und stellt den gesamten Sektor vor immense Herausforderungen. Einerseits verbraucht sie enorm viel Material und Energie, andererseits produziert sie Abfall in rauen Mengen und belastet das Klima. Allein auf den Gebäude- und Infrastrukturbereich – Bau, Betrieb und Abriss – entfallen heute mehr als ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen.

Kritik entzündet sich vor allem an der massenhaften Verwendung des Baustoffs Beton. Dieser ist zwar vielfältig einsetzbar und sorgt für sichere, stabile Bauwerke. Das macht ihn ja auch so beliebt. Doch die Sache hat einen entscheidenden Haken: Um den globalen Bedarf an Beton zu decken, werden heute weltweit mehr als vier Milliarden Tonnen Zement produziert, jedes Jahr. Zement ist das Bindemittel im Beton, das – mit Wasser gemischt – Sand und Kies zusammenhält. Diese Herstellung ist mit einem gewaltigen Energieaufwand verbunden. Hochgerechnet entstehen allein dadurch fast 8 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen. Zum Vergleich: Auf den weltweiten Flugverkehr entfallen «nur» etwa 3 Prozent.

Wegweisende Lösungen

Angesichts solcher Zahlen suchen Experten nach Möglichkeiten, den «embodied Carbon» zu senken, also all die CO2-Emissionen, die während des gesamten Lebenszyklus des Betons entstehen – von der Herstellung bis zur Entsorgung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der ETH Zürich verfolgen zum Beispiel drei Ansätze, um den Fussabdruck von Betonbauten zu verringern: sparsamer mit Ressourcen umgehen, verstärkt Alternativen nutzen, mehr Material recyceln.

Auch die Baubranche ist keineswegs untätig. Doch die Zeit drängt. Denn angesichts der rasanten Zunahme der Weltbevölkerung werden immer mehr Wohnraum und Infrastrukturen benötigt. Um den grössten Schub des Städtewachstums in der Geschichte der Menschheit bewältigen zu können, müssten weltweit voraussichtlich 230 Milliarden Quadratmeter neue Bodenfläche bebaut werden.

Turm aus dem Drucker

Im Zuge des Baubooms werden schon heute weltweit jedes Jahr rund 4,4 Milliarden Tonnen Beton produziert. Beton ist damit das am häufigsten verwendete Baumaterial, nach Wasser sogar der am häufigsten verwendete Stoff auf der Erde. Der erste Lösungsansatz liegt also auf der Hand: weniger Beton, insbesondere weniger Zement.

«Wir müssen das Design und die Konstruktion von Gebäuden überdenken», betont Benjamin Dillenburger, Professor für Digitale Bautechnologien an der ETH Zürich. Mit seinem Team setzt er auf computergestützte Planung und digitale Fabrikation. Beides werde die Baubranche grundlegend verändern, ist der 45-jährige Wissenschaftler überzeugt. Er ist bei seiner Forschung auf den Einsatz robotergestützter 3D-Druckverfahren spezialisiert.

Wie das in der Praxis funktioniert, zeigt exemplarisch eine kühne Konstruktion: der «Weisse Turm» im Bündner Dorf Mulegns. Mit einer Gesamthöhe von über 23 Metern soll er zu einem der höchsten vollständig im 3D-Druckverfahren erstellten Bauwerke der Welt hochgezogen werden. Dabei trägt ein Roboter nacheinander 5 Millimeter dünne Betonschichten auf. Das Material ist exakt weich genug, um sich zu verbinden und homogene Komponenten zu bilden, härtet aber auch schnell genug aus, um die Folgeschichten zu tragen. Auch beim Designprozess kommen digitale Technologien zum Einsatz. Die gesamte Struktur des Turms wird mit einer an der ETH entwickelten Software entworfen, die eine genaue Definition der Geometrie ermöglicht und die erforderlichen Daten direkt an die Druckroboter sendet. Der Clou: «Mit Hilfe der neuartigen Technologie muss Beton gezielt nur dort aufgetragen werden, wo er tatsächlich benötigt wird», erklärt Dillenburger. Das Resultat? Die Betonmasse wird reduziert, weil dünnwandige, hohle und massgeschneiderte Bauteile hergestellt werden können. Zudem kann ganz auf die Schalung verzichtet werden.

Bauen mit Lehm

Muss es immer Beton sein? «In den meisten Häusern braucht man gar nicht die aussergewöhnliche Festigkeit, die Beton zu bieten hat», erklärt Guillaume Habert, Professor für Nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich. Er rät darum zum Masshalten, so wie bei der Ernährung. «Auch bei Gebäuden können wir Diät halten, in diesem Fall mit fossil erzeugten Baumaterialien.» Dies ermöglichen etwa Glas (weniger kohlenstoffintensiv), eine optimierte Struktur mit kohlenstoffarmen Materialien (Brettschichtholz), möglichst kohlenstofffreier Lehm sowie kohlenstoffnegative und schnell erneuerbare Materialien wie Stroh, Flachs oder Hanf und Massivholz.

Auch hier helfen innovative Fertigungsmethoden, die eine emissionsarme und zugleich rentable Bauweise ermöglichen. Pionierarbeit leistet auf diesem Gebiet das ETH-Spin-off Oxara: Gemeinsam mit Professor Habert wurde ein zementfreier Beton entwickelt, der 20-mal umweltfreundlicher als herkömmlicher Beton ist und für nicht oder nur wenig tragende Elemente in zwei- bis dreistöckigen Gebäuden verwendet werden kann. Oxara verwendet als Rohstoff lehmhaltige Erde, etwa aus dem Aushub von Baustellen. Das benötigte Material gibt es im Überfluss, auch in der Schweiz. Oxara nutzt es zur nahezu emissionsfreien Herstellung von gegossenem Erdbeton. Das Rezept: Man nehme die lehmhaltige Erde, gebe Wasser sowie einen eigens entwickelten mineralischen Zusatzstoff hinzu und giesse die Mischung in eine Schalung. Innerhalb von ein bis zwei Tagen lassen sich so stabile Bauteile herstellen. «Industriell produziert, trägt dieses Verfahren zu einer Lösung für nachhaltiges, wirtschaftlich tragfähiges Bauen bei», ist Habert überzeugt.

Aus seiner Sicht wäre es aber falsch, Beton und andere Baustoffe gegeneinander auszuspielen. «Es gibt keine guten oder schlechten Materialien, sondern das richtige Material am richtigen Ort», so Habert. Bezogen auf die Schweiz seien nicht einmal die Neubauten das Hauptproblem, sondern die fehlende energetische Sanierung bestehender Gebäude. Für die Dämmung werde oft expandierter Polystyrol-Hartschaum (EPS), auch als Styropor bekannt, verwendet, der mit Erdöl hergestellt wird. Man muss sich einmal klarmachen: «Wir stossen CO2 für die Produktion von Dämmmaterialien aus, um dann damit den Energieverbrauch von Gebäuden zu reduzieren – biobasierte Dämmstoffe wären viel sinnvoller», bringt der ETH-Professor den Widerspruch auf den Punkt.

Aus alt wird neu

Catherine De Wolf, Assistenzprofessorin im Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich, setzt wiederum auf die Kreislaufwirtschaft. Statt wertvolle Materialien zu entsorgen, sollen sie in einen Stoffkreislauf zurückgeführt werden. Jahr für Jahr fallen allein in der Schweiz mehr als 70 Millionen Tonnen Abfall an, 84 Prozent davon durch das Baugewerbe. «Wenn wir uns klar machen, wie viele Ressourcen das sind, wie viel graue Energie in diese Produkte eingeflossen ist und welche fantastische Qualität diese Materialien besitzen, realisieren wir erst, wie viele Chancen wir verpassen», erklärt die Wissenschaftlerin.

Kuppel aus Abbruchmaterial

Sie möchte mithilfe digitaler Verfahren von einer linearen Wirtschaft, die auf einem «Take-Make-Waste»-Modell beruhe, zu einer Kreislaufwirtschaft kommen, bei der die Lebensdauer von Bauressourcen maximal ausgeschöpft werde: durch Wiederverwertung, Renovation, Aufbereitung und Recycling. In dem von ihr geführten Circular Engineering for Architecture (CEA) Lab setzt sie dafür maschinelles Lernen, Laserscanning, Augmented Reality oder auch Blockchain-Technologie ein.

So entwickelt und testet ihr Team Verfahren, mit denen sich Gebäude scannen und darin verborgene Schätze aufspüren lassen. Auf diese Weise können urbane Rohstofflager erschlossen und die dort lagernden Materialien nachverfolgt und «abgebaut» werden, statt bereits auf der Mülldeponie am Ende ihres Lebens zu landen. Ein Beispiel: In einem Projekt mit Studierenden sollte eine geodätische Pavillon-Holzkuppel ausschliesslich aus Abbruchmaterial errichtet werden.

Im ersten Schritt wurden Materialien aus einem alten Autohaus geborgen. Anschliessend katalogisierte die Gruppe die verfügbaren Teile, in erster Linie Holzstücke, und programmierte einen Algorithmus, um die optimale Geometrie und die Abmessungen für die Kuppelstruktur mit minimalem Abfall zu berechnen. Ausserdem entwickelte man eine digitale Plattform, die den Status und die Qualität jedes einzelnen Bauelements verfolgt. Für die Kuppel erhielt jedes geborgene Holzteil einen QR-Code, der auf einen Online-Materialpass verweist. «Skaliert man die Daten auf mehrere Gebäude, wird man Muster im Materialfluss erkennen und die Verfügbarkeit von Materialien zur Wiederverwendung vorhersagen können», erläutert Catherine De Wolf. Auch das ist ein wichtiger Schritt, um den ökologischen Fussabdruck einer ganzen Industrie nachhaltig zu senken.

Foto: PD

Blick ins ETH-Labor Roboter fabrizieren die Säulen für den Weissen Turm von Mulegns. Die Fertigstellung soll 2024 erfolgen. Bauherr ist die Nova Fundaziun Origen.

Deklaration: Dieser Inhalt wurde vom Sustainable Switzerland Editorial Team im Auftrag von ETH erstellt.

Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

9 - Industrie, Innovation und Infrastruktur
11 - Nachhaltige Städte und Gemeinde
13 - Massnahmen zum Klimaschutz

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