Logo image
Warum grauer Beton so schillernd ist

Karen Scrivener ist seit 2001 ordentliche Professorin an der EPFL in Lausanne. Foto: PD

Best Practices Partner Inhalt: EPFL

Warum grauer Beton so schillernd ist

Karen Scrivener, Leiterin des Labors für Baumaterialien an der EPFL in Lausanne, forscht über Baustoffe, die unser Leben prägen und es bald nachhaltig verbessern sollen – was noch nicht der Fall ist.

3

Teilen
Hören
Logo image

Warum grauer Beton so schillernd ist

Teilen
Hören

6 Min.  •   • 

Knallharte Materie – das liegt ihr. ­Karen Scrivener ist eine renommierte Expertin für die weltweit am häufigsten verwendeten Baustoffe: Beton und Zement. Doch das Bindemittel Zement ist als «Klimakiller» in Verruf geraten. Die Professorin hält dagegen. Die Leiterin des Labors für Baumaterialien an der EPFL in Lausanne kann nicht nur auf ­richtungsweisende Forschung für eine energieeffizientere Betonproduktion verweisen. Sie hat auch die globale ­Bautätigkeit im Blick – und verfolgt grosse Pläne.

Ob Brücken, Hochhäuser oder Bungalows – der graue, künstliche Stein, der sich schier grenzenlos formen lässt, ist aus unserem Leben gar nicht wegzudenken. Doch bei vielen löst er vor allem wegen der Treibhausgasemissionen wenig Begeisterung aus. Anders bei Karen Scrivener, die sich schon seit 40 Jahren für Beton begeistert – auch wenn das öffentliche Interesse daran erst im Zusammenhang mit dem Klimawandel gewachsen ist. Die Materialwissenschaftlerin wird immer wieder gefragt, wie sie überhaupt zu diesem Thema gekommen sei.

Für die Antwort holt sie ein bisschen aus: «Ich wollte mich immer mit dem realen Leben befassen. Und als ich ein Promotionsthema suchte, habe ich mich an verschiedenen Unis umgeschaut. Beim Thema Metalle lagen die spannendsten Entwicklungen schon 100 Jahre zurück. Ein Professor am Imperial College in London machte mich schliesslich auf das Thema aufmerksam. Da war Potenzial, das hörte sich interessant an.»

Wissenslücken geschlossen

Für sie ist es nach wie vor unglaublich, dass wir so viel mit Beton bauen und dabei so wenig darüber wissen. «Es sieht so einfach aus: Wir mixen ein graues Pulver mit Wasser und fertig ist ein stabiler Baustoff. Doch hier laufen komplexe chemische Reaktionen ab», erklärt die Wissenschaftlerin. Im Vergleich zu den Biowissenschaften gibt es jedenfalls noch reichlich weisse Flecken in der Forschung über Zement.

In ihrer langen Karriere in der Wissenschaft und auch in der Zementindus­trie hat Karen Scrivener viel dazu beigetragen, diese Lücken zu schliessen. Die Britin forscht daran, wie man die Verfahren bei der Betonproduktion mit Blick auf die mechanischen, vor allem aber auf die Umwelteigenschaften des Baustoffs verbessern kann. Angesichts der weltweiten Bemühungen um eine Reduktion von Treibhausgasemissionen ist dies wichtiger als je zuvor.

Denn die zentralen Bestandteile von Beton sind Zement und diverse Zuschlagstoffe wie Kies, Sand, Splitt oder Bims. Man erhält den heutigen sogenannten Portlandzement durch das Brennen von Kalkstein bei sehr hohen Temperaturen zu Klinker. Dies führt in doppelter Weise zu hohen Emissionen: einerseits durch den Energieeinsatz, andererseits dadurch, dass der Kalkstein beim Brennen in Kalziumoxid zerlegt wird. Diese chemische Reaktion ist immerhin für 60 Prozent der Emissionen verantwortlich. Technisch sei es jedoch nahezu unmöglich, so Scrivener, diese Emissionen vollständig zu eliminieren.

Suche nach Ersatzstoffen

Ein Ansatzpunkt, um den CO2-Ausstoss dennoch zu verringern, besteht darin, den Klinkeranteil zu reduzieren und durch andere Stoffe wie gebrannten Ton zu ersetzen. Bei der Suche nach idealen Substituten ist der Wissenschaft­lerin und ihrem rund 30-köpfigen, interdisziplinären Team gemeinsam mit anderen Forschungs- und Industriepartnern ein echter Durchbruch mit dem «Lime­stone Calcined Clay Cement» gelungen. Dieser kalzinierte Ton kann bei nur 800 Grad Celsius statt bei 1450 Grad Celsius gebrannt werden und setzt kein CO2 durch den chemischen Prozess frei. Die sogenannte LC3-Technologie macht die Betonproduktion billiger, weniger kapitalintensiv und spart bis zu 40 Prozent Kohlendioxid. Der potenzielle Hebel zur weltweiten CO2-Reduktion ist mit geschätzten 400 bis 800 Millionen Tonnen pro Jahr enorm gross.

Die Wissenschaftlerin weiss, dass Beton heute dennoch vielen pauschal als umweltfeindlich gilt. «Aber das ist falsch», widerspricht sie in ­entschiedenem Ton. Für sich genommen habe Beton pro Kilogramm im Vergleich zu anderen ­Materialien den geringsten CO2-Fuss­abdruck. Beton hält lange, der Lebens­zyklus ist also positiv. Die ­Professorin sieht das ökologische Pro­blem auch nicht in erster Linie im Baustoff selbst, sondern in der gigantischen Menge, die tagtäglich verbaut wird. ­«Jedes Jahr produzieren wir weltweit 30 Milliarden Tonnen zement-basiertes Material (Beton, Mörtel) – das ist gewaltig und deutlich mehr als alle anderen Materialien zusammengenommen, die der Mensch überhaupt verbraucht.»

Betonhaus mit Holzboden

Diese unvorstellbare Menge – und darin zeigt sich ein echtes Dilemma – belegt, wie riesig der Bedarf weltweit ist. «Ein Betonbaustopp ist keine Option für Schwellenländer», betont Karen Scrivener. Schliesslich lebt heute noch immer mehr als eine Milliarde Menschen in Slums. Wenn es darum geht, neue Häuser zu bauen, ist Beton nun einmal preiswert, leicht zu transportieren und immer verfügbar – die Rohstoffe sind in der Erdkruste reichlich vorhanden.

Beton komplett durch Holz zu ersetzen, ist für Scrivener keine Lösung. Holz könne maximal fünf bis zehn Prozent des globalen Bedarfs an Bau­material liefern und sei keine Lösung für den Globalen Süden. «Es ist ein perfektes Material, aber es gibt einfach nicht genug Fläche für den Wald, den man bräuchte – und wir haben auch nicht 30 Jahre Zeit, bis genügend Bäume gewachsen sind.» Sie selbst wohnt auf dem Land in einem Haus aus Beton. «Aber es hat immerhin einen schönen Holz­boden», sagt sie mit einem Lachen.

Die Professorin plädiert für realis­tische Lösungen und hat stets die Umsetzung von Forschung in das «richtige Leben» im Blick. Nicht von ungefähr drehte sie der akademischen Welt auch schon einmal den Rücken, um sechs Jahre in der Industrie, bei Lafarge in Lyon, zu arbeiten.

Globale Partnerschaften

Wie sieht die Zukunft des Bauens im Einklang mit den Klimazielen der Schweiz und der Welt dann ihrer ­Meinung nach aus? «Wir können nicht total auf Beton verzichten und werden auf viele verschiedene Materialien setzen müssen. In der Klimadebatte ist es entscheidend, nicht durch Verabsolutierungen die Chancen zu verpassen, in bereits bestehenden Technologien den Energieverbrauch zu reduzieren.» Für den Beton rechnet sie vor, dass man auf der Ebene der Zementherstellung allein bis zu 30 Prozent Emissionen, bei der Reduktion des Zementanteils im Beton weitere 20 bis 30 Prozent und bei der Menge des Betons im Gebäude sogar bis zu 50 Prozent einsparen könne. Das wären enorme Fortschritte.

Die grosse Herausforderung dabei sei, so Karen Scrivener, alle am Bau­prozess Beteiligten an einen Tisch zu bringen – und das weltweit. Ihr neues grosses Projekt ist ein «Center for Worldwide Sustainable Construction», das eng mit der Industrie kooperiert und Doktoranden, vor allem Stipendiaten aus ärmeren Staaten, ausbildet. Sie sollen die neuesten Lösungsansätze in ihre Länder tragen. «Solche globalen Partnerschaften sind wichtig, denn der Klimawandel betrifft die ganze Welt.»

Zur Person

Karen Scrivener, 1958 in England geboren, erhielt 2001 den Ruf an die EPFL in Lausanne als ordentliche Professorin und Leiterin des Labors für Bau­materialien am Institut für Materialwissenschaften und Ingenieurwesen (LMC). Sie setzt sich aktiv für die Förderung nachhaltiger Zemente ein und gründete 2004 das Nanocem, ein Konsortium von rund 30 akademischen und industriellen Partnern, das entsprechende Grund­lagenforschung betreibt und institutionell in die Globale Zement und Beton Alliance übergegangen ist. ­Gemeinsam mit Universitäten und Organisationen in Neu-Delhi, Chennai und Kuba, mit der Schweizer Entwicklungszusammen­arbeit und führenden Zementherstellern entwickelte Karen Scrivener das LC3-Projekt («Limestone Calcined Clay ­Cement»). 15 Jahre war sie Chefredak­torin des wissenschaftlichen Journals «Cement and Concrete Research», wurde 2014 zum Fellow der Royal Academy of Engineering gewählt und erhielt mehrere renommierte Auszeichnungen.

Deklaration: Dieser Inhalt wurde vom Sustainable Switzerland Editorial Team im Auftrag von ETH erstellt.

Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

11 - Nachhaltige Städte und Gemeinde
13 - Massnahmen zum Klimaschutz

Werbung

Beliebteste Artikel

Empfohlene Artikel für Sie

Darf man heute noch mit Beton bauen?
Produktion & Konsum

Darf man heute noch mit Beton bauen?

Ein Zug fährt durch einen Tunnel: Blick aus der Fahrerkabine
Lebensräume

Grüner Beton – wird der Klimakiller zum Klimaretter?

«Wir müssen den gesamten Zyklus eines Gebäudes betrachten», betont Prof. Werner Sobek. Foto: René Müller
Lebensräume

«Ohne nachhaltiges Bauen werden die Klimaziele unerreichbar bleiben»

Ähnliche Artikel

Hoch hinaus mit Holz
Lebensräume

Hoch hinaus mit Holz

Blick in die Bibliothek von Calgary, Kanada.
Lebensräume

Holz ist wieder in: Kann der bewährte Baustoff sogar das Klima retten?

Weniger ist mehr, auch beim Bauen
Lebensräume

Weniger ist mehr, auch beim Bauen