Selbst im November laden in diesen Tagen Temperaturen bis 15 Grad zum Flanieren ein. Auch dem Laien schwant: Solche Wetterbedingungen sind dank dem Klimawandel wahrscheinlicher geworden. Wie sich das Klima in der Schweiz bis zum Jahr 2100 verändern könnte, das zeigt jetzt ein neuer wissenschaftlicher Bericht.
Die «Schweizer Klimaszenarien CH 2025» schildern detailliert die markanten Veränderungen, auf die sich das Land einstellen muss: Es wird noch deutlich wärmer als heute, die Winter werden schneeärmer, aber regenreicher, die Sommer trockener, und Sturzregen wird immer heftiger.
Der Bundesrat erteilte das Mandat, alle paar Jahre den Klimawandel in der Schweiz zu beschreiben. Die letzten Klimaszenarien erschienen im Jahr 2018. Die neuen Szenarien fertigte der Wetterdienst Meteo Schweiz gemeinsam mit der ETH Zürich und anderen Partnern unter dem Dach des National Centre for Climate Services an. Fünfzig Forscher haben daran mitgewirkt.
Am Dienstag wurden die Szenarien in Bern der Öffentlichkeit vorgestellt. «Die neuen Klimaszenarien bestätigen in vieler Hinsicht, was wir eigentlich von den alten schon wissen», sagte Christof Appenzeller, der Direktor von Meteo Schweiz, während der Präsentation. Aber mit den neuen Szenarien habe man jetzt eine viel detailliertere und auch grössere und bessere Analyse als früher. Einen Nutzen sollen praktisch alle Teile der Gesellschaft daraus ziehen. Für den Bund dienen die Szenarien als Grundlage für die Revision der Anpassungsstrategie.
Die Schweiz erwärmt sich schneller als viele andere Länder
Bis jetzt hat sich die Erdatmosphäre gegenüber der vorindustriellen Zeit um 1,3 bis 1,4 Grad Celsius erwärmt. In der Schweiz ist die Temperatur viel rasanter gestiegen – bereits um rund 2,9 Grad.
Dass sich die Schweiz so viel schneller erwärmt als der Globus, liegt grundsätzlich an der kontinentalen Lage: Landflächen erhitzen sich stärker als die Meere.
Im Vergleich zu den 2018 veröffentlichten Szenarien hat sich die Prognose für die Erwärmung in der Schweiz etwas verschlechtert: Die Temperaturen dürften um rund 0,1 bis 0,4 Grad mehr ansteigen als bisher angenommen. Der Grund: Die bisher verwendeten regionalen Klimamodelle hätten die beobachtete starke Erwärmung der letzten zwei Jahrzehnte im Mittel etwas unterschätzt, sagt Regula Mülchi von Meteo Schweiz, die das Projekt Klima CH 2025 leitet.
Schon um 2050 herum könnte die globale Mitteltemperatur die 2-Grad-Schwelle erreichen. In der Schweiz läge die Mitteltemperatur dann bereits 3,6 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Wird der Klimaschutz nicht weltweit verstärkt, könnte die Erde bis Ende des Jahrhunderts 3 Grad wärmer sein – für die Schweiz bedeutete das ein Plus von 4,9 Grad.
Grundsätzlich gilt für die neuen Klimaszenarien, dass der künftige Wandel anhand von drei Temperaturniveaus aufgezeigt wird – wann diese Temperaturniveaus erreicht werden können, ist jeweils unterschiedlich.
Pro Jahr 20 Tropennächte in Zürich
Was bedeutet das konkret für die Schweiz? Die Hitzebelastung im Sommer nimmt weiter zu, vor allem in den Städten. Für das Wohlbefinden besonders ungünstig ist es, wenn die Temperatur nachts nicht unter 20 Grad sinkt. Das sind die sogenannten Tropennächte. In einer 2-Grad-Welt gäbe es in der Innenstadt von Zürich im Schnitt mehr als 20 solcher Tropennächte pro Jahr.
Neben der Erwärmung wirken sich Veränderungen bei den Regen- und Schneefällen vermutlich am stärksten auf den Alltag in der Schweiz aus. Der Trend geht je nach Jahreszeit in entgegengesetzte Richtungen: Im Winter wird es feuchter, im Sommer trockener.
Besonders gross ist die Veränderung jeweils im Tessin und in Teilen Graubündens: Während im Sommer mit stark wachsender Trockenheit zu rechnen ist, werden die Niederschläge im Winter deutlich zunehmen..
Dass im Winter mehr Niederschlag vom Himmel kommt, heisst allerdings nicht, dass es mehr schneit. Ganz im Gegenteil: Es wird weniger Schnee geben als in der Vergangenheit.
Stattdessen wird es mehr regnen. Die einzige Ausnahme könnten die Gipfellagen der Hochalpen sein. Doch genaue Angaben zu dieser Region seien derzeit noch mit Unsicherheiten behaftet, sagt Regula Mülchi.
Der Grund für die Verschiebung von Schnee zu Regen ist der Anstieg der Nullgradgrenze. Sie liegt im Vergleich zur vorindustriellen Zeit heute bereits 480 Meter höher. In einer 3-Grad-Welt läge sie noch ungefähr 350 Meter höher als heute.
Geringere Schneemengen speichern logischerweise immer weniger Wasser; auch dieser Trend wird sich fortsetzen. Im Frühling und im Sommer fehlt das Schmelzwasser dann in den Flüssen.
Das Risiko von Waldbränden nimmt zu
Die wachsende Trockenheit im Sommer hat eine schwerwiegende Folge: Immer öfter herrschen in Zukunft Wetterbedingungen, bei denen Waldbrände entstehen und sich ausbreiten können. In einer 2-Grad-Welt wäre das in Sitten (Wallis) an 27 Tagen im Jahr der Fall.
Laut dem Bericht hat der Klimawandel in der Schweiz eine ganz besondere Folge, die auf den ersten Blick paradox erscheint: Obwohl es im Sommer insgesamt weniger regnet, kommt es immer öfter zu heftigem Starkregen. Wie kann das sein?
In Zukunft wird es zwar seltener regnen – aber wenn, dann richtig: Starkregen wird häufiger und auch etwas heftiger. Ereignisse, die im Schnitt alle 50 Jahre auftreten, könnten in einer 3-Grad-Welt ungefähr 10 Prozent intensiver ausfallen als heutzutage.
Die Szenarien dienen der Anpassung an den Klimawandel
Genutzt würden die Klimaszenarien hauptsächlich von Stellen, die sich mit der Anpassung an den Klimawandel beschäftigten, sagt Regula Mülchi. Das seien Behörden auf allen Ebenen ebenso wie Forschungsinstitutionen und Nichtregierungsorganisationen. Aber auch die Wirtschaft und auf den Klimawandel spezialisierte Ingenieurbüros seien Abnehmer der Daten.
Die neuen Klimaszenarien für die Schweiz sollen dem Bundesrat helfen, seine Strategie zum Umgang mit dem Klimawandel zu schärfen. Er kann dem wissenschaftlichen Bericht eine doppelte Botschaft entnehmen: Klimaschutz hat einen Nutzen – jedes Zehntelgrad Erwärmung, das vermieden werden kann, sollte vermieden werden. Und: Die Schweiz sollte sich dringend auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten. Sonst wird das Land vom schnellen Wandel überrumpelt.