Als dann am 24. April 2013, morgens um 8 Uhr 57, das Gebäude zusammenbrach, waren trotz allen Warnungen Tausende Angestellte im Haus, mehrheitlich Frauen. Viele von ihnen hatten keine Chance, den Einsturz zu überleben.
Besserung wurde gelobt
Noch bevor die letzten Leichen geborgen worden sind, entbrannte eine Diskussion über die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie im Allgemeinen und in Bangladesh im Speziellen.
Die Bekleidungsindustrie ist der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig des Landes und macht rund 80 Prozent aller Exporte aus. Damit aber Konsumenten im Westen T-Shirts, Socken oder Jeans so günstig wie möglich kaufen konnten, wurden die Arbeitnehmer ausgebeutet. Für etwa 30 Franken im Monat schufteten die Näherinnen unter teilweise prekären Bedingungen.
Schon vor Rana Plaza waren Hunderte Menschen in Fabriken gestorben, immer wieder prangerten NGO die Umstände an. Aber erst nach dem Vorfall schrien auch westliche Politiker und Konsumenten auf. Und die Branche gelobte Besserung: Mehrere Textilfabriken wurden wegen mangelnder Sicherheitsvorschriften geschlossen, neue Sicherheitsstandards eingeführt, höhere Mindestlöhne gefordert und Modeunternehmen verpflichtet, genauer hinzuschauen.
Sicherheit erhöht, Löhne bleiben tief
Was ist von diesen guten Vorsätzen geblieben? Im Mai 2013 wurde ein Abkommen über Brand- und Gebäudesicherheit, der Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh, geschlossen, das seither ausgeweitet und bisher von 200 Firmen unterzeichnet worden ist. Die zuständige Organisation schreibt, in den dazugehörenden Fabriken seien seither 50 000 Inspektionen durchgeführt und 140 000 Sicherheitsprobleme gelöst worden. Gemäss der Schweizer NGO Public Eye haben in der Schweiz unter anderem Coop, Migros, Mammut und Tally Weijl die Vereinbarung unterzeichnet. Bisher darauf verzichtet hätten Chicorée, Manor, Intersport und Zebra.
Allerdings fokussiert sich der Akkord lediglich auf die Gebäude. Die Personen, die darin arbeiten, werden dadurch kaum geschützt. Human Rights Watch (HRW) berichtete 2019 entsprechend, dass sich die Sicherheitsbedingungen in Fabriken zwar gebessert, die Kosten aber nicht von den grossen Modemarken getragen würden. Stattdessen seien diese nach wie vor hauptsächlich daran interessiert, die Preise niedrig und die Produktionsgeschwindigkeit hoch zu halten.
Ähnlich sieht es Public Eye. Die Regierung habe den seit fünf Jahren unveränderten Mindestlohn für die Branche zwar von monatlich 5300 auf 8000 Taka erhöht, knapp 70 Schweizerfranken. Was aber weit unter den Forderungen der Gewerkschaften gelegen habe. Im Herbst steht eine neue Lohnrunde an.
Die Nichtregierungsorganisation Asian Floor Wage hat 2022 berechnet, dass ein existenzsichernder Lohn bei rund 53 000 Taka liegen müsste, etwa 440 Franken.
benfalls kritisiert wird die mangelnde Unterstützung für die Überlebenden und Hinterbliebenen des Rana-Plana-Unglücks. Es gibt ein Abkommen, und bisher sind laut Angaben des Rana Plaza Donors Trust Fund 34 Millionen Dollar an die Geschädigten geflossen. Doch für die Gewerkschaften ist das zu wenig.
Public Eye schreibt in einer Mitteilung, dass im Abkommen nur Entschädigungen für Einkommensverluste abgedeckt werden, nicht jedoch für Schmerzensgeld. Ausserdem basiere «die Berechnung auf dem Armutslohnniveau der Bekleidungsindustrie», heisst es im Communiqué. Um die Missstände zu beheben, fordert die Organisation vom Schweizer Bundesrat gesetzliche Leitplanken für mehr Verantwortung und Transparenz in der Lieferkette. Am Montag hielt sie in Bern eine Mahnwache ab.
Auch juristisch ist der Fall hängig: 2016 wurden 42 Personen wegen Mordes angeklagt, unter ihnen der Gebäudeeigentümer Sohel Rana, der für viele der Hauptverantwortliche der Katastrophe ist. Eine unabhängige Untersuchung kam zu dem Schluss, dass grobe Fahrlässigkeit zum Einsturz des Gebäudes führte. Unter anderem seien minderwertige Baumaterialien verwendet und die vier obersten Stockwerke ohne Erlaubnis gebaut worden. Nach fünfjähriger Pause wurde der Prozess im Frühjahr 2022 wiederaufgenommen. Ausgang offen.