Die Ausrichtung der eigenen Geschäftspraktiken nach Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) werden immer entscheidender. So bewerten beispielsweise immer mehr Anlegerinnen und Anleger bewusst die ESG-Kriterien eines Unternehmens, bevor sie in dieses investieren. In der Schweiz hat sich das Stimmvolk im November 2020 für die Einführung von ESG-Berichtspflichten und Sorgfaltspflichten nach EU-Vorbild entschieden.
Die entsprechende Regelung (Art. 964bis ff. OR) und die Ausführungsbestimmungen sind seit 2022 in Kraft. Zudem hat die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) neue Selbstregulierungen im Bereich Sustainable Finance eingeführt, die für ihre Mitglieder seit dem 1. Januar 2023 verbindlich sind. Sie stehen im Einklang mit den EU-Standards zu ESG in den Bereichen Anlageberatung und Portfoliomanagement.
Warum sind ESG-Kriterien für Lieferanten besonders wichtig?
Erstaunliche 60-90 Prozent des ESG-Fussabdrucks eines Unternehmens stammen von seinen Lieferanten, also von Waren und Dienstleistungen, die ein Unternehmen von anderen Unternehmen bezieht. Wenn die Lieferanten eines Unternehmens die ESG-Standards, die das Unternehmen für sich selbst festgelegt hat, nicht erfüllen, wird das Unternehmen diese ESG-Standards insgesamt auch nicht erfüllen können. Oder aus einer positiven Perspektive betrachtet: Lieferanten mit guten ESG-Standards helfen den Unternehmen weitgehend, ihre eigenen ESG-Standards zu erfüllen.
Mittlerweile haben auch Regierungen erkannt, wie wichtig die Nachhaltigkeit der Lieferanten für sie selbst ist, insbesondere weil sie über eine massive Kaufkraft auf den Märkten verfügen. Allein die zentrale Bundesverwaltung beschaffte 2020 Bauleistungen, Waren und Dienstleistungen im Wert von 7,2 Milliarden Franken. Mit diesem beträchtlichen Beschaffungsvolumen kann der Bund einen wichtigen Beitrag zur Förderung von nachhaltigem Konsum, nachhaltiger Produktion und Innovationen leisten, und das kürzlich revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen ebnet den Weg für mehr Nachhaltigkeit und qualitätsorientierten Wettbewerb.
Lieferanten sind entscheidende Partner für die Nachhaltigkeit
Bei der Auswahl von Lieferanten sollten Unternehmen daher stets die ESG-Verpflichtungen und diesbezüglich Performance ihrer potenziellen Lieferanten bewerten. Die Lieferanten sollten mindestens die gleichen Standards einhalten wie das Unternehmen, das sie einsetzt, oder sogar bessere Standards haben. So sind beispielsweise soziale Belange und die Behandlung von Arbeitnehmenden, die Achtung der Menschenrechte und die Vielfalt in den Unternehmensvorständen zentrale Aspekte in den heutigen ESG-Vorschriften. Daher gehören Diversität, Chancengleichheit und Inklusion (DEI; Diversity, Equity and Inclusion) bei der Auswahl von Lieferanten zu den entscheidende Kriterien, die geprüft werden müssen.
Lieferkette und Lieferantenvielfalt
Ein Aspekt, den viele Unternehmen bei der Bewertung von Lieferanten im Lichte von DEI vielleicht noch nicht im Blick haben, sind die Eigentumsverhältnisse und das Management. Eine Definition von «divers-owned business» ist, dass mehr als 51 Prozent eines Unternehmens von unterrepräsentierten Gruppen wie LGBTIQ+-Personen, Frauen, ethnischen Minderheiten oder Menschen mit Beeinträchtigungen gehalten oder kontrolliert werden. Um solche Unternehmen zu finden, können Institutionen helfen, die Netzwerke für solche Unternehmen schaffen. In Europa gibt es beispielsweise die European Gay & Lesbian Chamber of Commerce (EGLCC), das European Supplier Diversity Project (ESDP), den Verband für Unternehmen im Besitz von Frauen (WEConnect International), die britische Organisation für Minority Owned Businesses (MSDUK) oder das Swiss Business + Disability Network (SBDN).
Wertschöpfung durch Lieferantenvielfalt
Wie mehrere Studien gezeigt haben, wirkt sich DEI unter anderem positiv auf das Engagement und die Bindung der Mitarbeitenden, die Innovation und letztendlich auch auf die Kundenzufriedenheit aus. DEI ist ein entscheidender Faktor, um den Wettbewerb voranzutreiben, die besten Talente einzustellen und den Kunden den besten Wert zu liefern. Und eine bessere Mitarbeiterbindung durch DEI wird langfristig auch die Kosten senken.
Die Wahl von Lieferanten, die DEI ernst nehmen, wirkt sich aber auch positiv auf die Schaffung von Chancengleichheit aus und verbessert die Marke und das Image eines Unternehmens. Unternehmen, die Diversität innerhalb der Eigentumsverhältnisse zeigen, stellen mehr Minderheiten ein, pflegen im Allgemeinen bessere Beziehungen zu ihren Mitarbeitern und zahlen faire und höhere Löhne.

Matthias Ebneter, Legal Department Manager und Pride@SAP Switzerland Lead, SAP (Schweiz) AG