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Johanna Gollnhofer zeigt auf, wie Marketing für «grünen» Konsum funktioniert. Foto: PD

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Gesellschaft

«Lust auf nachhaltige Produkte machen»

Warum fällt es so schwer, die breite Mehrheit der Bevölkerung für eine Änderung ihres Konsumverhaltens zu gewinnen? Und worauf sollten Unternehmen achten? Antworten gibt Johanna Gollnhofer, Marketing-Professorin an der Universität St. Gallen.

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«Lust auf nachhaltige Produkte machen»

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Viele Menschen finden Nachhaltigkeit richtig und wichtig. Am Einkaufsregal greifen sie dann aber doch zu konventionellen Produkten. Woran liegt das?

Johanna Gollnhofer: Was Sie hier ansprechen, ist die berühmte «Attitude Behavior Gap»: Einstellung und tatsächliches Verhalten klaffen auseinander. Wir sehen das deutlich bei Befragungen: Viele Menschen geben zu Protokoll, dass sie Nachhaltigkeit und «grünen» Konsum positiv finden und für Umweltschutz eintreten. Andererseits zeigt sich, dass trotz Klimawandel weder der Fleischkonsum noch die Zahl der Flugreisen zurückgegangen ist. Im Gegenteil.

Ist den Konsumentinnen und Konsumenten möglicherweise nicht ganz klar, was Nachhaltigkeit bedeutet?

Die Sache ist ja auch gar nicht so einfach. Nur ein Beispiel: Was ist nachhaltiger – eine Gurke, die in Plastik eingeschweisst ist, oder eine Gurke ohne Plastikverpackung? Nun, wer möglichst wenig Mikroplastik in den Meeren haben möchte, ist davon überzeugt, dass er sich nachhaltig verhält, wenn er die Gurke ohne Plastikverpackung kauft. Wer aber die Lebensmittelverschwendung nachhaltig reduzieren möchte, der nimmt lieber die in Plastik eingeschweisste Gurke, denn die hält sich länger. Schon bei dieser Frage deutet sich an, wie komplex das Thema ist. Auch die Experten sind sich nicht einig. Und wenn nicht einmal die Fachleute sich einig sind, wie können wir dann von den Endkonsumentinnen und -konsumenten erwarten, dass sie genau Bescheid wissen und beim Einkauf die richtige Entscheidung treffen?

Konsumentinnen und Konsumenten sind sicher nicht über einen Kamm zu scheren. Wo sehen Sie Unterschiede?

Wir unterscheiden zwischen drei Gruppen. Die erste nenne ich die «Öko- Fans», sie machen ungefähr 20 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten aus. Sie sind bereits überzeugt von nachhaltigen Produkten und kaufen alles ein, was nach Bio oder Nachhaltigkeit aussieht. Dann gibt es noch die gegenteilige Gruppe, die sich überhaupt nicht für Nachhaltigkeit interessiert – das sind ebenfalls etwa 20 Prozent. Die übrigen 60 Prozent machen die sogenannte breite Masse aus. Sie wären gerne nachhaltig, aber wissen nicht genau, wie. Diese gilt es zu erreichen.

«Der erhobene Zeigefinger kommt ganz schlecht an.»

Es geht Ihnen, wie Sie in Ihrem Buch «Das 60%-Potenzial» schreiben, um eine «grüne Transformation» – auch beim Kaufverhalten. Wie kann das gelingen?

Hier kommt für mich die Magie des Marketings ins Spiel. Sie kann viel zur grünen Transformation beitragen. Die zentrale Aufgabe lautet: Wir müssen der breiten Masse Lust auf umweltund ressourcenschonendere Produkte machen und zugleich negative Assoziationen loswerden.

Was meinen Sie genau?

Ein Beispiel: Steht auf einer Cookie- Verpackung «vegan» geschrieben, dann möchten das die meisten nicht kaufen, weil sie mit «vegan» unter anderem Verzicht in Verbindung bringen. Das Cookie an sich wollen sie aber haben, um sich etwas zu gönnen. Das passt dann nicht zusammen. Das Gleiche gilt für Produkte, auf denen «nachhaltig» steht – damit lässt sich bei der breiten Masse nicht viel gewinnen.

Welche Rolle kann das Marketing hier spielen? Seine Aufgabe ist es doch, den Konsum zu beflügeln – was im Zweifel zulasten der Umwelt geht.

Grundidee des Marketings ist, zu verkaufen. Das gelingt, indem man auf die Bedürfnisse der Konsumenten eingeht – oder neue Bedürfnisse schafft, die vorher höchstens latent vorhanden waren. Wie das funktioniert, macht Apple vor. Das Unternehmen redet uns alle zwei Jahre ein, dass wir unbedingt ein neues Smartphone brauchen. Das ist jedoch alles andere als ressourcenschonend. Es belastet die Umwelt zusätzlich. Deshalb treibt uns seit ein paar Jahren die Frage um: Was ist die Rolle von Marketing in einer nachhaltigen Gesellschaft? Der grösste Hebel, den wir schaffen können, ist, die Endkonsumentinnen und -konsumenten für nachhaltigere Alternativen zu begeistern.

Wie kann das funktionieren?

Es geht in erster Linie um Akzeptanz. Ein guter Ansatzpunkt wäre schon mal, in der Werbung für nachhaltige Produkte auf Negativbilder wie den sterbenden Eisbären und auf Aussagen wie «Wir haben nur eine Welt» zu verzichten. Die wirken kontraproduktiv, ebenso wie Appelle nach dem Muster «Lasst uns den Planeten retten!» Eine solche Kommunikation für nachhaltige Produkte spricht zwar Öko-Fans an, nicht aber die breite Masse. Die denkt sich: «Ich will nicht die Welt verändern, ich habe selbst genug Probleme.» Im Übrigen will sich auch niemand gerne etwas vorschreiben oder verbieten lassen. Der erhobene Zeigefinger kommt ganz schlecht an.

Was ist nachhaltiger: Die Gurke mit oder ohne Plastikverpackung zu kaufen? Die Grafik stammt aus dem Buch «Das 60%-Potenzial: Mit Marketing für grünen Konsum begeistern» von Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann, Campus Verlag, 2024. Foto: PD

Foto: PD

Was ist nachhaltiger: Die Gurke mit oder ohne Plastikverpackung zu kaufen? Die Grafik stammt aus dem Buch «Das 60%-Potenzial: Mit Marketing für grünen Konsum begeistern» von Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann, Campus Verlag, 2024.

Womit kann man denn eher bei Konsumenten punkten?

Wie wir wissen, rangiert Nachhaltigkeit bei den Kaufkriterien erst an vierter, fünfter Stelle. Entscheidender sind der Preis, die Qualität und der persönliche Lifestyle. Wir müssen die Konsumenten deshalb anders abholen – indem wir gezielt auf diese Kriterien eingehen. Viele Unternehmen tun sich schwer damit: Sie wissen zwar, dass sie mehr Akzeptanz für grüne Produkte schaffen müssen, geraten dabei aber in die Öko-Falle: Sie wählen für ihre Produkte oftmals grüne, blaue oder braune Farbtöne, welche für die Umwelt stehen sollen. Das mag Öko-Fans ansprechen, die breite Masse lockt man damit nicht. Die sagt sich: «Ich möchte ein Produkt, das zu mir passt, das auch ästhetisch ansprechend ist.»

Haben Sie ein Beispiel?

Spannend ist das Beispiel Magnum. Die Glace-Marke hat erst einmal 20 Jahre investiert, um ihre Eiscreme mit Vanillegeschmack vegan herzustellen. Zuerst hat man das Produkt in den typisch grünen Farben samt dem Schriftzug «vegan» kommuniziert, welches die Öko-Fans anspricht, nicht aber die breite Masse. Also wurde die Kommunikation umgestellt: Das Grün verschwand und wurde durch ein leuchtendes Violett ersetzt. Ausserdem rückte der Schriftzug «vegan» in den Hintergrund. In den Vordergrund trat dafür das Erlebnis, das ich mit einem «Magnum» auf der Zunge spüre.

Können Sie uns auch ein interessantes Beispiel aus der Schweiz nennen?

Nehmen wir Weleda. Die DNA des Unternehmens ist seit jeher ausgeprägt grün und nachhaltig. Als der Umsatz mit Naturkosmetikprodukten nicht mehr so gut lief, wurde das Führungsteam ausgetauscht und durch Leitungspersönlichkeiten, die von Douglas und Nivea kamen, ersetzt. Diese beiden Marken stehen für Produkte, die die breite Masse ansprechen. Das sieht man nun auch in der Kommunikation von Weleda, die zuvor schon etwas angestaubt war. Jetzt werden die Produkte auf TikTok und in Zusammenarbeit mit Influencern lifestyliger kommuniziert, ausgerichtet an den Erwartungen der Konsumenten und weniger an einer bestimmten Ideologie.

Was raten Sie Entscheidungspersonen in Unternehmen ausserdem?

Heutzutage sieht man viele Unternehmen, die ihre Ziele zum Absatz nachhaltiger Produkte revidieren oder wieder zurückschrauben. Es fehle dafür schlicht die Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten, heisst es dann. Solchen Unternehmen rate ich, stärker das «60%-Potenzial» ins Visier zu nehmen und ihr Businessmodell zu überdenken. Und das beginnt schon bei der Preissetzung. Wenn jemand aus der Konsumentengruppe der 60 Prozent im Laden Tofuwürste in der einen Hand hält und St. Galler in der anderen, wird er sich, wenn das Fleisch günstiger ist, für das Fleischprodukt entscheiden. Aus Umfragen geht hervor, dass Menschen zu einem 50-prozentigen Preisaufschlag für nachhaltige Produkte bereit sind. Das deckt sich nur leider nicht mit der Realität.

Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

12 - Verantwortungvoller Konsum und Produktion
13 - Massnahmen zum Klimaschutz

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