Gang über zweihundert Jahre alten Schnee
Zu Beginn der Saison prüfen Bergführer die Routen mit Sonden, um sicherzustellen, dass die Schneeschicht über den Spalten trägt. «Eineinhalb Meter Pulverschnee oder ein halber Meter verfestigter Altschnee reichen aus, um alle sicher hinüberzubringen», erklärt Michael Schwarzl. Das Eis unter unseren Füssen ist zwischen zehn und fünfzig Jahre alt. Würde man bis zum Grund bohren, fände man Eis, das hundert bis zweihundert Jahre alt ist.
Bald hört man nur noch das Knirschen der Schneeschuhe im gleichmässigen Takt der Dreierseilschaft. Zwischen zwei eng stehenden, meterhohen Eistürmen, die wie polierter Marmor in blassen Grüntönen schimmern, verblasst der Trubel der Skipiste.
Schritte, das Klacken der Stöcke, marmorierte Eisklippen in blaugrünem Pastell – das ist Entschleunigung. Auf einem Kamm, wo das Eis senkrecht abfällt, hält Michael Schwarzl an. Die meisten Touristen, die er hierherführt, sagen, «sie wollen den Gletscher noch erleben». Michael Schwarzl greift in seinen Rucksack und holt heissen Tee hervor.
Ein Stück des Gletschers ist längst verschwunden. Schon kurz nach dem Einstieg in die Spielbodenbahn überquert die Gondel die gewaltige Endmoräne, die der Feegletscher einst aufgetürmt hat. Heute ragen dort Geröll und Bäume aus dem Schnee. Eis gibt es hier keines mehr. In den 1850er Jahren erreichte der Gletscher bei seinem letzten grossen Vorstoss den Talboden.
Damals stiegen die Leute nicht zum Vergnügen auf den Gletscher. Nur wer Eis für den Sommer einlagern wollte, wagte sich hinauf. «Siehst du das Holzkreuz dort drüben?», fragt Michael Schwarzl. «Man fand es 1968 bei Bauarbeiten für die Felskinn-Bahn. Die Bauern hatten es aufgestellt, weil sie Angst hatten, der Gletscher könnte noch näher an den Ort rücken», sagt der Bergführer beim Start der Gondel zur Bergfahrt.
Trotz Schneedepots und Beschneiung: Pisten müssen aufgegeben werden
Während die Lifte Skifahrer, Snowboarder und Winterwanderer auf die Berge bringen, bleibt Ingemar Supersaxo, Gemeinderat von Saas-Fee, optimistisch: «Auch in fünfzig Jahren wird man auf dem Feegletscher Ski fahren – zumindest im Winter. Wir arbeiten mit dem, was wir haben, und schaffen Übergänge, wo das Eis sie nicht mehr bietet. Höher und weiter zurück können wir nicht.» Der Aufwand wächst jedoch jedes Jahr. «Manchmal fragen wir uns, welche Massnahmen noch sinnvoll sind. Bauen wir Stahlkonstruktionen, die im Sommer die Landschaft verschandeln? Sprengen wir Fels? Im Moment beschneien wir bis zum Gletscherrand und arbeiten mit Schneedepots.» Fünf solcher Depots gibt es bereits, weitere könnten folgen. Einige Pisten wurden aufgegeben, weil Übergänge fehlen und der Aufwand, sie jedes Jahr neu herzurichten, zu gross wäre. Schneemangel und Gletscherrückgang greifen ineinander.
Der Feegletscher umfasst noch knapp 570 Millionen Kubikmeter Eis. Klingt beeindruckend, ist es aber nicht. 2015 betrug die durchschnittliche Dicke 41 Meter – «wenig für einen Gletscher dieser Grösse», sagt der Glaziologe Matthias Huss von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Was grossteils daran liegt, dass der Gletscher sich auf eine breite Flanke verteilt und steil abfällt. Am tiefsten ist das Eis unterhalb des Mittelallalin, bis zu 160 Meter. «Seit 1850 hat der Feegletscher ein Drittel seiner Fläche verloren», sagt Matthias Huss, der das Schweizer Gletschermessnetz Glasmos leitet. Im Vergleich zu anderen Alpengletschern sei das wenig, weil der Feegletscher steil sei und in grosse Höhen reiche. «Das hilft ihm, sich besser an ein wärmeres Klima anzupassen. Dennoch wird er sich bis 2100 weit zurückziehen. Eis bleibt dann nur noch im oberen Bereich.»