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Blick auf den Fieschergletscher im Kanton Wallis, von der Märjelenalp aus gesehen (1928 und 2021).
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Blick auf den Fieschergletscher im Kanton Wallis, von der Märjelenalp aus gesehen (1928 und 2021). Bilder Swisstopo, ETH Zürich

Klima & Energie

Verlust der Gletscher: Schon in wenigen Jahrzehnten erreicht der Schwund seinen Höhepunkt

Bis zum Jahr 2100 wird die Erde mindestens die Hälfte ihrer Eiszungen verloren haben. In den Alpen werde das schon bis 2045 passieren, heisst es in einer Studie unter Leitung der ETH Zürich.

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Verlust der Gletscher: Schon in wenigen Jahrzehnten erreicht der Schwund seinen Höhepunkt

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Weltweit gibt es heute mehr als 200 000 Gletscher. Doch mindestens die Hälfte von ihnen wird im Zuge der Erderwärmung bis zum Jahr 2100 komplett abschmelzen. Wie dieser Schwund im Detail ablaufen könnte, hat jetzt ein Forscherteam unter Leitung der ETH Zürich untersucht.

Den stärksten Rückgang der Anzahl Gletscher erwarten die Wissenschafter für die Mitte des 21. Jahrhunderts. Die genauen Zahlen hingen stark davon ab, wie schnell sich die Erde erwärme, berichten sie im Wissenschaftsmagazin «Nature Climate Change».

Steigt die globale Mitteltemperatur bis 2100 um 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau, erreicht der Schwund sein Maximum bereits um das Jahr 2041 herum. Dann wird die Erde pro Jahr etwa 2000 Gletscher verlieren.

Bei einem pessimistischen Szenario mit einer Erwärmung um 4 Grad hingegen nimmt der Verlust noch grössere Ausmasse an. Dann ist sogar mit einem jährlichen Schwund von bis zu 4000 Eiszungen zu rechnen, darunter auch grössere. Darum dauert es länger, bis es zum Maximum kommt – nämlich erst um das Jahr 2055 herum.

Ende des 21. Jahrhunderts werden – je nach Erwärmung – zwischen 18 000 und 100 000 Gletscher auf der Erde übrig sein. Die reale Entwicklung dürfte irgendwo in der Mitte zwischen den beiden extremen Szenarien verlaufen. Entscheidend für den tatsächlichen Rückgang ist der zukünftige Ausstoss von Treibhausgasen, vor allem aus der Verbrennung fossiler Treibstoffe.

In den nächsten beiden Jahrzehnten verschwindet die Hälfte

Wie schnell die Gletscher schrumpfen, unterscheidet sich je nach Region. In den Alpen geht in den kommenden beiden Jahrzehnten schon mehr als die Hälfte der Eiszungen verloren. Ähnlich sieht es in den Rocky Mountains, im Kaukasus, in Afrika und im äquatornahen Teil der Anden aus. All diese Regionen beherbergen vorwiegend kleine Gletscher, die besonders rasch auf Klimaänderungen reagieren.

In den Hochgebirgen Zentralasiens schwinden die meisten Eiszungen erst später – nicht zuletzt deshalb, weil sie grösser sind.

Der Gletscherschwund läuft je nach Region verschieden ab

NZZ / svt.

Quelle: Van Tricht et al. (Science, 2025)

Um den Rückgang der Anzahl Gletscher zu berechnen, stützten sich die Forscher auf frühere Berechnungen. In jenen Studien waren Klimamodelle mit drei globalen Gletschermodellen verknüpft worden.

Frühere Studien zu den weltweiten Gletschern konzentrierten sich in der Regel auf den Rückgang der Eismasse oder der Eisfläche. Die neue Untersuchung fokussierte sich hingegen darauf, wann die einzelnen Gletscher komplett abschmelzen werden. Neben Forschern von der ETH Zürich wirkten auch Fachleute von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft und von der Vrije Universiteit Brussel daran mit.

Die Studie sei weniger naturwissenschaftlich motiviert, sondern habe eher einen gesellschaftlichen Hintergrund, wie die Autoren schreiben. Zu wissen, wo und wann einzelne Gletscher verschwänden, sei nicht nur aus touristischer Sicht wichtig. Gletscher besässen auch eine tiefe kulturelle, historische und symbolische Bedeutung. Sie hätten viele Kulturen zu Geschichten, Ritualen und Legenden inspiriert.

In den vergangenen Jahren wurden bereits Trauerfeiern für zerronnene Eiszungen wie den Pizolgletscher veranstaltet, auch gibt es inzwischen Gedenkstätten und Gletscherfriedhöfe. Auf diese Weise werde der Gletscherschwund von einem wissenschaftlichen Problem zu einer menschlichen Geschichte über verschwindende Landschaften, aussterbende Traditionen und gestörte Alltagsroutinen, schreiben die Autoren.

Für die Menge an Schmelzwasser und für den Meeresspiegel hingegen sei die Zahl der verlorenen Gletscher nicht so relevant, sagt Matthias Huss von der ETH Zürich, einer der Autoren. Verschwänden sehr viele Gletscher, müsse das nicht heissen, dass das gesamte Eisvolumen schon gegen null gehe. Zurzeit gingen vor allem die kleinen Gletscher verloren, erklärt der Glaziologe. Die grossen kämen erst später im Jahrhundert dran.

Sven Titz, «Neue Zürcher Zeitung» (15.12.2025)

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Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

13 - Massnahmen zum Klimaschutz

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