Im klimapolitischen Jargon nennt sich das «carbon farming». Gelingen soll das unter anderem durch die Wiederherstellung von Böden und den Aufbau von Humus. Auch sollen Emissionen durch die gängige Bodenbewirtschaftung verringert werden, indem unter anderem der Anbau von bodenbedeckenden Kulturen oder ein geringerer Einsatz von Düngemitteln gefördert wird.
Europäische Politiker versprechen sich viel davon. Nicht nur für den Klimaschutz. Sondern auch für die dringende Aufgabe, so kurz vor den europäischen Wahlen Landwirte für ihre Politik zu gewinnen. In den vergangenen Wochen flammten in Brüssel, Berlin und anderen europäischen Hauptstädten immer wieder Proteste auf. Noch fliegen den Politikern eher Gülle und Frust zu als Applaus.
Landwirte und Forscher zeigen sich im Gespräch noch skeptisch, ob das «carbon farming» wirklich so viel hergibt, wie man sich in Brüssel davon verspricht. Gleichzeitig bedeutet das nicht, dass sich alle Landwirte gegenüber neuen, nachhaltigen Praktiken und zusätzlichen Einkommensquellen grundsätzlich sperren. Im Gegenteil.
Der Boden für die Zukunft
André Kückmann aus dem Münsterland fing schon vor rund 20 Jahren an, sich mit dem Bodenzustand auf dem landwirtschaftlichen Betrieb seiner Familie zu beschäftigen. Damals kämpfte sie mit Erosion, der Ackerboden wurde abgespült. Kückmann, der in diesem Jahr 47 Jahre alt wird, beschloss, auf den Pflug zu verzichten. Der Boden konnte die schweren Maschinen besser tragen, speicherte mehr Wasser, und die Nährstoffverfügbarkeit verbesserte sich auch, wie er sagt. Man hält seitdem an dieser Arbeitsweise fest.
Heute ist er Teil einer staatlich geförderten Initiative, um den Humusaufbau und somit auch die Kohlenstoffspeicherung in deutschen Ackerböden zu fördern. Das sogenannte Humus-Klima-Netz wird unter anderem vom Deutschen Bauernverband und vom Landwirtschaftsministerium organisiert. Laut einer Erhebung des Thünen-Instituts auf mehr als 3000 Standorten werden in Deutschland unter landwirtschaftlichen Böden rund 2,5 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Wie sich dieser Vorrat künftig entwickelt, ist jedoch unklar. Ob er zum Klimaschutz beiträgt oder Emissionen verursacht, hängt von vielen Einflussfaktoren ab.
«Das ist ja alles nicht so einfach», sagt auch Kückmann. Dazu gehört allein schon die Herausforderung, die erzielte Kohlenstoffspeicherung zuverlässig zu messen und Zertifikate herzustellen. Es stellt sich auch die Frage, wie lange CO2 zusätzlich gespeichert werden kann. Humus könne sich beispielsweise durch Hitze wieder abbauen, sagt er. Die grösste Herausforderung sehe er aber in der Entwicklung eines nachhaltigen Geschäftsmodells.
Geschäftstüchtige Landwirte könnten das System ausnutzen, indem sie etwa den Humus auf heruntergewirtschafteten Flächen mit organischem Dünger aufbauen und so die Kohlenstoffspeicherung stark ankurbeln – dafür aber andere Flächen vernachlässigen. Ob die Klimarechnung so aufgeht, ist zweifelhaft. Auch Forscher warnen vor einem Verlagerungseffekt. Der Düngereinsatz könnte zudem zusätzliche Emissionen schaffen, unter anderem Lachgas.
Fest steht auch: Für Landwirte wie Kückmann, der schon vor Jahren mit dem Humusaufbau angefangen habe, sei durch die Vergabe von CO2-Zertifikaten finanziell weit weniger zu holen als für diejenigen Betriebe, die noch ganz am Anfang stünden. Er könne im Vergleich einfach weniger zusätzliches CO2 binden.
Klimafreundliche Landwirtschaft braucht Zeit
Die Umstellung eines landwirtschaftlichen Betriebs nimmt Jahre in Anspruch und erfordert eigenen Antrieb, zusätzlichen Aufwand, Geduld und Geld. Es habe rund zehn Jahre gedauert, bis er habe sicherstellen können, dass der Ertrag aufgrund der neuen Praxis nicht eingebrochen, sondern stabil geblieben sei, sagt Kückmann. 2019 ist der Betrieb ganz auf ökologische Landwirtschaft umgestiegen.
Früher haben Schweine das Kerngeschäft ausgemacht, heute gibt es noch ein paar Tiere auf dem Bauernhof. Das wichtigste Standbein sind nun eine Biogasanlage sowie der damit einhergehende Ackerbau. Es werden unter anderem Wickroggen, Weizen und Gerste angebaut, zudem gehören noch Luzernegras, Körnermais, Erbsen und Bohnen dazu. Auch Ferienwohnungen sind ein wichtiges Standbein.
Heute beschäftigt Kückmann sich mehr mit dem Boden, besucht Kurse und lernt von anderen Landwirten. Die Dürrejahre zwischen 2020 und 2022 hätten ihm einen weiteren Motivationsschub gegeben, sich und den Betrieb für die Zukunft zu wappnen. Zu der Zeit hätten einige Nachbarbetriebe, nur rund 5 bis 10 Kilometer entfernt, mit Wasserknappheit und Einbrüchen bei den Maisernten gekämpft, so Kückmann. «Bevor wir auch da hinkommen, dass unser Boden durch Erosion und Klimawandel degradiert, kümmere ich mich jetzt darum, Humus zu bewahren und aufzubauen.»
Das zeigt auch: Während Politiker vor allem auf die Kohlenstoffentnahme abzielen, ist sie für Landwirte nicht der ausschlaggebende Grund, den Humusaufbau zu fördern. Kückmann sagt: «Für uns Landwirte ist der grösste Wert, dass wir die Fruchtbarkeit unserer Böden bewahren. Wenn das im gleichen Zug auch noch den Nebeneffekt hat, Kohlenstoff zu verfestigen, und wir irgendwann auch noch etwas dafür bezahlt und gefördert bekommen, sind für uns zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.»
Der Forscher zeigt sich skeptisch
Axel Don sieht es ähnlich. Er sagt, der Klimaschutz sei ein Nebeneffekt des Humusaufbaus. Der stellvertretende Leiter für Agrarklimaschutz am Thünen-Institut kann über den jüngsten klimapolitischen Vorstoss aus Brüssel nur den Kopf schütteln. Die «carbon farming»-Initiative sei «problematisch», sagt er. Der Grund? Der Fokus auf die Kohlenstoffbindung sei zu eng – und das habe negative Folgen für die grössere Aufgabe, die Landwirtschaft insgesamt nachhaltiger zu gestalten.
«Es wird nicht gesehen, dass Landwirtschaft ein komplexes System ist und sehr verschiedene Leistungen erbringen muss, nicht zuletzt unsere Ernährungssicherung», sagt er unverblümt im Gespräch. Er habe das immer wieder versucht den Beamten in Brüssel klarzumachen. Ohne Erfolg.
Wie aber steht es um den Klimaschutz? Auch hier ist Don bemüht, die hohen Erwartungen an zusätzliche CO2-Entnahme durch Böden zu mässigen. «Wo soll die Senke herkommen?», sagt er im Gespräch.
Schon jetzt bestehe in der Landwirtschaft und auf den Äckern Europas eher die Tendenz, Humus zu verlieren. Der Klimawandel spiele da eine Rolle, die landwirtschaftliche Bewirtschaftung auch wie auch andere Faktoren, die man noch untersuchen müsse. Angesichts dieser Entwicklung sollte es also erst einmal darum gehen, den Verlust von Bodenkohlenstoff zu mindern. Allein dafür sei der Aufwand schon «enorm».
Er macht sich Sorgen, dass der Fokus auf den Klimaschutz und die Kohlenstoffbindung absurde Anreize setzt. So könne man zwar Pflanzenkohle in grossen Mengen produzieren und lagern, um CO2 zu speichern. Das sei aber wahnsinnig teuer. Und es würde auch nicht dabei helfen, die Landwirtschaft langfristig nachhaltiger und widerstandsfähiger aufzustellen.
Gleichzeitig sind Verlagerungseffekte eine Herausforderung – auf den Ackern in Deutschland wie auch weltweit. Wenn der Humusaufbau dazu führe, dass Erträge sänken, müssten Lebensmittel am Ende noch importiert werden – und Emissionen gleich mit.
Er schlägt vor: Anstatt die Menge CO2 zu zertifizieren, sollten Massnahmen gefördert werden, welche die Widerstandsfähigkeit und die Fruchtbarkeit der Böden stärken. Das würde jedoch den Blick von der CO2-Kompensation wegführen, und dies zu einer Zeit, in der Politiker sich darauf eingeschossen haben.
Die Gefahr, so Don, sei doch, «dass wir irgendwann nicht mehr fragen können: Was ist insgesamt sinnvoll, nicht nur für den Klimaschutz?» Auf einer negativen Note möchte er dennoch nicht enden. Es gebe ja auch etwas Positives. Heute werde wieder über die Wichtigkeit von Böden und von Humus für die Landwirtschaft gesprochen. Das sei jahrelang nicht der Fall gewesen.