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Pestizidfrei als neuer Weg für die Landwirtschaft

Eine pestizidfreie Landwirtschaft ist auch ohne Umstellung auf Bio möglich. Robert Finger erklärt die Vorteile und Herausforderungen.

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Pestizidfrei als neuer Weg für die Landwirtschaft

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In der europäischen Landwirtschaft gewinnt ein neuer Ansatz an Bedeutung: ein «dritter Weg» zwischen konventioneller Produktion und Biolandbau, bei dem die Bäuerinnen und Bauern auf synthetische Pestizide verzichten, aber nur auf diese. Das ist für die Landwirte einfacher umzusetzen als komplett auf Bio umzustellen. Gleichzeitig lassen sich damit die ehrgeizigen Ziele, die sich die Schweiz und Europa in Sachen nachhaltigerem Pflanzenschutz gesetzt haben, erreichen. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist nämlich oft mit erheblichen Risiken für die Umwelt, die Biodiversität und die menschliche Gesundheit verbunden.

Pestizidfreie Produktionssysteme bieten den Landwirten mehr Flexibilität als eine Umstellung auf Biolandbau. So ist es bei den neu entstandenen Initiativen zur pestizidfreien Produktion möglich, nur bei einigen Kulturen auf dem Betrieb auf Pflanzenschutzmittel zu verzichten, diese bei anderen Kulturen aber weiter zu verwenden. Eine vollständige Umstellung auf Biolandbau hingegen ist für die Bäuerinnen und Bauern oft mit grossen Hürden verbunden, da der gesamte Betrieb umgestellt werden muss. Zudem müssen Biobetriebe nicht nur auf synthetische Pflanzenschutzmittel, sondern unter anderem auch auf Kunstdünger verzichten, was zu Ertragseinbussen führt.

In den vergangenen Jahren wurden pestizidfreie Produktionssysteme in Europa zunehmend durch öffentliche und private Initiativen eingeführt. So entschädigen staatliche Agrarumweltprogramme in der Schweiz und in Deutschland seit 2023 die Bauern für den Verzicht auf synthetische Pflanzenschutzmittel. Schweizer Landwirte erhalten neu für eine pestizidfreie Produktion vom Bund zwischen 650 (zum Beispiel Getreide) und 1400 Franken (zum Beispiel Raps) pro Hektare als Direktzahlung.

Seit 2019 gibt es ein Programm von IP Suisse, bei dem Landwirte für pestizidfrei produziertes Brotgetreide einen Preisaufschlag von rund 30 Prozent gegenüber konventionellem Brotgetreide erhalten. Ähnliche Initiativen gibt es auch in Deutschland. Ausserdem entstehen in Europa Pestizidfrei-​Labels, etwa «cultivé sans pesticides» für Tomaten in Frankreich. Diese Programme ermöglichen es Landwirten, sich mit der klaren Botschaft «keine Pestizide» an die Konsumenten und politischen Entscheidungsträger zu richten.

Kombination von Ansätzen

Wir haben die verschiedenen europäischen Programme und Initiativen in einer neuen Studie untersucht. Es zeigt sich, dass Landwirte verschiedene Ansätze kombinieren, um Pflanzenschutzmittel zu ersetzen:  Zum Beispiel verwenden sie resistente Sorten, bekämpfen Unkraut mechanisch und passen Fruchtfolgen an, also welche Kulturen in welcher Abfolge angebaut werden. Dennoch führt die pestizidfreie Produktion zu geringeren Erträgen im Vergleich zur konventionellen Produktion. Die Erträge sind jedoch höher als im Biolandbau, zum Beispiel weil Kunstdünger eingesetzt werden darf.

Zum Autor

Robert Finger ist Professor für Agrarökonomie und Agrarpolitik und Vorsitzender des World Food System Center an der ETH Zürich.

Eine Umstellung auf pestizidfreie Produktion ist aber ohne Unterstützung oft noch nicht rentabel. Mit Preisaufschlägen und Flächenzahlungen in öffentlichen und privaten Initiativen wird sie für viele Betriebe finanziell attraktiv. Befragungen bei Schweizer Landwirten zeigen: Es ist von zentraler Bedeutung, dass sie durch die Umstellung auf eine pestizidfreie Produktion wirtschaftlich nicht schlechter gestellt werden. Bauern nehmen die pestizidfreie Produktion zudem oft als riskanter wahr, was einer der Gründe ist, der sie von einer Umstellung abhält.

Schrittweiser Ausbau

Pestizidfreie Produktionssysteme haben mit gezielter Förderung das Potenzial, grossflächig genutzt zu werden und so bestehende Anbausysteme zu ergänzen. Sie bringen Bauern zusätzliche Flexibilität bei der Wahl standortgerechter Produktion und können Schritt für Schritt auch auf andere Teile der Fruchtfolge ausgeweitet werden. Dies kann so einen gangbaren Weg zwischen konventionellem und Biolandbau etablieren, der einen Mehrwert für die Umwelt und Landwirte schafft.

Die Ausweitung der pestizidfreien Produktion birgt aber auch Herausforderungen. Die Definition, was als pestizidfreie Produktion gilt und was nicht, ist noch nicht vollständig harmonisiert. Das erschwert eine einheitliche Kommunikation.5 Die Kennzeichnung pestizidfreier Produktion ist ausserdem mit logistischen Herausforderungen verbunden, da alle Verarbeitungsschritte getrennt werden müssen. Und schliesslich: Sollten dereinst grosse Teile der Bevölkerung mit pestizidfreier Produktion ernährt werden, stellt sich die Frage, inwieweit Preisaufschläge und Flächenzahlungen langfristig aufrechterhalten werden können. Ausserdem müssen die Ertragseinbussen gegenüber der konventionellen Produktion verringert werden. Dazu muss in der Forschung im Zusammenspiel mit Praktikern und der Industrie die Wirksamkeit der Ansätze zum Ersatz von Pflanzenschutzmitteln erhöht und deren Kosten reduziert werden.

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