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Überschwemmung

Bild: Unsplash

Klima & Energie

Die extremen Regenfälle rund ums Mittelmeer zeigen: Unsere Infrastruktur ist nicht für künftige Wetterereignisse ausgelegt

Der Klimawandel hat die heftigen Überschwemmungen in Griechenland und Libyen verstärkt. Aber er ist nicht die einzige Ursache der Katastrophen.

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Von Spanien über Griechenland, Bulgarien und die Türkei bis Libyen: Anfang September richteten extreme Regenfälle dort innert einer Woche verheerende Verwüstungen an. Allein in Libyen wurden bisher fast 4000 Tote gefunden. Weitere 10 000 Menschen werden noch vermisst. In den anderen Ländern gab es insgesamt mehr als 30 Tote. In allen Unglücksgebieten wurden Landschaften, Orte und Infrastruktur zerstört.

Bei Katastrophen diesen Ausmasses wird heutzutage sofort die Frage gestellt, welche Rolle der Klimawandel dabei gespielt hat. Darauf haben Klimaforscherinnen und -forscher der World Weather Attribution Group (WWA) nun eine erste Antwort. Sie haben am Dienstag Ergebnisse von Modellrechnungen publiziert.

Der Klimawandel habe die September-Regenfälle rund ums Mittelmeer tatsächlich verstärkt, sind die Wissenschafterinnen und Wissenschafter überzeugt. Obwohl die Modellrechnungen beachtliche Unsicherheiten aufweisen. «Für die Region Griechenland, Bulgarien und die Türkei haben wir herausgefunden, dass wegen des Klimawandels solch ein Ereignis wie Anfang September bis zu zehnmal wahrscheinlicher wird und dabei bis zu 40 Prozent mehr Regen fallen kann», schreibt das WWA-Team. In dieser Region hatte es vier Tage intensiv geregnet.

In Libyen – wo 24 Stunden lang enorme Wassermassen vom Himmel fielen – hat der Klimawandel solch ein Ereignis sogar um bis zu 50-mal wahrscheinlicher und bis zu 50 Prozent intensiver gemacht.

Für Spanien konnten keine Zahlen berechnet werden. Dort öffnete der Himmel weniger als 24 Stunden seine Schleusen. Für aussagekräftige Analysen benötigen die Forscher jedoch viele Daten, nicht nur über das aktuelle Ereignis, sondern auch aus früheren Jahren. Diese fehlten für eine so kurze, intensive Regenphase in Spanien.

Die Forscher weisen darauf hin, dass solche Extremereignisse auch künftig nicht alle Jahre zu erwarten seien. In der Region Griechenland, Bulgarien, Türkei könnte es allerdings ungefähr alle 10 Jahre dazu kommen, in Zentralgriechenland dagegen nur alle 80 bis 250 Jahre. In Spanien könnte dies alle 40 Jahre auftreten. Die extreme Regenmenge in Libyen sei derart aussergewöhnlich und stark gewesen, dass dort so etwas nur alle 300 bis 600 Jahre zu erwarten sei, schreiben die Expertinnen.

«Das Mittelmeer ist ein Hot Spot für vom Klimawandel befeuerte Katastrophen», betont Friederike Otto vom Imperial College London, eine der Hauptautorinnen der neuen Analyse. Allerdings sei es einfacher, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Hitzewellen und Brände dieses Sommers zu berechnen, als jene auf die Regenfälle.

Auslöser der heftigen und umfangreichen Regenfälle in all den Ländern war eine spezielle Wetterlage. So hatte sich Anfang September ein regional sehr stabiles Hochdruckgebiet mit Zentrum über den Niederlanden gebildet. Das bescherte uns in Mitteleuropa einen sehr warmen September. Am Rand des Hochdruckkeils, sprich in Spanien und Griechenland, kam es zu heftigen Regenfällen.

Zudem hatte sich über dem östlichen Mittelmeer aus dem Tiefdruckgebiet ein sogenannter Medicane, der Sturm «Daniel», entwickelt. Ein Medicane ist ein Wirbelsturm, der über dem Mittelmeer entsteht und in manchen Eigenschaften einem Hurrikan ähnelt.

Der Sturm zog dann über Griechenland nach Libyen. Da das Mittelmeer derzeit um zwei bis drei Grad wärmer ist als gewöhnlich, verdunstet mehr Wasser. Die Sturmwolken konnten somit mehr Feuchtigkeit aufnehmen – und dann als intensive Regenfälle wieder abgeben.

Viele Faktoren machen Regenfälle zur Katastrophe

Doch sowohl die WWA-Gruppe als auch andere Klimaexpertinnen und -Experten betonen in diversen Stellungnahmen, dass keineswegs die extremen Regenfälle allein zu den eingetretenen Katastrophen geführt hätten. Erst in Kombination mit vielen anderen, insbesondere von Menschen beeinflussten Faktoren, seien aus den heftigen Regenfällen die Katastrophen geworden. «Die Anfälligkeit der Menschen und die sich häufenden Katastrophen verschlimmerten die Situation», so die Forscherin Otto gegenüber Journalisten.

So sei es zum Beispiel in Griechenland in den letzten Jahren in der nun hauptsächlich betroffenen Region zu einer fortschreitenden Abholzung und Verstädterung gekommen. Ortschaften liegen in hochwassergefährdeten Gebieten. Funktionierende Entwässerungssysteme fehlen. Nach dem extrem heissen Sommer und den zerstörerischen Waldbränden war das Land darüber hinaus ausgedörrt, und die Hilfskräfte waren überlastet. Somit konnten die plötzlich anfallenden riesigen Wassermassen weder aufgenommen noch kontrolliert abgeleitet werden.

«Nach dem Sturm ‹Daniel› müssen wir unsere gesamte Politik und unsere zivile Infrastruktur überprüfen, um besser auf ein weiteres Ereignis wie dieses in den kommenden Jahren vorbereitet zu sein», sagte der griechische Meteorologe Kostas Lagouvardos an einer Pressekonferenz warnend. Lagouvardos war an der Studie beteiligt.

In Libyen ist die Lage noch komplexer. Durch die Kriegsnarben und die anhaltende politische Instabilität wurde die Infrastruktur offenbar seit Jahren nicht mehr vorschriftsmässig instand gehalten. Eine wichtige Rolle hat auch die Geografie gespielt: Südlich der Stadt Derna mit Tausenden von Toten und Vermissten befindet sich eine Bergregion mit engen Schluchten. Das erhöhte die Kraft der durchrauschenden Wassermassen erheblich. Zwei Dämme brachen. Die Flut ergoss sich in die Stadt hinein und riss Häuser und Bewohner ins Meer. Zudem kam die Flut unglücklicherweise nachts. Und es fehlten Warnsysteme.

Künftig können wegen des Klimawandels an vielen Orten weltweit extreme Regenfälle häufiger auftreten. Daher müssten nun nicht nur die jetzt betroffenen Länder effektive Warnsysteme etablieren und ihre Infrastruktur verbessern und den neuen Gegebenheiten anpassen, fordern Klimaforscher weltweit. Und das nicht erst seit diesem September.

Stephanie Lahrtz, «Neue Zürcher Zeitung» (19.09.2023)

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