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Klima & Energie

Der Ski-Weltcup in der Klimakrise: «In zehn Jahren liegt der Skirennsport auf dem Sterbebett»

Zu viel Wärme, zu wenig Schnee. Vier Exponenten nehmen Stellung zur Zukunft des alpinen Rennsports – die Meinungen gehen diametral auseinander.

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Der Ski-Weltcup in der Klimakrise: «In zehn Jahren liegt der Skirennsport auf dem Sterbebett»

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Der Ski-Weltcup steht fast still – fünf Rennen waren angesetzt an diesem Wochenende, ein einziges findet statt, der Männer-Slalom in Chamonix vom Sonntag. Aber die beiden Männer-Abfahrten in Chamonix: abgesagt wegen zu hoher Temperaturen und zu schlechter Schneeverhältnisse für eine Speed-Disziplin. Die Abfahrt und der Super-G der Frauen in Garmisch-Partenkirchen: abgesagt – zu warm und zu riskant.

Anfang Saison hatte es schon diverse Absagen gegeben, in Zermatt, wegen zu viel Wind; oder in Beaver Creek, wegen Wind und Schnee und Wetter. Es waren die Launen, wie sie altbekannt sind. Aber es ist bemerkenswert, dass den Weltcup-Machern schon in der vermeintlich klassischen Winterzeit Ende Januar, Anfang Februar das Programm in den Händen zerrinnt.

Schickt dieses Wochenende Vorboten der Zukunft, weil das Klima immer noch wärmer und wärmer wird? Ist der Wintersport, wie wir ihn seit Jahren kennen, dem Ende geweiht? Steht der Weltcup-Zirkus vor seinen letzten Vorstellungen?

Vier Exponenten des Skisports nehmen Stellung.

Urs Näpflin, OK-Präsident Lauberhornrennen: «Langfristig mache ich mir grosse Sorgen um den Ski-Weltcup»

«Als Lauberhorn-Veranstalter sind wir quasi schneefallunabhängig, für die Rennen braucht es so oder so Kunstschnee. Naturschnee hat ein kristallines Korn, das sich nur schwer verdichten lässt – deshalb bringst du mit Naturschnee kaum mehr eine Piste hin, die den Weltcup-Anforderungen entspricht. Wir brauchen rund zwei Wochen lang genügend tiefe Temperaturen, um die Piste zu beschneien. Die Faustregel besagt: Wenn das Wasser 4 Grad Celsius warm ist, braucht es eine Aussentemperatur von minus 6 Grad. In den letzten Jahren hatten wir noch nie ein Problem, bis zwei Wochen vor den Rennen fertig zu werden.

Wenig Naturschnee ist für uns nichts Neues. Bevor wir 1996 die Beschneiungsanlage bauten, hatten wir wiederholt Absagen erlebt. Die Anlage war eine Auflage des Ski-Weltverbands FIS, nach dem Motto: ‹Ihr sorgt für eine Beschneiung – oder der Weltcup ist weg.›

Ich sage nicht einfach: ‹Kommt schon gut›, nein, was zur Klimaerwärmung gesagt wird, sind keine Verschwörungstheorien. Langfristig mache ich mir grosse Sorgen um den Ski-Weltcup. Aber wenn es so kommt, dass die Temperaturen über Wochen hinweg kaum unter 0 Grad fallen, sind die fehlenden Weltcup-Rennen in den Bergregionen das kleinste Problem. Da geht es rasch in andere Dimensionen, weil fast alles am Schnee hängt, Gastronomie, Bergbahnen, viele damit verbundene Arbeitsplätze. Und wenn Sie heute, Anfang Februar, auf unser Skigebiet schauen: Ohne Kunstschnee liesse sich auch für Touristen kaum Ski fahren.

Wir Weltcup-Organisatoren können im globalen Kontext nur einen Bruchteil dazu beisteuern, die Entwicklung aufzuhalten – und doch sollten wir möglichst viel tun. Was wir anstreben: dass die ÖV-Benutzung im Ticketpreis inbegriffen ist. Jeder Beitrag ist wichtig. So gesehen fällt es mir schwer, zu verstehen, dass im Ski-Zirkus überall von Nachhaltigkeit geredet wird – aber fürs Training fliegen Fahrerinnen und Fahrer nach Südamerika, und für die Rennen führt sie der Weltcup-Kalender zweimal nach Nordamerika. Es braucht nicht nur nachhaltiges Denken, sondern auch nachhaltiges Handeln.»

Osi Inglin, Leiter Koordination Wettkampforganisation bei Swiss Ski: «Viele TV-Zuschauer sind heute schon Senioren»

«Mittelfristig, also auf die nächsten zehn Jahre hinaus, wird der Weltcup wohl in einem ähnlichen Rahmen durchgeführt werden können wie heute. Das gilt allerdings vor allem für Slalom und Riesenslalom, denn die vergleichsweise kurzen Pisten kann man mit noch mehr Aufwand als heute gut präparieren. Es gibt sicher technische Möglichkeiten, die wir besser nutzen können, bei der Herstellung von Schnee, mit Snowfarming oder bei der Art, wie wir den Schnee am Hang behandeln.

Mehr Probleme sehe ich schon jetzt bei den Speed-Disziplinen, weil die Pisten länger sind und der Aufwand, um diese renntauglich zu präparieren, irgendwann zu gross wird. Es dürfte mehr Fälle geben wie jetzt in Chamonix oder Garmisch-Partenkirchen, wo Ende Januar Rennen abgesagt werden müssen. Statistisch befinden wir uns nun in der kältesten Zeit des Jahres, aber auf diese Statistik kann man sich nicht mehr verlassen. Irgendwann wird man sich fragen müssen, ob traditionelle Veranstalter wie Garmisch noch ihren Platz im Kalender haben.

Es werden immer wieder Alternativen diskutiert, etwa die Verlegung der Rennen in höher gelegene Orte oder eine Verschiebung des Kalenders in den März und April. Ich bin da skeptisch. Wenn wir höher in die Berge gehen, sind wir irgendwann eine reine TV-Sportart, und dann stellt sich die Frage, wie lange man die Bindung an die Zuschauer aufrechterhalten kann. Im Frühling liegt zwar oft mehr Schnee, dessen Qualität ist aber nur bedingt gut genug für Weltcup-Rennen. Ausserdem bin ich nicht überzeugt, dass die Leute in dieser Jahreszeit noch Skirennen schauen wollen.

Der Klimawandel hat auch dazu geführt, dass die Bedingungen für das Training im Sommer und im Herbst immer prekärer werden. Für Weltcup-Athleten kann dies mit grossem Aufwand kompensiert werden, zum Beispiel Trainings in den südlichen Hemisphären. Ich bin aber der Meinung, dass es für den Nachwuchs bis zur U-16-Stufe vor Weihnachten keine Rennen mehr geben sollte. Das nähme den Druck weg, im Oktober und November dem Schnee nachzurennen.

Langfristig wird sich die Situation voraussichtlich noch akzentuieren. Das Interesse dürfte nachlassen, denn viele TV-Zuschauer sind heute schon Senioren. Gleichzeitig wird es aufgrund der sich verändernden Voraussetzungen immer schwieriger, Trainings und Rennen durchzuführen. Ich denke, dass der Skirennsport, wie wir ihn heute kennen, in zehn Jahren auf dem Sterbebett liegt.»

Diego Züger, CEO Commercial bei Swiss Ski: «Ich finde nicht, dass wir mit dem Kopf durch die Wand gehen»

«Ich bin felsenfest überzeugt davon, dass wir auch noch in zehn, zwanzig und dreissig Jahren Weltcup-Rennen haben werden. Swiss Ski entwickelt eine Vision ‹Schneesport 2050›, bei der wir etwa der Frage nachgehen, wie wir unseren Sport dannzumal ausüben werden, unter veränderten klimatischen und sozioökonomischen Bedingungen. Wir arbeiten mit Klimaexperten zusammen, und wir werden uns anpassen müssen, so viel scheint klar, aber sogar in den schlimmsten Szenarien wird es noch ausreichend Schnee haben, auch Naturschnee.

Es wird bestimmt eine Frage der Höhe sein, aber ich kann keine Aussage dazu machen, wie sehr die Weltcup-Rennen 2050 in Adelboden und Wengen mit Zielräumen auf rund 1300 Metern über Meer betroffen sein werden. Der technologische Fortschritt wird uns helfen, die Beschneiungsanlagen werden temperaturunabhängiger und energieeffizienter. Die grössten Herausforderungen werden vor allem in tieferen Regionen liegen, bei kleineren Skigebieten – und wir werden Antworten darauf finden müssen, wie wir die Leute aus diesen Gegenden nicht verlieren.

Marc Gläser, CEO von Stöckli Swiss Sports: «Ich kann mir Stöckli auch ohne Rennsport vorstellen»

«Ich habe keine Angst, dass es den Skisport in zwanzig, dreissig Jahren nicht mehr gibt. 80 Prozent aller Skitage der Welt finden in Skigebieten oberhalb von 1400 oder 1500 Metern über Meer statt. Diese sind in den nächsten dreissig Jahren nicht gefährdet. Sicher wird der Skisport teurer werden, aber Stöckli ist da gut positioniert. Im Premiumbereich kaufen Skifahrer, die nicht ab und zu fahren, sondern für die der Skisport ein grosser Teil ihrer Freizeitgestaltung ist. Wir leiden deshalb nicht, wenn der Gesamtmarkt zurückgeht.

Der Rennsport ist für Stöckli in zweierlei Hinsicht wichtig: Extern, weil man eine hohe Sichtbarkeit generieren kann, wenn die Rennen stattfinden. Der Markenwert ist durch Marco Odermatt wohl um zehn Millionen gestiegen. Aber auch intern hat er eine grosse Bedeutung. Wenn man sieht, wie Rennen um Hundertstel entschieden werden und wie wichtig das Material dafür ist, ist das für die Motivation der Mitarbeitenden Gold wert.

Sollte der Skisport so sehr in Schwierigkeiten geraten, dass wir bei Stöckli wieder unter 60 000 Paar pro Jahr fallen würden, müssten wir unser Rennsport-Engagement den neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten anpassen. Wir müssen Geld verdienen, um zu überleben. Wenn der Rennsport teurer wird und es zu wenig Return on Investment gibt, müssten wir uns fragen, ob wir überhaupt noch im Rennsport tätig sein wollen. Ich kann mir Stöckli auch ohne Rennsport vorstellen, auch wenn das schade wäre. Aber die Frage drängt sich nicht auf, nur weil es im Februar mal ein paar wärmere Tage gibt. Und wir wachsen immer noch: Wir produzieren fast dreimal so viele Ski wie vor zehn Jahren.

Das bedeutet aber nicht, dass unser Rennsport-Engagement mitwächst, dass wir zum Beispiel mehr Athleten unter Vertrag nehmen. Wir wollen so wenig wie möglich, aber immer noch im sinnvollen Rahmen für den Rennsport ausgeben. Ich würde schon gerne auch wieder Podest-Fahrerinnen unter Vertrag haben, aber wir können es uns nicht leisten.

Auf Spitzenniveau werden wir uns sicher mit der Trainingsplanung befassen. Einerseits: In welchem Verhältnis stehen Reisen nach Südamerika? Anderseits wissen wir nicht, wie es mit dem Gletschertraining in Saas-Fee und Zermatt in zwanzig Jahren funktioniert. Ich finde nicht, dass wir mit dem Kopf durch die Wand gehen, wenn wir alles dafür tun, den Weltcup am Leben zu erhalten. Spitzensport ist grundsätzlich mit viel Aufwand verbunden, Winter- und Skisport noch viel mehr, weil er draussen stattfindet. Deshalb bin ich auch kein Befürworter von Weltcup-Rennen in Hallen – nein, dass wir der Natur ausgesetzt sind, macht es gerade aus.

Es wird immer wieder Absagen geben, und ich habe nicht die Erwartungshaltung, dass alles bis ins letzte Detail planbar ist. Aus diesem Wochenende ohne Speed-Rennen müssen wir eben gerade lernen, dass wir beispielsweise Orte bereit haben, die fixe Trainingsstrecken unterhalten und dazu in der Lage sind, die Pisten rasch und mit wenig Aufwand für einen Rennbetrieb zu optimieren.»

Als Privatperson würde ich sagen: Der Weltcup soll ruhig später beginnen. Als Stöckli-CEO und für die Sportindustrie ist es wichtig, dass schon im Oktober Bilder um die Welt gehen, die Lust machen auf Skisport.

Mit dem Material können wir uns an die veränderten Bedingungen der Pisten anpassen. Schon jetzt haben wir rund 13 verschiedene Riesenslalom-Set-ups, weil die Piste für den Starter im ersten Lauf und für den Letzten im zweiten Lauf anders aussieht. Wir haben auch so breite und leichte Ski, dass man damit fast Wasserski fahren könnte. Wir können uns anpassen – aber wenn dann faire Bedingungen nicht mehr gegeben sind und der Erste und der Dreissigste komplett unterschiedliche Bedingungen haben, hört man besser auf.»

Benjamin Steffen, Eva Breitenstein, Remo Geisser, «Neue Zürcher Zeitung» (02.02.2024)

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