Die Vorlage setzt zudem verbindliche Ziele zum Stromverbrauch. Pro Kopf soll er bis 2035 um 13 Prozent gegenüber dem Ausgangsjahr 2000 sinken. Dabei sind die Energieversorger verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre Kunden die Energieeffizienz der elektrischen Anlagen, Geräte und Anwendungen kontinuierlich verbessern.
Produziert werden soll der zusätzliche Strom vor allem auf bereits bestehenden Gebäuden. Die Vorlage sieht dafür diverse Anreize vor: So sollen die Besitzer kleiner Photovoltaikanlagen künftig einen Minimaltarif für den eingespeisten Strom erhalten. Ausserdem können neu lokale Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) gegründet werden. Damit können Private den selbst erzeugten Strom über das öffentliche Netz innerhalb eines Quartiers oder auch einer Gemeinde verkaufen. Die Teilnehmer einer LEG entrichten dabei bloss einen reduzierten Tarif für die Netznutzung. Für neue Gebäude mit einer Fläche von mehr als 300 Quadratmetern gilt überdies eine Solarpflicht.
Auch die Planung und der Bau grösserer Kraftwerke erfahren mit dem neuen Stromgesetz Erleichterungen. So soll bei 16 Wasserkraftprojekten, die im Gesetzestext namentlich aufgeführt werden, in der Interessenabwägung der Stromproduktion der Vorrang gegenüber anderen nationalen Interessen gewährt werden. Es handelt sich dabei um Staumauer-Erhöhungen sowie um Neubauten.
Grosse Windkraft- und Solaranlagen, die in den Wintermonaten viel Strom liefern können, gelten künftig als Anlagen von nationalem Interesse. Auch für sie soll die Planung vereinfacht werden, sofern sie sich in Eignungsgebieten befinden, die zuvor von den Kantonen festgelegt wurden. Diese Projekte müssen jedoch weiterhin einzeln beurteilt und bewilligt werden.
In Biotopen von nationaler Bedeutung und in Wasser- und Zugvogelreservaten bleibt der Bau von Kraftwerken grundsätzlich verboten. Davon ausgenommen sind Energieanlagen, die auf Gletschervorfeldern geplant werden, also dort, wo sich die Gletscher aufgrund der Klimaerwärmung zurückziehen. Zudem sollen Wasserkraftwerke, die insgesamt zur Verbesserung der ökologischen Situation beitragen, ebenfalls in solchen Biotopen errichtet werden können.
Darum ist die Vorlage von Bedeutung
Bis vor kurzem war eine stabile Versorgung mit Strom für den grössten Teil der Bevölkerung eine Selbstverständlichkeit. Wie in Zukunft die Versorgungssicherheit mit einem ambitionierten Netto-Null-Ziel erreicht werden kann, beschäftigte bloss die Fachwelt. Die Energiekrise im Winter 2022/23 hat jedoch allen Bürgerinnen und Bürgern aufgezeigt, wie verwundbar die Schweiz ist. Fällt ein grosser Teil der Kernkraftwerke in Frankreich aus oder ist die Versorgung mit Gas zur Energiegewinnung in den Nachbarländern nicht gesichert, kann es rasch zu einem Engpass beim Strom kommen.
Will die Schweiz verhindern, dass es in Zukunft wieder zu kritischen Versorgungslagen kommt, ist ein Ausbau der Stromproduktion im Inland deshalb notwendig. Zumal der Strombedarf voraussichtlich um 35 bis 50 Prozent zunehmen wird, wenn die Schweiz ihre Klimaziele erreichen will. Elektroautos und Wärmepumpen verbreiten sich immer mehr – und die Elektrizität, die sie brauchen, muss irgendwo auch produziert werden.
Hinzu kommt, dass sich die Schweizer Stimmbevölkerung 2017 für den Ausstieg aus der Kernkraft ausgesprochen hat. Gehen die verbliebenen Reaktoren in den nächsten Jahrzehnten vom Netz, klafft eine riesige Stromlücke, die es zu schliessen gilt. Entsprechend gross ist der Handlungsdruck: So müssen bis 2050 gemäss Experten rund 50 Terawattstunden zugebaut werden, um den steigenden Strombedarf bei einem Wegfall der Kernkraftwerke zu decken. Das ist fast gleich viel Strom, wie die Schweiz heute im Jahr verbraucht.
Die Energieversorger taten sich im vergangenen Jahrzehnt schwer mit dem Ausbau der Stromproduktion. Grössere Kraftwerksprojekte blieben regelmässig in zähen Rechtshändeln stecken; die Unternehmen investierten lieber im Ausland. Fahrt aufgenommen hat in den letzten Jahren einzig der Ausbau der Solarenergie auf Dächern und Fassaden.
Allerdings liefern diese Anlagen im Winter deutlich weniger Strom. Gemäss dem Bund sind deshalb Energieanlagen nötig, die speziell in der kalten Jahreszeit zusätzlichen Strom liefern. In erster Linie setzt die Vorlage dafür auf die Wasserkraft. Durch die Erhöhung von Staumauern und den Bau neuer Stauseen soll die Schweiz künftig im Winter auf grössere Speicher zugreifen können. Ebenso sollen alpine Solaranlagen sowie Windkraftanlagen für mehr Winterstrom sorgen. Es handelt sich dabei allerdings teilweise um Projekte, die Natur und Landschaft stark beanspruchen. Sie werden deshalb von Umwelt- und Landschaftsschützern bekämpft.
Das neue Stromgesetz tangiert die demokratischen Mitspracherechte grundsätzlich nicht. Über Wind- und Solarparks kann die Bevölkerung weiterhin abstimmen, sowohl auf Gemeinde- als auch auf Kantonsebene. Auch werden die Beschwerdemöglichkeiten von Verbänden und Privaten nicht eingeschränkt. Eine Ausnahme gibt es bei den 16 Wasserkraftprojekten. Dort entfällt die Nutzungsplanung auf Gemeindeebene, für die in der Regel die Standortgemeinde zuständig ist. Entsprechend eingeschränkt werden auch die Mitspracherechte der lokalen Bevölkerung. Unangetastet bleibt das Konzessionsverfahren, das vielerorts ebenfalls vorsieht, dass die Stimmbevölkerung über die Vergabe entscheiden darf.
Das sind die Argumente der Befürworter
Hinter dem Stromgesetz stehen der Bundesrat, die Kantone, die massgeblichen Wirtschafts- und Umweltverbände sowie alle Parteien mit Ausnahme der SVP. Sie betonen, dass das Stromgesetz endlich mehr Tempo in den Ausbau der Erneuerbaren bringe. Dabei führe die Stärkung der inländischen Stromproduktion nicht nur zu einer höheren Versorgungssicherheit. Auch werde dadurch der Ausstieg aus den fossilen Energien ermöglicht, was die Abhängigkeit vom Ausland reduziere.
Der Energiebedarf für Autos und fürs Heizen könne damit in Zukunft mit einheimischer, sauberer Energie abgedeckt werden. Bleibe die im Gesetz verankerte Förderung dagegen aus, drohten in den nächsten Jahren erneut Engpässe. Die Folge wären teure Notfallmassnahmen, welche die Konsumentinnen und Konsumenten berappen müssten. Die Befürworter betonen zudem, dass der Ausbau der Erneuerbaren mit den verfügbaren Mitteln geschehe und das Stromgesetz keine neuen Abgaben fordere.
Das sind die Argumente der Gegner
Das Referendum gegen das Stromgesetz ergriffen hat ein überschaubares Grüpplein von Privatleuten und Landschaftsschützern, unter ihnen Hans Weiss, einer der Mitgründer der Stiftung Landschaftsschutz, sowie Philippe Roch, ehemaliger Chef von WWF Schweiz sowie des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft. Verstärkt werden sie vom Windkraftgegner Elias Vogt vom Verein Freie Landschaft sowie von der Umweltschützerin Vera Weber von der Fondation Franz Weber. Dem Nein-Lager angeschlossen hat sich auch die SVP. Im Parlament standen zwei Drittel der Parteivertreter noch hinter der Vorlage ihres Bundesrats Albert Rösti. Im März jedoch entschied sich die Delegiertenversammlung der Volkspartei für die Nein-Parole.
SVP-Vertreter erklären die Kehrtwende damit, dass der einzig vorteilhafte Teil der Vorlage die Beschleunigung der Wasserkraftprojekte sei. Seit Landschaftsschützer und Umweltverbände angekündigt haben, den geplanten Bau von Staumauern am Gornergletscher oder an der Trift bis vor Bundesgericht zu bekämpfen, hat sich dieses Plus gemäss der SVP in Luft aufgelöst. Sie hält das Stromgesetz für einen «faulen Kompromiss», der keine Versorgungssicherheit gewähre.
Die Umweltschützer im Nein-Lager kritisieren derweil, dass das Gesetz die Rodung von Wäldern ermögliche sowie die Verschandelung von Landschaften und die Vernichtung geschützter Biotope. Auch werde die Souveränität des Volkes, der Kantone und der Städte eingeschränkt. Das sei unnötig. So sei das Photovoltaik-Potenzial auf Gebäuden und Infrastrukturen gross genug, um den Strombedarf zu decken.