Die Petro-Staaten wähnen sich derzeit in einer starken Position. Die Erdölnachfrage befindet sich mit knapp 103 Millionen Fass pro Tag auf einem historischen Höchststand, wobei es unvermeidlich ist, dass es zuvor hinaufgeht, bevor es hinuntergeht. Die starke Nachfrage stammt vom Flugverkehr, aus der Petrochemie und vermehrt aus China. Es sind häufig noch Nachholeffekte nach der Pandemie.
Grosse Spuren an den Energiemärkten hinterlässt zudem die russische Grossinvasion in der Ukraine. Neben dem Klimaschutz ist die Versorgungssicherheit bei der Energie in den Vordergrund gerückt. Kohle erlebte in der vergangenen Zeit so etwas wie eine Mini-Renaissance. Selbst die Nachfrage nach dem schmutzigsten aller fossilen Energiegüter kletterte wieder auf Höchststände.
Gleichzeitig stieg der Preis für die Erdölsorte Brent auf mehr als 90 Dollar je Fass, nachdem er für längere Zeit auf einem niedrigeren Niveau vor sich her gedümpelt hatte. Russland und vor allem Saudiarabien treiben mit ihren verlängerten Förderdrosselungen den Preis nach oben, was auch eine schlechte Nachricht für die Inflationsbekämpfung der Notenbanken ist. Auch wenn sich die Energiemärkte in den vergangenen Monaten als äusserst flexibel erwiesen haben, die Scheichs und Zaren können ihre Muskeln zeigen.
Nachfrage schlägt Angebot
Womit begründet die IEA ihren Abgesang auf das Erdölzeitalter? Mit dem «spektakulären Wachstum» von Solarpanels und Elektrofahrzeugen, mit den Folgen des Krieges in der Ukraine wie der europäischen Abwendung vom Gas und der Hinwendung zu Wärmepumpen sowie mit der strukturellen Veränderung der chinesischen Wirtschaft. Die Zunahme an erneuerbaren Energien und an Kernkraftwerken verdränge im asiatischen Land die Kohle. Und besonders in China nehme die Zahl der Elektrofahrzeuge stark zu.
Dem IEA-Direktor Birol ist bewusst, dass es Rückschläge geben kann, und doch ist es erstaunlich, wie hartnäckig solche Höchststände scheingenau prognostiziert werden. In der Vergangenheit war immer von einem Höchststand bei der maximalen Fördermenge die Rede. Bereits für die 1970er Jahre war vorhergesagt worden, dass das Erdöl ausgehe. Auch Kohle hätte laut einer Prognose schon vor mehr als 100 Jahren zu Ende gehen sollen.
Jetzt wird die Diskussion um den Höchststand der Nachfrage geführt, was aus ökonomischer Sicht auch nachvollziehbarer ist. Schliesslich sind Pferde als Transportmittel nicht ausgegangen, sie wurden vielmehr von leistungsstärkeren Verbrennungsmotoren verdrängt. Aber ganz so einfach ist auch hier die Debatte nicht. Zunächst kann die Elektrifizierung zu mehr Nachfrage nach Fossilen führen, denn Strom ist keine Primärenergie. Vielmehr werden zur Verstromung Wasser, Sonne, Wind, Holz, Kernkraft oder eben Kohle, Gas oder Öl benötigt.
Ausserdem werden in Analysen häufig die Produzenten der Fossilen nicht berücksichtigt. Besonders der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn verweist auf das «grüne Paradoxon»: Sollte die Klimapolitik wirksam die Nachfrage nach fossilen Energieträgern verringern, kann eine Gegenreaktion eintreten: Je glaubwürdiger eine grüne Politik umgesetzt wird, desto schneller produzieren die Petro-Staaten – aus Angst, dass die Schätze im Boden wertlos werden könnten. Dadurch sollen die Einnahmenausfälle durch die niedrigeren Preise ausgeglichen werden.
Wirkungslose Alleingänge
Wie Sinn an einem Vortrag am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik ausführte, kann ein europäischer Alleingang in der Klimapolitik wirkungslos sein: Wenn Europa die CO2-Emissionen reduziert, sinken die Preise für fossile Brennstoffe, und das Erdöl wird einfach andernorts verbrannt. Sinn verwies darauf, dass die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) seit den 1980er Jahren auf niedrigere Erdölpreise nicht mit einer Einschränkung der Menge reagiert habe.
Dies lässt sich anhand der Zahlen für die weltweite Erdölproduktion zeigen. Saudiarabien, der dominante Produzent innerhalb der Opec, hatte ab den 1980er Jahren verinnerlicht, dass eine einseitige Drosselung der Förderung schädlich ist, weil dann andere Produzenten einspringen. Kurzfristig gab und gibt es natürlich Kürzungen. Weil die Nachfrage und das Angebot nach Erdöl auf kurze Frist starr sind, führen auch kleinere Mengeneinschränkungen zu grösseren Preisschwankungen.
Die Petro-Staaten reduzieren aber merklich ihre Förderung, wenn die weltweite Nachfrage wegbricht, um den Preis zu stützen. Die Corona-Krise zeigte dies als natürliches Experiment deutlich. Russland und Saudiarabien reagierten zunächst mit einem Preiskrieg, um Marktanteile zu halten. Der Preis fiel ins Bodenlose. Die Petro-Staaten nahmen dann in einem Kraftakt rund 10 Prozent des Angebots zurück – und damit auch 10 Prozent der Erdöl-Emissionen.
Weltweite Pandemien zur Emissionsreduktion dürften aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Sinn schlägt einen Klima-Klub für wirksame Klimapolitik vor, in dem sich die wichtigsten Emittenten auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Die IEA hingegen geht davon aus, dass die Nachfrage nach Erdöl und die Emissionen auch dann verringert werden, wenn die nationalen Klimapolitiken unkoordiniert sind. Das Ende des Erdölzeitalters ist noch ungewiss.